piwik no script img

Psychologin über Tat in Idar-Oberstein„Das sind keine besorgten Bürger“

Für Sozialpsychologin Pia Lamberty kam der Angriff des Maskenverweigerers nicht überraschend. Sie fordert eine neue Einschätzung der Bedrohungslage.

„Die Maske wurde zum politischen Symbol für den ‚Maulkorb‘, ‚die Unterdrückung‘“, so Lamberty Foto: Thomas Stockhausen/mauritius images
Andreas Speit
Interview von Andreas Speit

taz: Frau Lamberty, Sie forschen zu Verschwörungsideologien. Wie sehr haben sich die Coronaproteste inzwischen radikalisiert?

Pia Lamberty: Die Proteste waren in den vergangenen Wochen weniger sichtbar. Die großen Aktionen sind ausgeblieben. Doch schon bei den Demonstrationen war die Gewalt gegenüber Gegendemonstrant:innen, Jour­na­lis­t:in­nen und Po­li­zis­t:in­nen gegenwärtig. Im Alltag erfolgten bereits vor dem Mord Anschläge auf Impfzentren, Menschen bedürfen Personenschutz. Die ideologische Aufladung der Feindbilder schürte Gewalttätigkeit, die nun auch bei dem Mord anscheinend eine Rolle spielte.

Der Täter wollte ein Zeichen setzen?

Wie und ob sich der Täter in der Szene bewegte, wird noch recherchiert. In der verschwörungsideologischen und rechtsextremen Szene wurde die Maske zum Feindbild. In den Telegram-Kanälen, aber auch bei den Aktionen wurde die Maske zum politischen Symbol für „den Maulkorb“, „die Unterdrückung“.

War eine solche Tat wegen des Maskentragens zu erwarten?

Ja, das war zu befürchten. Aber solch eine Tat? Um 19.45 Uhr begann der Konflikt, nach 21 Uhr kommt er wieder, die Kleidung gewechselt mit einer Waffe, um zu töten. Der Täter handelte vermutlich nicht im Affekt. Das Maskentragen führt im Alltag aber immer wieder zu Auseinandersetzungen, in der Bahn, auf der Straße, im Supermarkt, auch mit körperlichen Übergriffen.

Die Corona-Protestbewegung ist äußerst heterogen. Ist in einem Spektrum die Radikalisierung besonders vorangeschritten?

Die Radikalisierung ist in der gesamten Bewegung gestiegen. Sie beeinflusst auch die Mitte der Gesellschaft. Die verschiedenen Verschwörungserzählungen werden weitergetragen. Das kennen alle, die sich kritisch zu der Bewegung äußern. Ich erlebe das auch.

„Querdenken“ arbeitet mit dem rechtsextremen Compact-Magazin zusammen. Befeuerte diese Zusammenarbeit die Enthemmungen?

Die rechtsextreme Szene, sogenannte Reichs­bür­ge­r:in­nen und Holocaustleugnende, waren von Anbeginn Teil Bewegung. Corona ist für sie ein Vehikel, um ihre Ideologie weiter zu verbreiten, mehrheitsfähiger werden zu lassen. Die Compact hat sich zu dem Zentralorgan für Verschwörungserzählungen entwickelt.

Sind die Betreibenden der Telegram-Kanäle mitverantwortlich für den Schuss?

Sie sind mitverantwortlich für ein gesellschaftliches Klima der Bedrohung, sie schaffen den Nährboden für Gewalt, die sich gegen Impfpersonal und Virolog:innen, Presse und Polizei wie auch gegen Wis­sen­schaft­le­r:in­nen und Jü­d:in­nen richtet.

Bild: Daniel Pasche
Im Interview: Pia Lamberty

ist Sozialpsychologin und forscht an der Uni Mainz zu Verschwörungsglauben und Kognitiven Verzerrungen. Sie ist Co-Autorin der Bücher „Fake Facts“ und „True Facts“.

Ist mit dem staatlichen Druck auf Nicht-Geimpfte eine weitere Eskalation wahrscheinlicher?

Wenn weitere Maßnahmen beschlossen werden, ist eine weitere Eskalation möglich. Umso notwendiger ist es, die Maßnahmen besser zu kommunizieren. Umso notwendiger ist jedoch auch, endlich das Bedrohungspotenzial zu benennen. Mir scheint, die aggressiven Reaktionen aus der Szene sind in der Politik nicht so Thema, wie es sein müsste.

Das BKA hat vor Angriffen auf Personen und Institutionen gewarnt. Wie kann dieser Bewegung entgegengewirkt werden?

