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Psychiater über Dolmetschen beim Arzt„Wenige Ärzte sind interessiert“

Mike Mösko hat in Hamburg ein Pilotprojekt zum professionellen Dolmetschen im Gesundheitswesen mit initiiert. Doch nur wenige ÄrztInnen nutzen es.

Nicht die Regel: migrantische Familie beim Arzt, begleitet von einem Dolmetscher Foto: Stefan Puchner/dpa
Interview von Petra Schellen

taz: Herr Mösko, warum gibt es hierzulande so wenige Profi-DolmetscherInnen im Gesundheitswesen?

Mike Mösko: Es gibt bei Verantwortlichen im Gesundheitssystem (Politiker, Krankenkassen, Ärzte, Verbände) eine Menge ablehnender Haltungen, wie etwa, dass Migranten nicht mehr motiviert seien, Deutsch zu lernen, wenn man ihnen einen Dolmetscher zur Seite stelle. Inzwischen gibt es einen Hoffnungsschimmer: Im Koalitionsvertrag der jetzigen Regierung steht erstmals, dass Dolmetschen zumindest im Gesundheitswesen als gesetzliche Regelleistung verankert werden soll. Wir hoffen, dass das Gesundheitsministerium in den nächsten Monaten einen Gesetzesentwurf vorlegt.

taz: Wer dolmetscht bisher beim Arztbesuch?

Mösko: Die gängige Praxis ist immer noch: Wenn du mich als deine Ärztin oder deinen Arzt verstehen willst, bring jemanden zum Übersetzen mit. Das hat zur Folge, dass die PatientInnen Freunde, Verwandte, aber auch Kinder zum Dolmetschen mitbringen. Oder man fragt MitarbeiterInnen – ArztkollegInnen, Pflege- oder Reinigungskräfte, auch Google Translator. All das hat sich als schwierig erweisen: Da wurden teils wichtige Diagnosen und Behandlungsinformationen nicht übersetzt, sodass PatientInnen nicht ausreichend versorgt wurden.

taz: Woher wissen Sie das? Sie können die Dolmetschenden ja nicht überprüfen.

Mösko: Genau diese Ungewissheit ist das Dilemma. Wenn Angehörige übersetzen, wissen Sie nicht, was bei den PatientInnen ankommt. Es gibt ein nachgestelltes Video von KollegInnen aus der Schweiz. Da kommt ein Patient zur Nachbesprechung der Blutuntersuchung zum Hausarzt. Der Arzt will dem türkischen Patienten sagen, dass er eine leichte, gut behandelbare Diabetes hat. Der hat seinen Neffen zum Übersetzen mitgebracht, der dem Onkel aber sagt: „Es ist alles in Ordnung.“ Der Neffe übersetzt es deswegen nicht, weil seine Tante an Diabetes starb. Daher fürchtet er, dass er dem Onkel dann auch mitteilen würde: „Du stirbst.“

taz: Werden PatientInnen manchmal wegen der Sprachbarriere abgewiesen?

Mösko: Ja, und gar nicht so selten. Bei unseren Befragungen unter PsychiaterInnen und PsychotherapeutInnen haben 17 Prozent angegeben, dass sie schon PatientInnen wegen der Sprachbarriere abgewiesen haben. Bei diabetologischen Praxen lag die Quote bei 20 Prozent.

taz: Gibt es derzeit gar keine Profi-DolmetscherInnen beim Arztbesuch?

Mösko: Doch, als Bottom-up-Bewegung. Es gibt viele Initiativen, die sich für DolmetscherInnen im Gesundheitswesen einsetzen. Bei Qualifikation und Bezahlung herrscht allerdings ein Flickenteppich. Es gibt zum Beispiel eine sehr starke Bewegung, die MigrantInnen empowern will – wie die „Stadtteilmütter“, die Migrantenfrauen als Dolmetscherinnen einsetzen wollen. VertreterInnen dieser Projekte plädieren für eine eher geringe Qualifizierung, etwa als mehrtägige Fortbildung. In diesem Modell ist die Dolmetscherin auch Begleiterin und Kümmerin. Andere plädieren für das akademische Dolmetschen, das sich aufs Übersetzen beschränkt. Da sind die Anforderungen höher und umfassen Qualifizierungsprogramme, die bis zu mehreren Jahren reichen.

taz: Wie steht es um die Bezahlung der Dolmetschenden?

