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Ungebrochen: der ­Angeklagte Kenan Ayaz Foto: Marcus Brandt/dpa/picture alliance

Prozess gegen kurdischen AktivistenVerfolgter oder Terrorist?

Seit November steht Kenan Ayaz in Hamburg vor Gericht. Er soll Demonstrationen für die PKK organisiert haben. Kann es sich um Terrorismus handeln?

D as Besucherzimmer in der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis ist stickig und eng. Hinter einer Glasscheibe sitzt ein Mann in blau-grün karierten Hemd, mit randloser Brille und lichtem Haar. Die deutschen Sicherheitsbehörden halten ihn für einen Terroristen. Er selbst sagt: „Ich habe in meinem Leben keiner Ameise etwas zuleide getan“. Kenan Ayaz, 49 Jahre, Kurde aus der Türkei, sitzt seit 13 Monaten in Hamburg in Untersuchungshaft. Bei einer Verurteilung drohen ihm viereinhalb Jahre Haft.

Gewalttaten werden Ayaz, der als anerkannter politischer Flüchtling in Zypern lebte, nicht vorgeworfen. Die Bundesanwaltschaft hat ihn angeklagt, weil er an der Organisation von „Propaganda­veranstaltungen und Versammlungen“ wie Demonstrationen und Festivals beteiligt und in Spendensammlungen eingebunden gewesen sein soll. An sich sind das keine Rechtsverstöße. Wäre da nicht der Terrorismus­paragraf 129b des Strafgesetzbuches. Weil Ayaz seine Tätigkeiten als verantwortlicher Kader für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ausgeübt haben soll, wird das an sich legale Verhalten zur „Betätigungshandlung“ in einer terroristischen Vereinigung.

Für die deutschen Sicherheitsbehörden ist die PKK „mit ihren etwa 14.500 Anhängern in Deutschland die mitgliederstärkste terroristische Vereinigung auf deutschem Boden“. In Deutschland wurde die Organisation 1993 gesetzlich verboten, in einer Phase, als die PKK türkische Einrichtungen angriff, Schutzgeld erpresste und man die öffentliche Ordnung in Deutschland bedroht sah. Auf der europäischen Terrorliste landete sie im Jahr 2002.

„Mörder sind nur wenige Tage in Isolationshaft, aber ich als politischer Gefangener saß dort drei Monate“

Kenan Ayaz

Doch es gibt noch eine andere Erzählung, nämlich die, dass die Gewalt der PKK eine Reaktion ist auf die Unterdrückung von Kurden in der Türkei. Dass die PKK sich seit Jahren um Frieden bemüht, während der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan die Verhandlungen 2015 zuletzt abgebrochen hat. Und vor allem: Dass die PKK in Deutschland schon seit Mitte der 90er Jahre keinen terroristischen Akt mehr verübt hat. Ist das Verfahren gegen Kenan Ayaz vor diesem Hintergrund verhältnis­mäßig, oder reagiert die deutsche Politik gar auf Wünsche Erdoğans?

Kein Einzelfall

Sechs schwere Türen aus Eisen und Panzerglas muss man durchschreiten und mehrere Sicherheitskräfte passieren, um ins Besucherzimmer zu gelangen. Man wird begleitet von einer Kurdisch-Dolmetscherin und einer Beamtin des LKA, die in den kommenden 30 Minuten darauf achten wird, dass das Gespräch nicht auf das Verfahren oder die PKK fällt.

Zur Begrüßung legt Kenan Ayaz seine Hand auf die Scheibe. Ein freundliches Nicken. „Rojbaş“ – „Rojbaş“ – „Tu çawa ye?“ – „Danke, gut und selbst?“ Ayaz lächelt, es gehe ihm gut, sagt er. Besser als in Isolationshaft, wo er die ersten Monate in Deutschland verbracht habe, erzählt er. „Mörder oder andere Verbrecher sind nur wenige Tage in Isolationshaft, aber ich als politischer Gefangener saß dort drei Monate“, sagt Ayaz.

Dass sein Fall für Deutschland von besonderer Bedeutung ist, zeigt seine Festnahme. Am 15. März 2023 wurde er am Flughafen von Larnaka in Zypern festgenommen und inhaftiert, als er auf dem Weg war, seine Familie in Schweden zu besuchen. Grund dafür war ein Haftbefehl, der Mitte Mai 2022 durch den Generalbundesanwalt beantragt und dann auch vom Bundesgerichtshof erlassen wurde. Das Gericht ist eine der höchsten juristischen Instanzen in Deutschland. Ayaz wird behandelt wie ein Staatsfeind.

