Putins Verhandlungsangebot an Ukraine: Ein durchsichtiger Schachzug mitten in der Nacht
Russland geht nicht auf das Ultimatum ein, ab Montag 30 Tage die Waffen ruhen zu lassen. Es schlägt Gespräche in der Türkei vor, konkret ist nichts.

Fragen zu seinen Ausführungen waren nicht zugelassen, das hatte der Kreml bereits im Vorfeld bestimmt. Am Donnerstag, 15. Mai, las Putin vom Zettel ab, solle das Treffen stattfinden. Den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan werde er noch darum bitten, dieses zu organisieren.
Es ist Russlands taktisches Kontern der Forderungen der Ukraine, Europas und der USA vom Samstag nach einem 30-tägigen Waffenstillstand ab Montag, ohne nur mit einem Wort auf diese Forderungen einzugehen. „Es herrscht Krieg, wir bieten Frieden an“, sagte der russische Präsident.
Ein in zweierlei Hinsicht bemerkenswerter Satz. Der Aggressor verkauft sich damit als Friedensengel und tut so, als würde er all denen entgegenkommen, die direkte Gespräche fordern. Zudem sagt er „Krieg“, ein Wort, für das in Russland jede und jeder ins Gefängnis kommen kann, wenn er den Krieg in der Ukraine und vor allem das Handeln Russlands auch nur ansatzweise öffentlich kritisiert.
Während Putin spricht, wird die Ukraine bombardiert
Während Putin noch vor den Kameras sprach, flog Russlands Armee bereits die nächsten Angriffe auf das Nachbarland. Die dreitägige Waffenruhe, die Russland zu seinen pompösen Feierlichkeiten zum „Tag des Sieges“ verkündet hatte, sei schließlich um Mitternacht zu Ende gegangen, bekräftigte der Kremlsprecher Dmitri Peskow.
Putins nächtlichem Auftritt gingen intensive wie für ihn äußerst erfolgreiche Tage voraus. Der 72-Jährige eilte rund um den 9. Mai von einem Gespräch zum nächsten. Hier ein Händedruck mit Brasiliens Lula da Silva, da gemeinsame Bilder mit dem Palästinenser Abbas. Und immer wieder Xi Jinping aus China, der höchste Staatsgast, der Putin bei seiner Siegesshow auf dem Roten Platz die Ehre erteilte. Allzu konkret wurde es in den russisch-chinesischen Gesprächen zwar nicht. Aber es zählen die Bilder. Bilder, die zeigen sollen: Russland ist nicht isoliert.
Die Panzer rollten störungsfrei, die Menschen entlang den Straßen jubelten, die Sonne lachte vom Himmel. Die Verhältnisse hätten sich stabilisiert, der „Konflikt mit der Ukraine“, so der Kreml-Sprech, gehe zwar weiter, aber man sei „immer schon“ für Frieden gewesen, und „immer schon offen für Gespräche“. Es sei der „Kriegstreibende Westen“, so das russische Narrativ, das selbst im Westen verfängt, der Russlands Interessen und Russlands Sicherheit bedrohe.
Die Verachtung für die ukrainische Führung versuchte Putin bei seinem nächtlichen Friedensgebaren gar nicht erst zu verdecken. Er habe schließlich bereits dreimal Feuerpausen verfügt, aber es sei die Ukraine, die sich nicht daran halte. Schlimmer noch: Die Ukraine habe alles dafür getan, die Anreise der Gäste für die 9. Mai-Feier, für Russland ein „heiliger Tag“, zu stören. Moskau fühlt sich – auch angesichts des einstigen Sieges über Nazi-Deutschland – als moralisch überlegen.
Einen 30-Tage-Waffenstillstand lehnt Russland ab
Letztlich führt Putin seine Hinhaltetaktik fort, den Gegner mit immer wieder neuen Vorschlägen zu zermürben, um so weiter die eigenen Ziele zu verfolgen: die Ukraine zu unterwerfen. Von einem 30-tägigen Waffenstillstand hält er nichts, das hat der Kreml mehrfach deutlich gemacht, da es darin lediglich eine Verschnaufpause sieht, in der die Ukraine weiterhin mit westlichen Waffen beliefert werde.
So ist Putins Istanbul-Vorschlag vor allem für Moskau bequem. Moskau behauptet, im März 2022 habe praktisch ein fertiges Abkommen vorgelegen, ein mehrfach widerlegter russischer Mythos. Das neuerliche Anknüpfen würde bedeuten, dass weder die USA noch die Europäer mit am Verhandlungstisch sitzen würden und die Ukraine sich praktisch auf einen Frieden einlassen müsste, der einer Kapitulation gleichkäme: Seine Streitkräfte müsste Kyjiw reduzieren, auf die von Russland eroberten Gebiete verzichten, der Nato für immer abschwören, Russischsprachigen Sonderrechte einräumen. Die Sicherheit dafür würde unter anderem Russland garantieren.
Putin kann sich zurücklehnen, vor allem Trump zeigen, was für ein großzügiger Staatsmann er doch sei, und einfach abwarten – um dann wieder einmal die Ukraine zu beschuldigen, diese hintertreibe den Friedensprozess.
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