Mösko: Auch das ist nicht einheitlich geregelt. Viele Organisationen arbeiten mit Ehrenamtlichen. Der Durchschnittslohn für professionelles Dolmetschen im Gesundheits- und Gemeinwesen wiederum beträgt 20 Euro pro Stunde. Aber man könnte sich auch am Tarifsystemen von Gerichtsdolmetschern orientieren, die 80 Euro und mehr pro Stunde bekommen. Das gilt aber vielen als zu teuer. Es ist schwer, einen Konsens zu finden, da es keinen Verband der Dolmetschenden im Gesundheitswesen gibt, der der Politik gegenüber Forderungen stellen könnte.

taz: Wie funktioniert nun Ihr Hamburger Pilotprojekt?

Mösko: Der Verein Seelische Gesundheit und Migration (Segemi) hat vor sieben Jahren den Hamburger Dolmetscherpool ini­tiiert, um diese Lücke zu füllen. Bis dato gab es in Deutschland zwar viele Einzelzentren, die sich auf die Versorgung Geflüchteter spezialisiert hatten – wie die Bundesarbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Folteropfer und Flüchtlinge. Es blieb aber die Frage: Wie steht es um die Regelversorgung durch einen niedergelassenen Hausarzt oder Psychiater? Wir stellten fest, dass in Hamburg nur wenige Ärzte eine andere Sprache sprechen und ein Angebot für Geflüchtete machen können. Um niedergelassenen Ärzten professionelle DolmetscherInnen anbieten zu können, hat uns auf unser Drängen die Hamburgische Bürgerschaft dann eine – inzwischen verstetigte – Förderung für unser Pilotprojekt bewilligt. Umgesetzt haben wir das Projekt in Zusammenarbeit mit der Psychotherapeutenkammer Hamburg und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband Hamburg.

taz: Wie genau haben Sie es umgesetzt?

Mösko: Da unser Verein Segemi sehr gut vernetzt ist, haben wir zunächst versucht, Dolmetschende für den psychlogisch-psychiatrischen Bereich zu finden. Dann haben wir flächendeckend inseriert und PsychiaterInnen und PsychotherapeutInnen gesucht, die sich beteiligen wollen. Von 1.600 in Hamburg niedergelassenen PsychiaterInnen und PsychotherapeutInnen nehmen derzeit 80 teil. Das sind fünf Prozent.

Privat
Im Interview: Mike Mösko

Mike Mösko

52, psychologischer Psychotherapeut, Professor für Klinische Psychologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal und Leiter der Arbeitsgruppe Psychosoziale Migrationsforschung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Er ist Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins Segemi – Seelische Gesundheit Migration und Flucht.

taz: Und wie interessiert sind somatische, mit körperlichen Symptomen befasste Praxen?

Mösko: Die fehlende Bereitschaft ist ein großes Problem. Hamburgs Sozialbehörde hat neben dem Fonds für psychotherapeutisch-psychiatrische Arztbesuche auch einen für Dolmetscher bei somatischen Ärzten aufgelegt. Von 4.000 Hamburger Praxen haben sich auf unsere Anfrage lediglich sechs gemeldet.

taz: Während das Hamburger Werner-Otto-Institut von Anfang an dabei ist.

Mösko: Ja. Es ist eine sozialpädiatrische Einrichtung für Kinder und Jugendliche mit psychischen oder körperlichen Erkrankungen. Um auch Müttern, die nicht gut Deutsch sprechen, zu erklären, wie sie damit umgehen, fragt das Institut bei uns an. Dolmetschende aus dem Segemi-Pool übernehmen dann den Termin. Inzwischen haben wir 84 DolmetscherInnen und 50 Sprachen im Pool.

taz: Wie prüfen Sie deren Qualifikation?