Der Fall Ayaz ist kein Einzelfall. Nach Informationen der kurdischen Nachrichten-Plattform ANF wurde Anfang Juni das vermeintliche PKK-Mitglied Ferit Çelik aus Schweden ausgeliefert. Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz bestätigt zumindest dies: Der Beschuldigte eines Ermittlungsverfahrens sei auf Grundlage eines europäischen Haftbefehls in Schweden festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert worden. Ob es sich dabei um Çelik handelt, beantwortet die Generalstaatsanwaltschaft nicht und verweist dabei auf den Datenschutz.

Ein weiterer Fall betrifft Mehmet Çakas. Vor dem Oberlandesgericht Celle wurde Çakas am 10. April wegen der „mitgliedschaftlichen Beteiligung in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (PKK)“ zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Rechtskräftig ist das Urteil bisher nicht. Am 13. Juni wurde die kurdische Frauenrechtsaktivistin Gülhatun Kara dem Portal ANF zufolge aufgrund eines deutschen Auslieferungsgesuchs in Frankreich festgenommen. Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz bestätigt die Festnahme einer Beschuldigten in Frankreich. Auch hier bleibt aus datenschutzrechtlichen Gründen unklar, ob es sich um Kara handelt.

Folter im türkischen Gefängnis

Wie es sich für Kenan Ayaz anfühlt, dass er nach der Verfolgung in der Türkei nun in Deutschland erneut in Haft sitzt? Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. „Haben Sie sich mit meiner Biografie befasst?“, fragt Ayaz. Seine Geschichte hat er in einer persönlichen Erklärung vor Gericht dargelegt.

1975 wurde er im mehrheitlich kurdischen Dorf Halaxe, auf Türkisch Narli, in der Provinz Mardin als siebtes von acht Kindern in eine kurdische Familie geboren. Er erinnert sich noch heute an die Verwirrung an seinem ersten Schultag, als er die Lehrer nicht verstand, weil diese, anders als die Familie und Nachbarn, türkisch sprachen. „Es war der erste große Schock meines Lebens, vielleicht sogar das erste Trauma“, so hat es Ayaz vor Gericht auf Türkisch zu Protokoll gegeben.

Als er und die anderen Kinder auf dem Schulhof kurdisch sprachen, seien sie von den Lehrern mit dem Stock grün und blau geschlagen worden, berichtet Ayaz. Als es Ende der 80er Jahre in der Provinz immer häufiger zu Zusammenstößen zwischen der PKK und dem türkischen Militär gekommen und sein Vater immer wieder willkürlich verhaftet und verhört worden sei, hätten sich die Eltern entschieden, ihn und seinen jüngeren Bruder auf eine Schule im Touristenort Alanya zu schicken.

Am 9. September 1993 habe die türkische Polizei ihn zum ersten Mal gemeinsam mit seinem 13-jährigen Bruder verhaftet. Gewalttaten seien ihm nicht angelastet worden. Er sei beschuldigt worden, zwei Monate in einem Bezirkskomitee für die PKK gearbeitet zu haben. Ayaz bestritt das. Daraufhin sei er gefoltert worden, erzählt er laut ANF vor Gericht. „Sie haben mir am ganzen Körper Stromschläge verpasst, besonders an den Händen und Zehen. Sie bespritzten mich mit kaltem Wasser, ich musste mich nackt auf den feuchten Beton legen. Sie zwangen mich zu Boden und schlugen mir viele Male auf die Fußsohlen.“

Diyarbakir, 1993: Die türkische Armee unterbindet eine ­De­mons­tration wäh­rend des kurdischen Neujahrsfests Foto: Michiel de Ruiter

Laut seiner Anwältin Antonia von der Behrens wurde er aufgrund des erfolterten Geständnisses zu 15 Jahren Haft verurteilt, von denen er mehr als 11 abgesessen habe. 2009 sei er erneut inhaftiert worden, nachdem er einem kurdischen Freund im Kommunalwahlkampf geholfen habe. Nach einem halben Jahr wurde er vom Vorwurf, PKK-Mitglied zu sein, freigesprochen und entlassen.

Ein politisch motivierter Prozess?

2010 wird er zusammen mit 150 weiteren im sogenannten Hauptverfahren gegen die KCK, eine Unterorganisation der PKK, angeklagt. Er flieht nach Zypern, wird dort als politischer Flüchtling anerkannt. In den darauffolgenden Jahren reist er immer wieder durch Europa, um Freunde und Familie zu besuchen – und um für die PKK zu arbeiten, wie ihm die deutsche Staatsanwaltschaft vorwirft.

