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Prozess zum Anschlag in HalleDas Schweigen der Familie

Die Familie des Attentäters von Halle schweigt vor Gericht. Die Aussage eines Bekannten zeigt: Alle sahen weg, als der Angeklagte sich radikalisierte.

Fluchtgefahr: Der Attentäter von Halle trägt im Gerichtssaal Fußfesseln Foto: Ronny Hartmann/ Pool via Reuters

Magdeburg taz | Keine fünf Minuten sitzen der Vater, die Mutter und die Halbschwester des Attentäters von Halle an diesem Mittwoch im Saal des Oberlandesgerichts Naumburg in Magdeburg – gerade lange genug, um von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Sie tragen nichts zur Klärung der Frage bei, wie es dazu kommen konnte, dass ihr Sohn, ihr Bruder am 9. Oktober 2019 schwer bewaffnet die Synagoge in Halle zu stürmen versuchte und nach Misslingen dieses Planes zwei Menschen tötete.

Der vierte Verhandlungstag im Halle-Prozess beginnt also mit Schweigen. Dabei wären gerade die Aussagen der Familie für die Neben­klä­ge­r:in­nen von Interesse. Laut Anwältin Kristin Pietrzyk wollen diese erfahren, in welchen Strukturen sich der Täter bewegt hat, ob und wie sich seine rechtsextreme Ideologie geäußert hat, die schlussendlich in den Angriff auf eine Synagoge und einen Imbiss mündete. Nach bisherigen Erkenntnissen war das soziale Leben des Angeklagten größtenteils auf seinen Familienkreis beschränkt.

Der vierte Zeuge dieses Verhandlungstages ist dann der ehemalige Partner der Schwester des Angeklagten. Zu fern verwandt, um die Aussage zu verweigern, und nah genug, um einen Einblick in die Familie zu haben, stellt er sich fast vier Stunden den Fragen der Richterin und der Anwaltschaft. Über das Verhältnis zur Mutter, über das zum Vater, in dessen Schuppen er die beim Attentat eingesetzten Waffen herstellte. Über die Schwester, die nie so viel Aufmerksamkeit bekommen habe wie der Angeklagte.

Ruhig und zurückhaltend sei er gewesen, sagt der Zeuge und bestätigt das vorherrschende Bild. Er zeigt jedoch auch eine andere Seite auf. Am Mittagstisch bei der Mutter habe es regelmäßig „Gerede“ gegeben. 2015 über die „Flüchtlingskrise“, darüber, ob Bundeskanzlerin Merkel regierungsfähig sei. Es erscheint dem Zeugen oft schwer, konkrete Aussagen wiederzugeben. An eine Aussage des Angeklagten aber erinnert er sich: „Die Juden sind schuld.“ Er habe sich „rausgehalten“, sagt der Zeuge.

Auch nach „der Sache“ wird geschwiegen

Rausgehalten habe er sich auch, als der Angeklagte in einem Supermarkt zwei Menschen lautstark anging, weil diese sich nicht auf Deutsch unterhielten. Rausgehalten habe er sich auch beim Thema Arbeitslosigkeit. Er habe nichts dazu gesagt, dass ein Messer, ein Helm, ein Schwert, leere Patronenhülsen und ein Modellpanzer das Kinderzimmer des Angeklagten dekorierten. Er fragte nicht nach, warum der Angeklagte paranoid gegenüber Ortungssystemen und dem Anlegen von Accounts war. Er begutachtete eine vom Angeklagten gefertigte Metallpresse und beantwortete fachliche Fragen zur Metallverarbeitung, hielt sich aber raus, als es darum ging, was der Angeklagte im Schuppen seines Vaters machte.

Auch heute, nach „der Sache“, werde in der Familie geschwiegen. „Keiner will es ansprechen.“ Die Mutter sei nach einem Selbsttötungsversuch zu labil, der Vater am Verdrängen. In all seinen Schilderungen wirkt der Zeuge passiv. Auch als es um seine eigene Einbindung in die rechtsextreme Szene geht, die „sehr lange“ zurückliege und auch „nur ein halbes Jahr oder bestimmt noch weniger“ gedauert habe.

