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Psychologin über Häftlingssuizid„Das kann immer passieren“

Je stärker die Überwachung, desto mehr geht es an die Menschenwürde, sagt Katharina Bennefeld-Kersten, Expertin für Suizide von Strafgefangenen.

Die JVA Leipzig – dort tötete sich der Terrorverdächtige selbst Foto: dpa
Barbara Dribbusch
Interview von Barbara Dribbusch

taz: Frau Bennefeld-Kersten, ein Terrorverdächtiger erhängt sich in der Haft. Eine Psychologin, die den Mann begutachtet hat, stufte ihn als nicht suizidgefährdet ein. Wie kann das passieren?

Katharina Bennefeld-Kersten: Das kann immer passieren. Man kann einem Menschen nicht in den Kopf hineinschauen, auch wenn man sehr qualifiziert und erfahren ist. Hier kam auch noch das Problem dazu, dass der Mann aus einer anderen Kultur kam, dass ein Dolmetscher zwischengeschaltet war. Sehr schwierig wird es auch mit der Einschätzung, wenn man einen Menschen nicht länger kennt, also keinen Vorlauf hat.

Der Mann wurde alle 15, dann alle 30 Minuten überwacht, hieß es. Aber das nützte offenbar nichts.

Diese Kontrollen erfolgen ja nicht in regelmäßigen Intervallen, man kann auch kurz hintereinander in die Zelle schauen. Aber selbstverständlich kann sich ein Gefangener auch in der Zwischenzeit das Leben nehmen, klar.

Man hätte den Gefangenen in einen besonderen Raum verlegen können, den besonders gesicherten Haftraum. Den gibt es auch in Leipzig, hieß es. Es ist ein gefliester Raum, wo es nichts gibt, woran man sich erhängen kann.

Dazu bedarf es für Untersuchungsgefangene der richterlichen Anordnung. Ob das hier angezeigt war, kann ich nicht beurteilen. Diese besonders gesicherten Räume sind aber sehr unangenehm für die Gefangenen. Jede stärkere technische Prävention geht an die Menschenwürde ran. Und in Leipzig hielten sie den Gefangenen ja nicht für suizidgefährdet.

Im Interview: Katharina Bennefeld-Kersten

69, ist Psychologin und Leiterin der Bundesarbeitsgemeinschaft Suizidprävention im Justizvollzug. Sie war Gefängnisdirektorin in Celle und forschte viele Jahre über Selbsttötungen in Justizvollzugsanstalten und deren Verhinderung.

Kann man als Vorsorge nicht auch normale Zellen in der Untersuchungshaft so umgestalten, dass ein Suizid nicht möglich ist?

Wir haben von der Bundesarbeitsgruppe Suizidprävention im Strafvollzug Empfehlungen erarbeitet für die Umgestaltung in der Unterbringung der Hochrisikogruppe, das sind Untersuchungsgefangene in der ersten Haftzeit, bei Einzelunterbringung. Da geht es beispielsweise darum, dass die Handtuchhaken kippen, wenn man sie zu stark belastet, dass man sich nicht mehr an Fensterkreuzen oder Eisenbetten erhängen kann. Aber in vielen alten Anstalten ist das nicht so leicht umsetzbar.

Jaber A. hat sich mit einem T-Shirt erhängt. Theoretisch könnte man leichter reißende Anstaltskluft ausgeben.

Einige Bundesländer wollen das einführen. Ich bin da vorsichtig, ich habe immer die Krankenhaushemdchen vor mir. Schrecklich.

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26 Kommentare

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  • "Der terrorverdächtige Dschaber al-Bakr wurde von der Haftrichterin vor seiner Überstellung in die Untersuchungshaft als suizidgefährdet eingestuft." (Quelle: dpa)

    Damit erübrigen sich eigentlich schon sämtliche Ausflüchte des sächsischen Justizministers und der JVA Leipzig. Da kann auch die taz jetzt noch so viele PsychologInnen bemühen.

     

    Selbstverständlich kann es immer und überall zu spontanen Selbsttötungen kommen, aber jemanden als mutmaßlichen Selbstmordattentäter zu inhaftieren und dann zu behaupten, man hätte keinerlei Hinweise auf eine Suizidgefahr erkennen können, sowas ist auch mit einem stark entwicklungsbedürftigen sächsischen Horizont nicht mehr erklärbar. Das ist eine unverschämte Dreistigkeit und eine Provokation der Öffentlichkeit sondergleichen.

    • @Rainer B.:

      Psychologen sprechen da von "kognitiver Dissonanz".

      • @jhwh:

        Von "kognitiver Dissonanz" könnte man dann sprechen, wenn diejenigen, die die Einschätzung der Haftrichterin nicht adäquat berücksichtigt haben, sich jetzt deshalb darum schlecht fühlen würden. Stattdessen versuchen die ja jetzt weiterhin, ihre Entscheidungen als durchaus angemessen und richtig zu verkaufen. Sozialpsychologen sprechen in solchen Fällen dann meist von einem "Perseveranzeffekt".