Es gibt bei gesellschaftlichen Entwicklungen nicht die eine Maßnahme. Mir fehlt aber eine klare Distanzierung zu dieser Bewegung. Sie sind keine besorgten Bürger:innen. Doch dieser Minimalkonsens ist nicht gegeben. Wir brauchen auch eine genaue Erfassung der Straf- und Gewalttaten, um ein klares Handeln zu entwickeln. Im Bundestagswahlkampf ist diese bedrohliche Situation allerdings kaum Thema.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • „Das sind keine besorgten Bürger“

    Natürlich nicht - oder glaubt hier etwa jemand, dass „besorgte Bürger“ mit Schußwaffen durch die Gegend laufen? Das sind hochkriminelle Schwachmaten, denen jeder Anlaß willkommen ist, um gezielt Leute zu vernichten, die anders sind als sie selbst. Es ist erschreckend, wie einfach solche Typen immer noch an Waffen kommen können. Das könnte man sicher ändern, aber diese Leute doch nicht mehr.

  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Die Querdenker gehen in so eine Art versteckten Widerstand. Ich beobachte das in meinem Bekanntenkreis, dass es Leute gibt, die einem plötzlich (wieder) ostentativ die Hand zur Begrüßung entgegenstrecken oder in Nebensätzen die Ablehnung der Impfung äußern, das aber umgehend als persönliche Entscheidung relativieren.

    Also die Isolation hat ganz gut geklappt. Aber erreichen kann man die sicher genausowenig wie vorher.

    Aber ich sag' mal Fight Fire with Fire - und trage demonstrativ Maske! Und das kommt oft erstaunlich gut an und bestätigt mich dann doch oft in meinem Glauben an das Gute in den Menschen.

    • @05989 (Profil gelöscht):

      Naja, das sind ja bekannte Schemen:



      Der Hilf- und Orientierungslose sucht etwas das ihm halt gibt, und sich auf die ihn derzeit belastenden Dinge einzuschießen liegt da für so manchen nahe.

      Und so wird aus dem Hass auf die Einschränkung an sich der Hass auf die Maske als Symbol und dann der Hass auf die Politiker und Mediziner als "Verursacher" sowie der Hass auf sämtliche "Erfüllungsgehilfen" - also quasi alle die nicht die eigene Weltsicht vertreten.

      Die Parallelen zur Rechtsextremen Ideologie schlagen einem da sozusagen direkt ins Gesicht: viele negative Emotionen vermischt mit sehr oberflächlichen und daher unzutreffenden "Erklärungen" die aber in jedem Fall laut nach einem Sündenbock schreien und ihn selbstverständlich auch gleich liefern.

    • @05989 (Profil gelöscht):

      "...und trage demonstrativ Maske!"

      Das finde ich einen richtigen Gedanken. Ich möchte es so formulieren: Vielleicht gelingt es, mit der Selbstverständlichkeit zu demonstrieren. Demonstriere damit, dass das Tragen der Maske sozusagen nicht nur "wie selbstverständlich" ist, sondern selbstverständlich, "einfach so". Ich kann es nur "verklausuliert" zum Ausdruck bringen. Aber es funktioniert:



      Ich wohne in einem Haus mit sehr vielen Parteien. Im Haus, beim Verlassen u. Betreten, trage ich immer eine Maske. Ganz einfach, ich habe, noch dazu in meinem Alter, Sorge vor den Aerosolen im vielbegangenem "Gebiet", da nochmal besonders: der Fahrstuhl. Im Freien nehme ich sie ab. Verpflichtet, die Maske im Haus (nicht etwa Wohnung) zu tragen, bin ich nicht. Aber...



      Meine Mitbewohnerschaft macht sich nicht darüber lustig. Andere tragen die Maske auch im Fahrstuhl nicht. Andere tun es. Keiner "motzt" andere auch nur an oder wird gar darüber hinaus aggressiv.

      Nur da, wo Maskenpflicht ist, muss die eingehalten werden. Ich habe schon "Gespräche" von Kioskbesitzern erlebt, die ihre Kunden wieder und wieder dazu auffordern mussten, im engen Raum die Maske aufzusetzen.

      Entsetzen: Das aus den Reihen der Querdenkerszene tödliche Gewalt ausgeübt werden könnte, das hätte ich ehrlich nicht erwartet. Aber es ist Fakt - immerhin wird an dieser Stelle informativ darüber berichtet. Ich weiß auch nicht gleich, was weiter in Reaktion auf diese Gewalt geschehen muss. Aber gute Berichterstattung ist sehr wichtig. Sie ist ein Ansatz, Lösungen zu finden.