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Prozess zu Mannheimer MesserangriffSüleiman A. schweigt zur Tat

Was trieb den mutmaßlichen Mannheimer Attentäter an? Am zweiten Prozesstag äußert sich der Angeklagte dazu nicht. Dafür eines seiner Opfer.

Petra Laur, die Mutter des 29-jährigen getöteten Polizisten, beim Auftakt des Staatsschutzverfahrens um den Angriff im Gerichtssaal

Stuttgart taz | Für seine Aussage am zweiten Prozesstag am Oberlandesgericht Stuttgart hat sich Suleiman A. ein frisch gebügeltes weißes Hemd angezogen. Der Richter lässt ihn, statt auf der streng abgeschirmten Anklagebank, an diesem Donnerstag auf dem Platz für Zeugen sitzen. A. berichtet von Armut und Gewalt in Afghanistan in seiner Jugend und der gefährlichen Flucht nach Europa. Von Heirat und Schulerfolgen. Von seiner Tat in Mannheim berichtet er nicht.

Wenige Stunden später sagt am gleichen Platz eines der Opfer von Suleiman A. aus. Konrad S. wurde am 31. Mai 2024 mutmaßlich von A. auf dem Mannheimer Marktplatz bei einer Kundgebung der islamfeindlichen Bürgerbewegung Pax Europa (BPE) lebensgefährlich verletzt, wie vier weitere Teilnehmer. Der ebenfalls attackierte 29 Jahre alte Polizist Rouven Laur erlag seinen Verletzungen. Die Staatsanwaltschaft wirft A. Mord und vierfachen versuchten Mord vor. Konrad S. und Laurs Angehörige sind auch Nebenkläger in dem Verfahren.

S., Metallarbeiter, war Ordner bei der Kundgebung, er ist seit 2021 Mitglied bei Pax Europa. Er weiß wenig über die Inhalte des Vereins, außer, dass er gegen die Scharia ist. Kritische Fragen des Richters, ob der Verein nun islamfeindlich oder -kritisch sei, kann er kaum beantworten. Doch als er vom Tag der Messerattacke berichtet, dem Handgemenge mit dem Angreifer, dem Blut und den Verletzungen, kommen ihm die Tränen. Er berichtet von Albträumen und davon, dass er bis heute nicht mehr als Ordner für seinen Vereins arbeiten kann.

Suleiman A. verfolgt den Emotionsausbruch des Manns, den er fast getötet hätte, mit verschränkten Armen. Zu seiner Tat, sagen seine Anwälte, wolle er sich erst zu gegebenem Zeitpunkt äußern.

Suleiman berichtet von Kindheit in Afghanistan

Dafür äußert sich Suleiman A. zu seinem Leben: Mit hoher Stimme und leicht gebrochenem Deutsch berichtet der schmale kleine Mann von seiner Kindheit in Afghanistan. Die Hände wirken gepflegt, wenn er gestikuliert. Suleiman A. wird als Sohn eines Teppich-Händlers in Herat geboren. Die Familie ist vergleichsweise wohlhabend, A. berichtet von einem bewaffneten Überfall im Familienhaus, wo Goldschmuck der Familie geklaut wurde. Trotzdem ist es für die Eltern nicht leicht, den beiden Söhnen eine Flucht nach Europa zu ermöglichen. 20.000 hätte die Familie für ihn und seinen Bruder an Schleuser bezahlt, berichtet der Angeklagte.

A. ist elf Jahre, als sie sich auf den Weg machen. Eineinhalb oder zwei Jahre sind sie unterwegs, genau weiß er es nicht; zu Fuß per Transporter und Schiff über Iran, Türkei, Griechenland, Italien und Frankreich nach Deutschland. Es ist ein Fluchtgeschichte, von der viele erzählen können, eine Geschichte von brutalen Fußmärschen, kalten Nächten im Freien, Schleusern, die sie im Stich lassen wollen.

Suleiman A. kommt schließlich über Frankfurt ins Südhessische, macht Sprachkurse und einen Hauptschulabschluss. Dort trifft er seine spätere Frau mit türkischen Wurzeln. Sie kommt offenbar aus einer streng muslimischen Familie. Die Teenager verlieben sich, glucken zusammen, sagt eine Lehrerin in der Polizeivernehmung, das merkt auch der Bruder des Mädchens. Sie bekommt dafür Prügel vom Vater. „Er hat ein bisschen ihre Hände kaputt gemacht“, sagt dazu A. Ob die Familie seiner späteren Frau sehr konservativ sei, will der Vorsitzende Richter wissen. „Nein das sind die Regeln, wie bei allen anderen“, antwortet Süleiman A. Mit 18 dürfen sie heiraten, ein Hochzeitsfoto, das auf den Bildschirm projekziet wird zeigt A. mit einem karierten Anzug. Der Bart ist noch wesentlich kürzer als heute.

Ausbildungsvertrag bei Aldi wurde aufgelöst

A. jobbt bei einer Zeitarbeitsfirma, als Postzusteller und in einer Tapasbar. Er meldet ein Gewerbe an: „Reinigung nach Hausfrauenart“, doch es kommen keine Kunden. Ein Ausbildungsvertrag bei Aldi wird wieder aufgelöst, A. erinnert sich, dass in seiner Kasse einmal 100 Euro gefehlt haben. „Vielleicht lag es daran“, sagt er. In dieser Zeit macht er viel Taekwondo, den Kampfsport hat er schon in Afghanistan erfolgreich getrieben. Für seinen Verein in Heppenheim gewinnt er Wettbewerbe, wird dritter bei den Hessenmeisterschaften und erreicht sogar den rotschwarzen, den dritthöchsten Taekwondo-Gurt.