20 Jahre nach seiner ersten Entlassung steht er nun wieder vor Gericht. Nicht in der Türkei, sondern in Deutschland. Am 3. November 2023 begann der Prozess in Hamburg. Die Vorwürfe ähneln denen aus der Türkei. Die Verteidigung erklärte zum Prozess­auftakt laut ANF: „Dafür, dass Kur­d:in­nen in Deutschland weiterhin als vermeintliche Mitglieder der PKK als Ter­ro­rist:in­nen intensiv verfolgt werden, kann die Erklärung nur lauten, dass diese Strafverfahren zwar nicht im innen-, aber im außenpolitischen Interesse Deutschlands liegen.“

Es ist ein Vorwurf, der für einen Rechtsstaat kaum schwerer wiegen könnte: die Unterstellung, die Justiz sei nicht von Gesetzen, sondern von politischen Interessen gesteuert. Könnte er dennoch stimmen? Um zu verstehen, warum ein politischer Flüchtling wie Ayaz, der in erster Linie gewaltlose Proteste mitorganisiert haben soll, mit so viel Aufwand juristisch verfolgt wird, muss man mehr als 30 Jahre zurückgehen.

Während in der Türkei Anfang der 90er Jahre der Krieg des türkischen Militärs gegen die PKK eskaliert, Tausende kurdische Dörfer zwangsgeräumt und Zehntausende Menschen getötet werden, versucht die PKK, gewaltsam Aufmerksamkeit für ihre Sache zu schaffen. Laut Verfassungsschutz verüben PKK-Aktivisten im Juni 1993 nahezu zeitgleich in verschiedenen Städten Deutschlands rund 60 Überfälle und Brandanschläge auf türkische diplomatische Vertretungen, aber auch auf Banken, Reisebüros, Gaststätten und Vereinslokale.

Dabei wird ein türkischer Staatsbürger getötet, mehrere Personen werden verletzt. Im Juni 1993 nehmen mutmaßliche PKK-Anhänger im türkischen Generalkonsulat Geiseln und fordern eine öffentliche Erklärung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl: Er solle die „Kriegshandlungen“ der türkischen Regierung gegen die Kurden verurteilen. Aufgrund der Rüstungsexporte betrachtete die PKK Deutschland als „Kriegsgegner Nummer zwei“. 1993 wird im Zuge dessen ein Betätigungsverbot für die PKK ausgesprochen.

Einstufung der PKK nicht zeitgemäß

Mitte der 90er kommt es zu einer Zäsur. Der damalige PKK-Führer Abdullah Öcalan erklärt, dass die Organisation auf deutsche Interessen Rücksicht nehmen und keine Gewalt auf deutschem Boden mehr anwenden wolle. Seither hat die Gewalt massiv abgenommen. Taten wie Mord oder Totschlag finden sich seither nicht mehr in den Berichten des Verfassungsschutz.

Um das PKK-Verbot wird in Deutschland seit Jahren heftig gestritten. Die Bundestagsfraktion der Linken hatte bereits 2014 eine Aufhebung des Verbots beantragt: „Angesichts laufender Friedensverhandlungen mit dem türkischen Staat und der herausragenden Rolle der PKK und ihr nahestehender Milizen bei der Bekämpfung des terroristischen IS im Irak und Syrien“ sei die Einstufung der PKK als terroristische Organisation durch die EU „unzeitgemäß und realpolitisch kontraproduktiv“. Passiert ist seither nichts.

Laut dem Verfassungsschutzbericht von 2023 nutze die PKK das Bundesgebiet vor allem, um Großveranstaltungen durchzuführen, Propaganda in eigener Sache zu machen und neue Anhänger zu rekrutieren. Seit Juni 2013 sind dem Verfassungsschutz 370 Rekrutierungsfälle bekannt. Außerdem soll die PKK laut Verfassungsschutz 2023 insgesamt 16 bis 17 Millionen Euro bei ihrer alljährlichen Spendenkampagne gesammelt haben. Diese würden „vor allem für den Unterhalt der Organisation, aber auch für deren umfangreichen Propagandaapparat in Europa genutzt.“