  • 3G
    36120 (Profil gelöscht)

    Menschen einsperren ist einfach schlecht. Terroristen gibt es, weil eine falsche Politik gemacht wird. Und bei den "Kriminellen" werden oft die falschen verknackt.

    • @36120 (Profil gelöscht):

      speziell mit diesem Herrn hätten aber wenige sich in einen Gesprächskreis zur gemeinsamen Problembewältigung setzen wollen. Nicht, dass er doch eine Bombe dabei hätte.

    • @36120 (Profil gelöscht):

      Also alle laufen lassen?

  • Jetzt sind Sie aber ganz schön emotional, der Herr, wäre ich Psychologe würde ich jetzt antworten Sie sind beleidigend. Sie meinen sich sicher selber damit. Lässt tief blicken, dafür braucht man keine eh schon inflationäre Approbation. Mit Verlaub gesagt: Sie wären vermutlich ein gutes Beispiel. Übrigens gibt es sicher hervorragende Psychologen und Psychotherapeuten.

    • @Tante Emma:

      @TANTE EMMA diese ist die Antwort auf den FRIEDRICHH.

      edit: Sie scheinen einen hohen Anspruch an Therapieerfolg zu haben, bzw. was mit sechzig Prozent nicht unerheblichem *nachhaltigen verbauten* möglichen seelischem Schäden angerichtet wird. Ganz abgesehen von den Folgekosten, -Belastungen das wieder hinzukriegen. Ich Sag mal, das ist mein Eindruck, Sie sind ein gutes Beispiel ich danke für Ihre statements.

  • "Katharina Bennefeld-Kersten: Das kann immer passieren. Man kann einem Menschen nicht in den Kopf hineinschauen, auch wenn man sehr qualifiziert und erfahren ist…"

     

    Nein - sicher . Aber - den eigenen -

    Kopf - kann frauman benutzen.

    Scheint aus der Mode gekommen.

    Plan as plan can be - nennt sich -

    Eine derartige Situation!

    • @Lowandorder:

      Was wussten Sie, was Frau Bennenfeld-Kersten nicht wusste?

  • Vielleicht sollten mutmaßliche Selbstmordattentäter routinemäßig in eine geschlossene psychiatrische Einrichtung eingewiesen werden. Dort wäre Jaber A. wahrscheinlich noch am Leben.

  • Ein Selbstmordattentäter ist nicht selbstmordgefährdet, sagt die Justiz, angefangen beim Justizdirektor der Anstalt bis Justizminister. Und weil sie nicht wussten, was sie machen sollen, sprang eine unwissende Psychologin ein.

    Macht weiter so!!

    • @Querdenker:

      Zugegebenermaßen war das auch mein erster Gedanke. Wenn man allerdings genauer darüber nachdenkt, besteht so ein Selbstmordattentat ja nicht nur aus dem Selbstmord, sondern auch aus dem Attentat. Der Sinn eines Selbstmordattentats ist es, möglichst viele Menschen noch mit den in den Tod zu reißen. Dafür kriegt man dann auch hinterher vermeintlich die Belohnung. Ob das auch gilt, wenn man sich mit seinem Hemd in einer Zelle erhängt weiß ich nicht, ich halte es aber zumindest für fraglich.

      • 2G
        2730 (Profil gelöscht)
        @sart:

        Perfekt erkannt! Für die Täter ist der eigene Tod eine Art Kollateralschaden. Aber das scheint kaum einer der Suizid-Experten hier zu verstehen. Vielleicht sollte man sicherheitshalber besser selbstmord-ATTENTAT schreiben.

  • war ja nun auch voellig egal ob suizidgefaehrdet oder nicht, es galt ja wohl, die moeglichkeit eines suizids in diesem konkreten fall komplett auszuschliessen. ich kann nicht fassen, was da in sachsen los ist. ist denn dort keiner interessiert an der aufklaerung? vielleicht waere man dort froh, wenn endlich mal ein anschlag passiert? dann hat das ewige hetzen endlich sinn!

     

    man sollte üeberlegen, alle wichtigen aemter dort auszutauschen mit beamten, die nachweislich mit moral, verstand und gewissen ausgestattet sind.

  • Das Schöne ist ja, dass Psychologen niemals für ihre Gutachten - auch wenn sich diese als grottenfalsch im Nachhinein herausstellen - in die Haftung genommen werden können. Wenn ich als gelernter Steuerfachmann einen Mandanten falsch berate, dann kann ich in die Haftung kommen und dann hoffe ich darauf, dass den Schaden meine Berufshaftpflicht trägt. Und dabei reden wir in meinem Fachbereich ja nur über Geld, nicht über etwas ungleich wertvolleres wie ein Leben. Ich muss für Fehleinschätzung haften, wieso nicht auch Psychologen, wo selbige doch immer argumentieren, ihr Fachbereich wäre auch eine anerkannte Wissenschaft?