Seine Frau motiviert ihn die Abendrealschule zu machen, er wird zum Schülersprecher gewählt, schließt mit einer glatten zwei ab, plant mit Abendgymnasium weiter zu machen. Dann kommt das zweite Kind, das mit einem Herzfehler geboren wird, A. lässt sich beurlauben, er müsse seiner Frau helfen.

Ein Schlüssel, wie sich Suleiman radikalisiert hat, könnte seine geistige Verfassung sein. Der psychiatrische Gutachter interessiert sich für eventuelle Erkrankungen. Süleiman A. berichtet von einem Besuch beim Psychologen, wegen Kopfschmerzen. Der Psychologe habe ihm gesagt, er solle nicht zu viel denken. Als der Richter den Angeklagten auf einen Notruf seiner Frau bei der Polizei einige Zeit vor der Tat anspricht, erhebt sein Anwalt Einspruch. Sie hat angerufen, weil er in letzter Zeit „psychologisch am Kopf nicht so stabil“ gewesen sei. Dann ist die erste Befragung beendet. Der Prozess wird fortgesetzt.

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9 Kommentare

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  • Seltsame Fragen an die Opfer ("ob der Verein nun islamfeindlich oder -kritisch sei"), Distanzlosigkeit zum Täter ("Die Hände wirken gepflegt"), der "in einem weißen Hemd" auf der Zeugenbank sitzt, während sein Hochzeitsfoto gezeigt wird.



    Da geht etwas in die falsche Richtung



    .!

  • Mal so allgemein, bei einigen Taten gibt es ja z.b. Filmaufnahmen und Fotos von Zeugen oder Überwachungskameras sowie andere stichhaltig Beweise, die nicht zu widerlegen sind. Muss man bei inflagranti ertappten Tätern immer "mutmaßlich" davor setzen, bei den Prozessen geht es dann ja hauptsächlich um das Strafmaß und Schuldfähigkeit.



    Das ist so eine gesellschaftliche Tendenz, dass man Ursache und Wirkung trennen möchte, damit jeder machen kann was er will und jede Konsequenz von sich weisen kann. Das setzt sich ja in der Rechtsprechung fort, hätte der Täter mal vorher eine Flasche Schnaps getrunken, könnte er mit einem milderen Urteil rechnen. Verantwortung für das eigene Leben übernehmen und sich an Gesetze halten sollte voraus zu setzen sein, wenn ersteres aufgrund schwerer psychischer Erkrankungen nicht möglich ist, kann man das in der Form der Strafe berücksichtigen, aber bei letzterem sollte das Gesetz für alle gleich sein, ob einen jetzt ein Gott, Groll auf wen auch immer oder der Suff zu vorgeblich zu einer Tat verleitet haben mag.

  • Es wird immer großspurig erzählt, wie man die Tat hätte verhindern können. Jetzt sieht man: Seine Frau hätte sie vielleicht verhindern können. Aber sie war allein. Einen Termin beim Psychiater gab es nicht, und dass ihr Mann für ein paar Tage in eine psychiatrische Klinik hätte gesteckt werden können nach Art. 1 BayPsychKHG, das wusste sie nicht. Am Ende sind es immer kleine Dinge, nicht die Großen, die den Ausschlag geben.

    • @hedele:

      Das ist diese typisch deutsche hätte-hätte-Fahrradkette Mentalität. Die Leute denken immer, man könne das Leben 120% sicher machen. Aber das geht nicht. Verbrechen geschehen leider immer wieder. Um alle Verbrechen zu verhindern, müssten wir alle in Zwnagsjacken herumlaufen.

      Im nachhinein lassen sich immer Zustände zusammen basteln, die es verhindert hätten. Aber es geht nicht im vorhinein. Wir haben eine Polizei, die versucht, das einzudämmen und das tut sie auch. Die Kriminalstatistik beweist, dass wir im sichersten Deutschland aller Zeiten leben. Mehr geht nicht.

    • @hedele:

      In der Praxis braucht es mindestens schwere Köperverletzung oder Mord (durchgeführt, nicht geplant), bis in Deutschland eine Zwangseinweisung durchgeführt wird. Selbst Morddrohungen und Bedrohung mit gezücktem Messer reicht dafür nicht.

    • @hedele:

      Auf welcher Rechtsgrundlage hätte er in eine Klinik "gesteckt" werden können?

      Wo entnehmen Sie die Eigen-oder Fremdgefährdung?

    • @hedele:

      Ja, kleine Ursache, große Wirkung. Aber ich wage zu behaupten, dass die übergroße Mehrheit der in diesem Land lebenden Menschen die rechtlichen Voraussetzungen nicht kennen, um jemand in die "Psychiatrie stecken" zu können.

      Und wenn Frau A. sich auf das Bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz berufen hätte, hätte man ihr wohl erklärt, dass das in Hessen, wo die Familie lebte, nicht gilt. Oder gilt das bundesweit?

      • @ PeWi:

        Dann kann man 90% der Bevölkerung gleich in die Psychiatrie stecken, "weil psychologisch nicht so stabil".

  • „Er hat ein bisschen ihre Hände kaputt gemacht“ Die taz berichtet über frauenfeindliche Gewalt in streng muslimischen Familien, wow.