Mösko: Ein schwieriges Thema. Wir haben im Zuge wissenschaftlicher Untersuchungen festgestellt, dass ein Viertel der Dolmetschenden bundesweit keine Qualifikation hat und die übrigen eine Schulung von rund 20 Stunden. Deshalb sind im Segemi-Projekt eine Fortbildung sowie eine Supervision pro Jahr verpflichtend. Außerdem haben wir ein Feedback-System der Behandelnden. Darüber hinaus haben wir eine umfangreiche Mindestqualifizierung für DolmetscherInnen im Umfang von 500 Stunden mit externer Prüfung entwickelt und wissenschaftlich erprobt.

taz: Wo liegt das größte Problem für die Dolmetschenden?

Mösko: In der Rollenfindung. Viele Menschen dolmetschen, um ihren Landsleuten zu helfen. Das kann dazu führen, dass sie sich nicht genügend abgrenzen und auf Bitten der PatientInnen ihre private Telefonnummer herausgeben. Wir bestärken unsere Dolmetschenden darin, das abzulehnen und nicht am Wochenende weiter ehrenamtlich zu dolmetschen. Aber diese Abgrenzung fällt vielen unglaublich schwer.

taz: Ist Ihr Projekt wegweisend für andere Bundesländer?

Mösko: Bremen hat sich bereits angeschlossen und finanziert einen Dolmetscherpool für Arztbesuche. Und in Thüringen kann man kostenlos Dolmetscher sowohl im Gesundheitswesen als auch in der Verwaltung in Anspruch nehmen.

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9 Kommentare

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  • Warum gibt es kaum professionelle Dolmetscher im Gesundheitswesen?

    Weil niemand sich gerne ausbeuten lässt. 20 EURO für eine Stunde Arbeitszeit, sind eine Aufwandsentschädigung mehr nicht. Freiberufliche Dolmetscher müssen mehr verlangen, denn sie haben nur wenige, aber sehr anstrengende Arbeitsstunden. Sie haben Fahrzeiten, Vorbereitung und Verwaltung, sie müssen Steuern und Sozialabgaben entrichten. Die Grundlage ist häufig ein Studium, der Rest ist Praxis über Jahre und das Einarbeiten in komplexe Fragestellungen, mit entsprechender Verantwortung.

    Für 20 EURO werden Regale eingeräumt, auch gute Arbeit, ohne Vorbereitung, ohne Verantwortung.

    Wenn wir in ein anderes Land gehen, erwarten wir nicht besser behandelt zu werden als alle anderen. Das ist ein anderer Teil des Problems.

  • Warum wird nicht die Haftungsfrage gestellt an der alles hängt? Stellt der Patient selbst den Dolmetscher, ist der Arzt raus aus der Haftung, wenn hinterher behauptet wird, irgendwas sei bei der Beratung nicht oder falsch kommuniziert worden. Natürlich melden sich hier keine Ärzte freiwillig, um dann zukünftig auch noch für Übersetzungsfehler zu haften. Deshalb kann ja auch ein Nichtmuttersprachler eigentlich nicht behandelt werden in einer Praxis. Ohne Kommunikation und den Nachweis allen Beratungspflichten nachgekommen zu sein, begeben sich Ärzte auf ganz dünnes Eis. Das irgendwo in Deutschland Patienten per Google-Translator behandelt würden, halte ich ja für ein Gerücht. Die entsprechende Praxis wäre beim ersten Streit mit einem Patienten sofort geliefert.

  • Wie wird das finanziert? Wer ehrenamtlich seiner peer group helfen möchte, jederzeit gerne. Habe ich grössten Respekt davor. Aber dieser Ansatz ist nichts als Wasser auf die Mühlen derer, die jetzt schon rumlaufen und plärren: "Die kriegen alles bezahlt und wir kriegen nix!" Die Amtssprache zu beherrschen, ist unumgänglich! Wenn ich die Sprache meines Arztes nicht verstehe, muss ich mir einen Arzt suchen, der meine Sprache versteht.

  • Ich weiß nicht wie viele Jahre es bedarf eine Sprache halbwegs zu lernen in einem Land in dem man lebt?



    Die deutschen Auswanderer in Spanien und ähnlichem, lernen es auch nach Jahren nicht. Gehen zu deutschsprachigen Ärzten oder einmal in Deutschland zur Universaluntersuchung.