    Vielleicht sollten Psychologen zukünftig eine invertierte Version des Strafrechts verwenden, im Strafrecht gilt "Jeder hat als unschuldig zu gelten, bis seine Schuld rechtskräftig festgestellt wurde". Wie wäre es bei psychologischen Gutachten mit der Formel "Jeder hat als gefährdet/gefährlich zu gelten, bis seine Ungefährlichkeit ohne Zweifel festgestellt wurde"?

    • 2G
      2730 (Profil gelöscht)
      @BalouBear67:

      Nee, schon klar, es hat ja auch noch nie ein Steuer"fachmann" (wattis dat überhaupt?) falsch gelegen in seiner Beratung und falls ausnahmsweise doch mal, springt jedesmal direkt die Haftpflichtversicherung ein, oder? Selten so gelacht....

    • @BalouBear67:

      Sie versuchen jetzt nicht allen ernsten Argumente dafür Psychologen haftbar zu machen? Dafür müsste erstmal ein Vorsatz oder die Fahrlässigkeit bewiesen werden.

      Mich würde es auch nich wundern wen dieses Gutachten nachträglich erstellt wurde. Aber wir sollten doch zum Problem zurück... ein mutmaßlicher Attentäter bringt sich angeblich in seiner Zelle um.

      Wie viele Menschen begehen überhaupt Selbstmord in Zellen? Ich habe das Gefühl wir wissen eigentliche nicht viel.

  • Kann es sein das sich Psychologen generell total überschätzen und Gutachten abgeben die sie seriöserweise nicht verantworten können. Sie trauen sich offensichtlich nicht im konkreten Fall zuzugeben das sich einen Menschen nicht einschätzen können. Das wäre nicht nur unprofessionell sondern....

    • @Eimsbüttler:

      ... fahrlässig und unqualifiziert? Richtig, wir dürfen auch nicht vergessen, daß bereits über sechzig Prozent der "normalen" Therapiemethoden eher kontraproduktiv und schaden.

      Das kommt auch nicht von ungefähr. Allmachtsfantasien und sorry, Fachidiotie sind keine Seltenheit.

      • @Tante Emma:

        Schon ein ganz schöner Quatsch den Sie da schreiben. Sie tun so als wären Psychologen per se arbeitsunwillige Mechaniker die Sie bei der Reperatur Ihrer Waschmaschine verarschen.

        Wenn man sich mal überlegt was es bedeutet als PsychologIn zu arbeiten kommt mann schnell zu dem Schluss das 60% (woher auch immer Sie den Wert haben) Fehltherapien doch recht gut sind.

        • @FriedrichH:

          Naja, auf den Therapieansatz "Kommen Sie denn heute geheilt in die Praxis? Nein? Dann wollen Sie nicht geheilt werden und müssen erst komplett abstürzen" kann man IMO auch gut verzichten.

  • Guter Punkt. So gesehen kann man der JVA nichts vorwerfen. Vermutlich würden teils die gleichen, die jetzt heftige Kritik üben, ebenso schwere Vorwürfe erheben, wenn er noch leben würde, weil man ihn fixiert oder anderweitig seiner Rechte beraubt hätte, und herauskommen würde, dass angeblich keine Suizidgefährdung vorlag.

    Der Fehler liegt also alleine in der Einschätzung der Psychologin. Das kann zwar passieren, jedoch ist mir nach wie vor völlig schleierhaft wie sie zu der Einschätzung kommen konnte. Dass man ihn jetzt unbedingt vom Selbstmord abhalten muss, dass man ihn noch verhören kann, war einer meiner ersten Gedanken nach der Festnahme. Und dafür muss man wahrlich kein Genie sein.

  • das freut mich, dass ich gerade in der taz einen so sachlichen Blick auf diesen Vorgang lesen darf. Insbesondere die hohe Belastung der Gefangenen durch eine Dauerüberwachung ist nicht ganz ohne - wurde aber in den letzten 24 Stunden kaum thematsiert.

  • so ziemlich alles an+inn einem gefängniss ist gegen die menchenwürde,also kein schlüssiges argument

  • Ein Haftraum mit einem Gitter hat "ideale" Bedingungen für eine Selbsttötung. Wie man sich nach nur 72 Stunden sicher sein wollte, dass sich dieser Mann - selbst ohne innere (depressive) suizidale Absichten - nicht das Leben nimmt, ist mir schleierhaft. Der Mann hat offensichtlich ganz rational seinem Leben ein Ende gesetzt.

     

    Die untersuchende Psychologin hat da eine Verantwortung übernommen, die sie nie hätte übernehmen dürfen ... denn wie Frau Bennefeld-Kersten richtig sagt: es kann immer passieren, lediglich das Risiko kann gering sein.