Queerpolitik von Schwarz-Rot: Ein queerer Schub für Berlin
Die Hauptstadt soll „Regenbogenstadt“ werden: So steht es im Koalitionsvertrag von CDU und SPD – und dieser Programmteil ist ein großer Wurf geworden.
W ie ein politisches Resultat – und um ein solches handelt es sich ja bei einem Koalitionsvertrag – zu bewerten ist, kann leicht an den schärfsten Kritikerinnen* abgelesen werden. Alexander Kissler, konservativ orientierter Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung in Deutschland, ist beim queeren Teil des schwarz-roten Koalitionsvertrags nachgerade entsetzt.
Ja, er zeiht Kai Wegner, künftig wohl Regierender Bürgermeister der CDU, des Verrats an den Wünschen seiner Wählerschaft: „Künftig wird es mit dem Segen der CDU in jedem der zwölf Berliner Bezirke einen ‚Queer-Beauftragten‘ geben, als Vollzeitstelle. Berlin will unter Wegner ‚Regenbogenhauptstadt‘ bleiben und die ‚lesbische Sichtbarkeit‘ erhöhen. Den Kampf gegen ‚Antifeminismus‘ unterstützt die CDU ebenfalls.“
Und ausweislich der hochzufriedenen Reaktion des Lesben- und Schwulenverbands Berlin-Brandenburg ob der queeren Passagen im politischen Plan der Schwarzen und Roten, nämlich von einem „queerpolitischen Aufbruch“ zu sprechen, ließe sich sagen: Die Empörung der antiqueer Konservativen ist echt – und sie hat Fundament.
Denn tatsächlich 32 Mal taucht das Wörtchen „queer“ auf den 135 Seiten des koalitionären Programms auf: Gemessen an den Senaten, an denen die CDU in Berlin beteiligt war, ist das eine nachgerade revolutionäre Haltung, ein Relaunch sondergleichen im Angesicht der metropolen, also queerdiversen Realität in Berlin. Auf Seite 20, also nicht einmal ganz weit hinten, beginnt das Kapitel „Die Regenbogenhauptstadt“, und es umfasst über drei Seiten meist keine besonders vage gehaltenen Aussagen. Alles, buchstäblich alles, was die queeren und förderabhängigen Szenen in Berlin sich so wünschen, ist darin enthalten.
Schwarz-Rot geht weiter als Rot-Grün-Rot
Nichts hat die Union, schon aus Verneigung vor ihrer konservativen Wählerschaft, getilgt sehen wollen, was Grüne und Dunkelrote in den letzten Jahrzehnten nicht auch formuliert hätten und jüngst ja noch haben. Das queere Regierungsprogramm ist nicht nur faktisch ebenso politisch liebevoll gehalten wie das der Rot-Grün-Roten, vielmehr geht es noch weiter: Es soll einen Magnus-Hirschfeld-Platz in Berlin geben, sogar einen Landesqueerbeauftragten, und in jedem Bezirk soll es eben eine vollbezahlte Queerstelle geben.
Es wird Programme geben gegen antiqueere Gewalt und Hass, transwertschätzende Politiken – und sogar die Bundesratsinitiative zur Ergänzung des Grundgesetzes um einen Passus, der die „sexuelle Identität“ als schützenswert hervorhebt soll durch die Schwarz-Roten mitgetragen werden.
Zwar ist es durchaus umstritten, ob im Grundgesetz die „Identität“ Extraerwähnung finden soll, wo doch die viel explizitere Chiffre „sexuelle Orientierung“ (weil dies vor allem besonders vulnerable schwule Männer und lesbische Frauen meinen würde, Identitäten sind ja schließlich flüchtig), aber erstaunlich ist eben, dass die einst exotische Forderung, an Grundgesetzformulierungen herumzuschrauben, nun von der CDU mitgetragen wird.
Mit anderen Worten: Es gibt in den queeren Zirkeln, gleich wo in Berlin, ein sprechendes Schweigen ob dieses Koalitionsvertrages zum Queeren. Alle Angst, die CDU könnte sich AfD-haft an ihren Jobstrukturen vergehen – zerstoben. Vielmehr wird gratuliert (LSVD), gelobt (in den sozialen Medien) und auch gewarnt, wenn etwa ein queerer Menschen aus der Linkspartei fast platzt vor Wut, weil die CDU einfach nicht macht, womit sie jahrelang in den Vorstädten außerhalb des S-Bahn-Rings Werbung betrieb: Gendermist und Homomist? Ohne uns.
CDU hat queere Passagen entschieden mitbefördert
Schließlich war es auch die Berliner CDU, die sich bis zuletzt der „Ehe für alle“ (2017) verschloss, die sich also der bürgerlichen Öffnung ins Zivilisierte, also der respektierenden Akzeptanz von LGBTI*-Szenen, verweigerte. Kai Wegner: Wir werden ihn wohl künftig, heteroorientiert hin oder her, bei CSD-Eröffnungen und beim Queeren Stadtfest offiziell erleben.
Zu denken, dass auch in diesem Programmpunkt die SPD durchgesetzt habe, was die CDU stillschweigend nur mittrüge, ist allerdings falsch: Queere Politiken funktionieren in Berlin nur staatlich subventioniert, durch Fördertöpfe – das wussten ja schon CDU-Politiker in den achtziger Jahren, zumal im Kontext einer Gesundheitskrisenpolitik im Angesicht der Aidsepidemie (vor allem in den schwulen Szenen der Stadt).
In der CDU gab es dem Vernehmen nach genug Politiker, die diese queeren Passagen entschieden mit befördert haben – sie wissen, etwa die Senatoren in spe Stefan Evers oder Jan-Marco Luczak, dass sie queerdistante Politiken in dreieinhalb Jahren bei den nächsten Wahlen büßen müssten.
Ein Projekt, das versprochen wird, bleibt indes nebulös: das sogenannte Regenbogenhaus. Soll es eines werden wie in Toronto (wesentlich queeren Familien gewidmet) oder wie in Tel Aviv (das Szenezentrum der queeren Alternativen)? Alles ist offen, und das bleibt gut so.
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