Demonstration gegen das PKK-Verbot 2023 in Berlin Foto: Florian Boillot

Außerdem schreibt der Verfassungsschutz: „Die PKK hat auch weiterhin ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt. Einem militärischen Auftreten im türkisch-irakischen bzw. türkisch-syrischen Grenzgebiet steht ein grundsätzlich friedliches Vorgehen in Deutschland bzw. Europa gegenüber. (…) Die PKK ist aber nach wie vor in der Lage und bereit, Gewalt zumindest punktuell auch in Deutschland einzusetzen bzw. Gewalttaten ihrer jugendlichen Anhänger zu dulden.“

Dabei wende sich die Organisation in erster Linie gegen rechtsextremistisch beziehungsweise nationalistisch eingestellte Türken wie Anhänger der Grauen Wölfe, die im Gegensatz zur PKK in Deutschland als Verein bis heute nicht verboten sind. Dabei geht aus dem Verfassungsschutzbericht nicht hervor, ob die aufgeführten Angriffe auf staatsnahe türkische Einrichtungen von mutmaßlichen Kur­d:in­nen tatsächlich von PKK-Gruppierungen geplant und ausgeführt wurden.

Erdoğan erfreut über Strafprozess

Keine dieser Taten wird Kenan Ayaz zur Last gelegt. Er wird nicht einmal direkt damit in Verbindung gebracht. Dass er in Deutschland dennoch verfolgt wird, ermöglicht Paragraf 129b des Strafgesetzbuchs. Demzufolge können Mitglieder sogenannter krimineller und terroristischer Vereinigungen im Ausland auch in Deutschland angeklagt werden, wenn ein Teil ihrer Aktivität in Deutschland stattfindet oder wenn Täter oder Opfer deutsche Staatsbürger sind.

Allerdings muss zusätzlich eine „Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz (BMJ)“ erteilt werden, damit der Generalbundesanwalt die Ermittlungen aufnehmen darf. Es ist dieser Beisatz, der Ayaz’ Geschichte so brisant macht. Denn in seinem Fall entscheidet nicht allein die Justiz, ob strafrechtliche Ermittlungen geführt werden dürfen, sondern auch die Politik.Erst, wenn das Bundesjustizministerium eine Verfolgungsermächtigung erteilt, darf ermittelt werden. Diese allgemeine Verfolgungsermächtigung gegen hochrangige PKK-Kader hat das Justizministerium im Jahr 2011 erstmals veranlasst und seither nicht widerrufen.

Auch während der Friedensverhandlungen zwischen PKK und Türkei zwischen 2012 und 2015 ging die Verfolgung weiter. Auf Nachfrage der taz schreibt die Sprecherin des BMJ: „Die Erteilung oder Nichterteilung bzw. eine Rücknahme oder Beibehaltung unterliegt keiner Begründungspflicht.“ Außerdem „könnten und dürften in die Entscheidung des BMJ auch außenpolitische Bedenken und Interessen der Bundesregierung mit einfließen“.

Schon im Jahr 2016, wenige Monate nachdem die EU mit Erdoğan den sogenannten Flüchtlingsdeal geschlossen hatte, sagte der türkische Präsident in einem Gespräch mit der ARD, dass er Angela Merkel bei einem Besuch 4.000 Akten von vermeintlichen Terroristen übermittelt habe. Merkel habe ihm zugesichert, dass der Justizprozess weitergehe. Während seines Besuchs in Berlin im November 2023 zeigte er sich lauf FAZ erfreut über einen Strafprozess vor dem Oberlandesgericht in Hamburg gegen einen mutmaßlichen Funktionär der kurdischen PKK; ohne dabei jedoch explizit Kenan Ayaz Namen zu nennen.

Was besprach Generalbundesanwalt Frank mit Erdoğan?

„Es müsste sich schon um einen großen Zufall handeln, dass der Haftantrag gegen meinen Mandaten nach langer Untätigkeit in dem Verfahren nur wenige Tage vor dem Nato-Gipfel 2022 gestellt worden ist“, sagt Anwältin Antonia von der Behrens im Gespräch mit der taz. Auf dem Gipfel, bei dem erstmals offiziell über den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden verhandelt wurde, hatte Erdoğan insbesondere von Schweden gefordert, seine Anti-Terror-Gesetzgebung zu verschärfen.

Seither stehen dort etwa das Spendensammeln, die Organisation von Versammlungsorten, das Kochen oder die Bereitstellung von Transport unter Strafe, wenn sie der PKK zugute kommen. „Nach erheblichem Druck von Seiten Erdoğans ist Schweden dieser offenkundigen Einmischung in seine innerstaatlichen Angelegenheiten im Juni 2023 mit einer sehr weitgehenden Gesetzesänderung nachgekommen“, sagt von der Behrens.

