Prozess gegen Letzte Generation: Mehr Angst vor der Klimakrise als vor dem Gefängnis
Klimaaktivist:innen hatten auf Sylt unter anderem ein Flugzeug besprüht. Der Itzehoer Gerichtssaal war gesichert wie bei großen Terrorprozessen.
Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet auf Hausfriedensbruch, unbefugtes Eindringen am Flughafen und Sachbeschädigung. Es geht um eine Gesamtsumme von über einer Million Euro, die vor allem durch den Schaden am Flugzeug zustande gekommen sind.
„Ich habe Angst vor dem Ergebnis des Prozesses, Haft ist richtig scheiße“, sagt der:die 22-jährige Regina S. Aber die Sorge um die Zukunft überwiege: „Wir haben die 1,5-Grad-Erderwärmung schon überschritten, und der Klimawandel ist tödlich.“ Vor Gericht kämpft S. mit den Tränen: „Weil ihr die vergangenen 40 Jahre nichts getan habt, um die Katastrophe aufzuhalten, muss ich Widerstand leisten. Ich will wieder Träume und keine Alpträume haben.“
Besonders Superreiche richten durch ihren Lebenswandel Schaden an – darauf habe die Gruppe mit der Aktion auf Sylt hinweisen wollen, sagt Michael W., ebenfalls angeklagt: „Es war nicht gegen einzelne Reiche gerichtet, wer weiß, was ich täte, wenn ich reich wäre. Aber wir können uns den Reichtum nicht mehr leisten.“
Breites Medienecho auf besprühtes Flugzeug
Das reichste Prozent der Menschheit verbrauche mehr Ressourcen als die ärmste Hälfte zusammen, sagt Lio G. Der:die 24-jährige Student:in, der:die sich ebenfalls als nonbinär definiert, schildert im Prozess seinen:ihren Weg zur Letzten Generation. Seit November 2022 sei G. dabei, weil ziviler Ungehorsam wirksamer sei als andere Formen von Protest: „Demos und Petitionen können ignoriert werden, Blockaden stören. Menschen müssen sich dazu verhalten.“
Die Aktion auf Sylt sei aus G.s Sicht erfolgreich gewesen: Es habe ein breites Medienecho und Berichte über den gewaltigen CO2-Fußabdruck von Superreichen gegeben. „Ich mache solche Aktionen, weil ich Angst, aber auch noch etwas Hoffnung habe“, sagt G., der:die in Berlin wohnt und Sozialarbeiter:in werden will. Die Menschheit rase „ungebremst auf die Klimakatastrophe zu“; es müsse daher alles getan werden, das einzudämmen.
Bedauern für den Besitzer des Privatjets können und wollen die Angeklagten nicht aufbringen: „Es fährt stündlich ein Zug nach Sylt“, sagt Regina S. Es sei allerdings nicht das Ziel gewesen, das Flugzeug zu beschädigen: „Es war Wandfarbe, die ist abwaschbar.“ Der Besitzer des Fliegers sieht das anders, mehreren Beteiligten drohen auch zivilrechtliche Strafen.
Prozesse und Gewahrsam haben mehrere von ihnen schon hinter sich. Dennoch seien sie weiter bereit zu Protest-Aktionen, sagen einige Angeklagte: „Ziviler Ungehorsam schafft eine Plattform für Debatten“, sagt etwa Ann-Kathrin H.
Strenge Kontrollen am Einlass
Richterin Larissa Herzog vom zuständigen Amtsgericht Niebüll lässt den Aktivist:innen viel Raum für ihre Statements und geht auf die inhaltlichen Argumente ein: Sei es sinnvoll, ins Gefängnis zu gehen, statt sich draußen für den Klimaschutz einzusetzen? Gebe es nicht politische Möglichkeiten, das Anliegen voranzubringen? Was solle die Politik tun?
Die Aktivist:innen nennen auf diese Frage die Forderungen der Letzten Generation, um die es bereits bei den Kampagnen 2023 gegangen war: einen Klimarat einrichten, ein kostengünstiges Ticket für den Bus und Bahn, das Eingeständnis der Regierung, dass die Krise da sei.
Die ruhige Prozessführung – dazu gehörte auch die Nachfrage des Staatsanwalts, ob für Lio G. und Regina S. als Transgender-Person eine Gefängnisstrafe eine besondere Härte darstellen würde – stand im Gegensatz zur Situation beim Einlass in das Fabrikgebäude, in dem der Prozess wegen des erwarteten Andrangs stattfand. Auf der Straße forderte eine Schar von Demonstrierenden mit Plakaten das Ende von Öl- und Kohle-Verbrennung. Doch wer in den Saal wollte, musste strenge Kontrollen über sich ergehen lassen. Die Sicherheitsmaßnahmen entsprachen denen großer Gewalt- und Terrorprozesse.
„Die Kriminalisierung von Klimaprotesten ist mit Händen zu greifen“, sagt Rolf Meyer, der als Sprecher der Letzten Generation den Prozess beobachtete. „Wir brauchen eine andere Protestkultur.“ Erst langsam ändere sich etwas, auch durch Urteile, die die Anliegen der Aktivist:innen einbezögen. Der Prozess in Itzehoe wird am Mittwoch mit der Befragung von Zeug:innen fortgesetzt.
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