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Prozess zum Mord an Walter LübckeStephan Ernst gesteht den Schuss

Er habe sich von falschen Gedanken leiten lassen, erklärt der Tatverdächtige im Fall Lübcke. Den Mitangeklagten Markus H. belastet er schwer.

Übernimmt etwas Verantwortung: Mutmaßlicher Mörder Stephan Ernst Foto: Kai Pfaffenbach/Pool via AP

Frankfurt a. M. taz | „Es war feige und grausam, es ist unentschuldbar und wird immer unentschuldbar bleiben“. Mit einer Selbstanklage hat der mordverdächtige Stephan Ernst am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht Frankfurt Verantwortung für die tödlichen Schüsse auf den früheren Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke übernommen. Dabei belastete er auch seinen Mitangeklagten Markus H. schwer.

Zwar habe er selbst in der Tatnacht den tödlichen Schuss abgegeben, bekannte Ernst. Die Tat habe er allerdings gemeinsam mit seinem „Mentor“ H. geplant und ausgeführt. „Ich habe mich von falschen Gedanken und Personen leiten lassen“, erklärte der mutmaßliche Mörder und bat die im Gerichtssaal anwesende Witwe und die Söhne Lübckes um Verzeihung. Er wisse, was er ihnen angetan habe, sagte Ernst und fügte hinzu: „Es tut mir leid. Ich kann es nicht rückgängig machen.“

Mit diesem dritten Geständnis korrigierte Ernst seine bisherigen Aussagen, in denen er sich zunächst selbst als Einzeltäter und dann den Mitangeklagten H. als angeblichen Todesschützen belastet hatte. Seine damaligen Verteidiger hätten ihm zu diesen Falschaussagen geraten, verteidigte sich Ernst.

Der Angeklagte überließ es seinem Rechtsanwalt Mustafa Kaplan, die Erklärung zu verlesen, in der er seine „beschissene Kindheit und Jugend“, den Weg in die rechtsextreme und neonazistische Szene, seine politische Radikalisierung und schließlich die Vorbereitung und Ausführung des Mordes nachzuzeichnen versucht. Sein Elternhaus schildert er als „Hölle aus Gewalt, Jähzorn und Einsamkeit“. Der alkoholabhängige Vater habe ihn und seine Mutter regelmäßig und aus nichtigen Anlässen brutal zusammengeschlagen: „Ihre Schreie, ihr Flehen, ihr Weinen – es war nicht auszuhalten.“

Schießübungen auf Fotos von Angela Merkel

Es folgten Angstzustände, als Neunjähriger habe er begonnen, sich selbst zu verletzten. Die Freundschaft mit einem türkischen Jungen zerbricht, der Vater verbietet ihm, mit „Kanaken“ zu spielen. Ihre rassistische Einstellung wird schließlich zum einzigen verbindenden Element zwischen Vater und Sohn.

Die kriminelle Karriere des Jugendlichen beginnt mit Einbrüchen und Diebstählen, schließlich folgt ein Brandanschlag auf Geflüchtete. In der Jugendhaft gibt es erste Kontakte zu „national eingestellten“ Mitgefangenen. Über eine NPD-Party und Demonstrationen gerät Ernst in die Neonazi-Szene mit Straßenschlachten im „Anti-Antifa-Kampf“. Stets hätten ihn Selbstzweifel und Angstzustände begleitet. Er versucht es mit Therapien und Medikamenten.

Nach seinem Ausstieg aus der rechten Szene will Ernst sich eigentlich auf Familie, Beruf und sein Haus konzentrieren. Doch in seiner Firma trifft er auf den Waffennarr und Ex­tremisten Markus H. Der motiviert ihn zum Bogenschießen in einem Schützenverein. Man redet über Politik. H. habe von bevorstehenden bürgerkriegsähnlichen Zuständen gesprochen: „Wir Deutschen müssen uns bewaffnen“, habe er gesagt. „Er hat mich radikalisiert und aufgehetzt und ich habe es ihm erlaubt“, sagt Ernst: „Er bestimmte, wo wir hingehen.“

Es folgen Schießübungen mit scharfen Waffen, man zielt auf Schießscheiben, auf denen Bundeskanzlerin Angela Merkel abgebildet ist. In der Wahrnehmung von Ernst und H. ist sie eine „Volksverräterin“, wie auch Walter Lübcke, der 2015 Merkels Flüchtlingspolitik verteidigte und so ins Fadenkreuz der beiden gerät.

„An den kommen wir ran“, habe H. gesagt. Dann reifte der Plan, Lübcke einen „Besuch“ abzustatten. Wochen vor der Tat hätten sie falsche Kennzeichen vorbereitet, am Tattag seien sie gemeinsam zum Haus des CDU-Politikers gefahren. Bei der Konfrontation mit Lübcke auf dessen Terrasse ein letzter Wortwechsel: „Für so was wie dich gehe ich arbeiten“, habe Ernst gerufen und H. „Zeit zum Auswandern!“. „Verschwinden Sie!“ habe Lübcke entgegnet, dann habe Ernst abgedrückt.

Seit gut einem Jahr sitzt er in Untersuchungshaft. Er bittet den Vorsitzenden Richter, ihn in ein Programm für Aussteiger aus der Neonaziszene zu vermitteln. „Niemand sollte sterben, weil er eine andere Meinung, Religion oder Herkunft hat“, lässt der mutmaßliche Mörder schließlich seinen Verteidiger vortragen.

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4 Kommentare

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  • Warum wird hier der Name des Täters so prominent genannt, während er beim Prozess in Halle (an vielen Stellen) bewusst nicht genannt wird?



    Ist es nicht wichtiger, die Motive und Mechanismen aufzuklären, als die Namen zu veröffentlichen?



    Die Offenheit mit Namen ist in den USA sehr verbreitet, war aber hier oft eher im Hintergrund. Das fand ich gut. So gab es nicht den einen Täter, sondern man konnte sich unabhängig vom konkreten Fall auf die gesellschaftlichen Implikationen konzentrieren.



    Außerdem gelten die Persönlichkeitsrechte von Angeklagten, zumal sie in einer sehr wehrlosen Situation sind. Ich würde mir da vorsichtigere Abwägung der Namensnennung wünschen.

    Dies ist auch nicht als flammende Kritik zu verstehen, eher als Nachfrage. Es wurde ja im Zusammenhang mit dem Halle-Prozess eine taz-interne Diskussion angekündigt, vom Ergebnis habe ich aber noch nichts gelesen. Ist das an mir vorbei gegangen?

  • Interessant und sicher nicht untypisch,seine Entwicklung. Erinnert Ann den Film American History X.

  • Natürlich ist es strafprozessual völlig korrekt, dass der Verteidiger die Erklärung des Angeklagten verliest. Aber das Manöver ist durchschaubar: Wie komme ich um die Sicherungsverwahrung herum? Oder die besondere Schwere der Schuld? Ehrlicher (wenn er es denn ehrlich gemeint hätte) wäre es gewesen, selbst zu reden. Aber ich - natürlich nur aus der Ferne bzw. aufgrund der Berichterstattung - glaube dem Angeklagten kein Wort der Reue.

    • @donkeyfarm:

      nur zu Ihrer Info. Für dieses Geständnis sind 3 Tage eingeplant, in denen auch Rückfragen an den Angeklagten selbst möglich sind. Zudem hat er sich von dem Verteidiger getrennt, der den konfrontativen Kurs gefahren ist - das deutet für mich beides in die gegenteilige Richtung, dass man dem Angeklagten schon glauben kann.