Und noch etwas ist am Fall Ayaz merkwürdig: Vom 5. bis 7. Juli 2022, und damit nur wenige Tage nach dem Nato-Gipfel, traf sich der ehemalige deutsche Generalbundesanwalt Peter Frank nicht nur mit dem türkischen Generalanwalt und dem Präsidenten des türkischen Kassationsgerichtshofs, einem der höchsten Gerichte der Türkei. Er traf sich auch mit Staatspräsident Erdoğan. Das ergaben Recherchen der Frankfurter Rundschau.

Warum dieses Treffen so kurz nach dem Nato-Gipfel stattfand und während der andauernden außenpolitischen Bemühungen der türkischen Regierung, ein härteres Vorgehen gegen die PKK zu erreichen, ist nicht bekannt. Von der Behrens vermutet, dass das Verfahren gegen Kenan Ayaz ein Grund für den Generalbundesanwalt gewesen sein könnte, um „nicht mit leeren Händen nach Ankara zu kommen“.

Die Sprecherin der Bundesanwaltschaft verwies auf Nachfrage der taz auf die Antworten Franks auf eine kleine Anfrage der Linken im August 2022. Darin heißt es, in dem Gespräch zwischen Frank und Erdoğan „ging es um die Aufgaben und die Arbeit der jeweiligen Strafjustiz“. Der Bundesanwalt habe keine konkreten Strafverfahren mit Erdoğan besprochen und „im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass sich die Bundesregierung zu Inhalten von vertraulichen Treffen mit internationalen Gesprächspartnern grundsätzlich nicht näher äußert“.

Kritik an Deutschlands Umgang mit der PKK

Manchmal falle es ihm schwer, die Logik zu verstehen, der die deutsche Politik folge, sagt Kenan Ayaz. Auf der einen Seite stünden die Türkei und Staatspräsident Erdoğan, die versuchen würden, den „radikalen Islam weltweit zu stärken“, und die außerdem in der Vergangenheit bereits islamistische Gruppen in Syrien unterstützt hätten. Auf der anderen Seite stünden wiederum die PKK und die kurdischen Kampfeinheiten der YPG in Syrien, die den Islamischen Staat in Syrien besiegt hätten und als einzige Partei in der Region für ein demokratisches System und für Werte wie Geschlechtergleicheit streiten würden.

Er verstehe nicht, warum Deutschland sich auf die Seite der Türkei schlage und diese noch immer mit Waffen unterstütze, obwohl das Land immer wieder Völkerrecht breche. Als Beispiel nennt er den Angriff der türkischen Armee auf die syrisch-kurdische Stadt Afrin 2018. „Die türkische Armee ist mit deutschen Leopard-Panzern in Afrin eingerückt.“ Selbst der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestags hatte damals in Frage gestellt, ob die Angriffe der Türkei mit dem Völkerrecht vereinbar sind.

Gerne würde man mit Kenan Ayaz über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe sprechen, aber das ist in Anwesenheit der LKA-Beamtin nicht möglich. Trotzdem wird im Gespräch schnell klar, dass es ihm nicht darum geht, sich von der PKK zu distanzieren – sondern die Verhältnismäßigkeit Deutschlands im Umgang mit der PKK in Frage zu stellen.

„Ich würde mir wünschen, dass Deutschland die PKK nicht mehr wie Terroristen behandelt“, sagt er. Die Beamtin des LKA im Besucherzimmer greift ein: „Eigentlich müsste ich hier abbrechen.“ Ayaz legt beschwichtigend die Hand auf die Scheibe: „Sorry, sorry“, sagt er schnell. Ob er tatsächlich als Kader für die PKK aktiv war? Das lässt sich nicht klären.

Die Anklage baut laut Anwältin von der Behrens vor allem auf mitgeschnittene SMS und Telefonate, die Ayaz geschrieben oder geführt haben soll. Sie hält die Deutung der Bundesanwaltschaft, derzufolge Ayaz als angeblich hochrangig und konspirativ agierender Kader zugleich unter seinem Vornamen aufgetreten sein soll, für abwegig.

Am Ende des 30-minütigen Treffens in dem stickigen Zimmer stehen Kenan Ayaz dicke Schweißperlen auf der Stirn. Gleich wird er wieder für zwei Wochen in seine Zelle gesperrt, ohne Besuch empfangen zu dürfen. Sein Urteil wird im August erwartet. Ihm drohen bis zu viereinhalb Jahre Haft. Nur so viel ist sicher: Von seinen Überzeugungen abbringen wird Kenan Ayaz das Urteil nicht.

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