    Leider muss man es ganz einfach sehen - Pech gehabt.



    Ich sehe keinen Bedarf das gesamte medizinische System auf die Bedürfnisse ein paar weniger Menschen umzukrempeln.



    Es würde auf jeden fall den Beruf der Dolmetscher beflügeln. Einen für Arabisch, einen für Russisch, Englisch, Suaeli, Japanisch, Chinesisch . . . .



    Witziger Weise findet man alle Arten der Mediziner in türkischen Ballungsgebieten als Muttersprachler für ihre Klientel.



    Das bedeutet, Türken mit fast keinen deutschen Sprachkenntnissen in Großstädten müssen nicht deutsch lernen für ihren Arztbesuch und Dolmetscher fürs Ländliche wäre nobel, teuer. nur die Dolmetscher gehen nicht aufs Land :))

  • Sprache lernen ist erforderlich.



    Ststt in Dolmetscher sollte in Sprachkurse investiert werden. Verpflichtend für alle, die hier angekommen sind.



    Ermöglicht Teilhabe und Arbeit.

    Wer soll die 80 Euro Stundenlohn zahlen? Krankenkasse? Steuerzahler?



    Bei Krankenkasse wären die Privatversicherten mal wieder raus. Wird die lange Wartezeit beim Arzt auch bezahlt?

    Das kann so nicht funktionieren. Es funktioniert nur mit der Sprache.

    Ich begleite meine Mutter auch immer zum Arzt. Sie kann das nicht mehr alleine. Ich nehme mir Urlaub und übersetze, da sie nicht mehr gut hört.



    Geld habe ich dafür noch nie erhalten.

    Genau solche Dinge spalten ungemein.



    Will nur keiner wahrnehmen.

    • @D. MEIN:

      Ja, Sprache lernen ist erforderlich.



      Braucht aber auch Zeit.



      Sollen die Leute bis dahin keine angemessene medizinische Behandlung erhalten?



      Sie schaffen es offenbar für Ihre Mutter zu übersetzen. Im Artikel steht aber doch die deutliche Erfahrung, dass viele Familienangehörige das nicht können. Obwohl sie beide Sprachen beherrschen.



      Es gibt Menschen mit Lernbehinderungen. Die können im Erwachsenenalter keine Sprache über Smalltalkniveaus hinaus lernen. Und die sollen dann beim Arzt wichtige Entscheidungen treffen. Ohne die Sprache wirklich zu verstehen?



      Wir können natürlich die Ärzte verpflichten, die Sprache ihrer Patienten zu lernen. Aber wann sollen die das tun? Die arbeiten doch jetzt schon so viel. Und bei wie vielen Sprachen ist es genug?



      Dann doch lieber die Praxen verpflichten, eine funktionierende Terminvergabe zu organisieren. Dann muss der Dolmetscher auch nicht so lange warten.



      Daseinsführsorge für alle zu organisieren darf aber in keinem Fall etwas sein, das spaltet. Medizinische Versorgung muss jedem möglich sein. Auch bei Hürden, die nicht von jedem überwunden werden müssen.

      • @Herma Huhn:

        "Dann doch lieber die Praxen verpflichten, eine funktionierende Terminvergabe zu organisieren."

        Wie soll das den funktionieren. Jeder Patient benötigt verschiedene Zeit zur Beratung/Behandlung. Soll man jetzt für alle 15 Minuten Beratungszeit festlegen? Danach muss der Patient gehen?

        Hier geht es um die Gesundheit von Menschen und nicht um ein Zeitfahrfen bei der Tour de France.

      • @Herma Huhn:

        In meiner Heimatstadt gab es mal einen Bericht über die verschiedenen Sprachen hier. Es sind 134



        Da werden sich die Ärzte freuen.



        Dolmetscher für 134 Sprachen?

      • @Herma Huhn:

        "Wir können natürlich die Ärzte verpflichten, die Sprache ihrer Patienten zu lernen. Aber wann sollen die das tun? Die arbeiten doch jetzt schon so viel. Und bei wie vielen Sprachen ist es genug?"

        Sie können Ärzte zu keiner Fremdsprache verpflichten.