Doch eben eine solche Passivität hat das Attentat erst ermöglicht. Dies betonen mehrere An­wäl­t:in­nen der Nebenklage. Eine Nebenklägerin richtet selbst das Wort an den Zeugen: „In der Szene im Supermarkt zeigte sich doch schon, dass aus dem Täter der würde, der er wurde. Vor dem Hintergrund, dass das ein Prozess ist: Wie würden Sie Ihren Sohn davon abhalten, so zu werden, wie der Angeklagte ist?“ Seine Antwort: Er wisse es nicht.

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5 Kommentare

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  • Versucht Ihr hier der Familie eine Mitschuld zu geben weil sie ihren Sohn nicht an die Polizei gemeldet haben? Wie Weltfremd seit iht eigentlich? Mal hier drei Beispile aus meinem Leben:

    Eine Freundin wurde von Ex gestalkt. Sie ist zu Polizei, die konnte aber nicht machen "solange er nichts tut". Irgendwann hat er ihr aufgelauert, in ihre Wohnung gezerrt und stundenlang verprügelt und vergewaltigt. Dann hat er 8 jahre bekommen...

    Während der Technikerschule hatten wir einen Klassenkammeraden aus dem Kosovo der zum Islam konvertiert ist. Für den stand der Islam übe allem. Er hat wenn es Zeit zum beten war leere Prüfungsblätter abgegeben weil "Allah das schin richten wird" Freitags kam er garnicht weil er da in der Moschee beim beten war. Die Schulleitung hat sich nicht getraut ihm die Fehltage wie uns allen ins Zeugniuss einzutragen. Und um seine Religiösen Ansichten zu respektieren wurde das Thema Frauenrechte aus dem Lehrplan gestrichen. Was wäre wohl passiert wenn wir den der Polizei gemeldet hätten? Nichts? Wahrscheinlich! Ein halbes jahr später war er weg weil er zu der Gruppe gehört hat die in Ulm versucht hat eine Bombe für einen Anschlag zu bauen... Ich habe mich regelmäßig verbal mit ihm gestritten, mein Klassenkammeraden haben schon gewitzelt das der sich irgendwann in meiner Hofeinfahrt in die Luft sprengt...

    So, zugeterletzt mein Schulfreund aus fruheren Jahren, der auf dem C64 KZ Manager gespielt hat, die Orden von seinem Opa an der Wand hängen hatte und zwei mal pro Woche Plattoon angeschaut hat. Soll ich den jetzt melden? Inzwischen ist er AfD wähler, Klimawandelleugner, hat ne ziemlich echt aussehende Gaspistole und schimpft auf Ausländer - ist schon lange nicht mehr mein Kumpel, den Scheiss von ihm kriege ich nur noch üpber Facebook mit...

    Da laufen sooo viele Irre draussen rum, die kann man nicht alle überwachen. Und zwischen den Maulhelden und echten Tätern ist es ein schmaler Grat. Den Eltern darf man kda keine Schuld geben...

  • Ich habe mich nie,



    nirgends rausgehalten…



    das muss man in dieser



    Gesellschaft aber erst



    einmal AUSHALTEN!

    Opportunismus als Selektionsprinzip der Macht kann Gewaltenteilung nicht leisten. Aphorismus 200607



    an die Rechtsanwaltskammer Ffm

  • So richtig aussagekräftig ist der Zeuge aber auch nicht.

    Ja, es sind definitiv Indizien für eine rechtsradikale Gesinnung, aber hätte man daraus ableiten können, dass es zu dieser Tat kommen würde?

    Der Hang zum Militarismus und auch historischen Zeiten wie dem Mittelalter ist in rechten Kreisen weit verbreitet (nein, das heißt nicht, dass jemand rechts ist, weil er/sie sich für das Mittelalter interessiert...mach ich ja selbst auch), daher wären ein Schwert, leere Patronenhülsen und ein Modellpanzer nicht mal ungewöhnlich.



    Die Metallpresse.....hm, ja da hätte man nachhaken können. Hat der Zeuge ja vielleicht auch und wollte es nur nicht sagen.

    Die eigentlich wichtige Frage wäre gewesen: Hat die Familie von den Plänen gewusst?

    • @Jan Berger:

      Die Metallpresse stößt mir auch auf. Angenommen mein "Schwager" fragt mich über Metallverarbeitung aus und hat dann im Schuppen eine Metallpresse in Betrieb. Da ist es doch wirklich normale menschliche Neugier mal zu fragen "was machste denn da?"

    • @Jan Berger:

      Diese Frage werden wir nie beantworten können. Ich halte es aber auch für unwahrscheinlich.