Prozess gegen Hamburger Antifa-Aktivist: Rechtswidrige Ermittlung?

Ein Aktivist ist angeklagt, weil er Bilder eines NPD-Kaders verbreitete. Sein Anwalt erhebt Vorwürfe gegen Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz.

Demo gegen Rechts in Hamburg

Antifa geht in Hamburg voran: „Dem rechten Mob entgegen treten“ Foto: Jonas Walzberg/dpa

HAMBURG taz | Ein Nazi wird in seiner Nachbarschaft geoutet, ein Antifa-Aktivist steht dafür vor Gericht. Am Mittwoch begann vor dem Amtsgericht Hamburg ein Prozess dieser Art. Allerdings mutete der Fall schon vor Prozessbeginn seltsam an – verhandelt wurde wegen des möglichen Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz. Nach den ersten Einlassungen des Verteidigers stehen massive Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft und den Hamburger Verfassungsschutz im Raum. Haben sie ausgerechnet bei der Anzeige eines NPD-Kaders Rechtsverstöße begangen – zulasten eines linken Aktivisten?

An einem Sonntagabend im Juni vergangenen Jahres soll sich laut Anklage der Staatsanwaltschaft der 31-jährige Beschuldigte mit 14 weiteren Personen auf einem Spielplatz in der Nähe der Wohnung von Karel Haunschild verabredet haben und dann zu dessen Wohnhaus gegangen sein.

Haunschild ist aktives NPD-Mitglied, bei der Wahl zum EU-Parlament 2019 war er Kandidat auf der Bundesliste der Partei. Vor dem Mietshaus sollen die Ak­ti­vis­t:in­nen dann Zettel ausgelegt haben. Deren Überschrift: „Vorsicht Neonazi!“. Darunter waren zwei Fotos von Haunschild abgedruckt und der Hinweis an die Nachbar:innen, in welchem politischen Spektrum Haunschild aktiv ist.

Gegen den beschuldigten Aktivisten war deshalb im März auf Antrag der Staatsanwaltschaft Hamburg ein Strafbefehl über eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen erlassen worden. Er soll wegen der veröffentlichten Fotos von Haunschild auf den Flyern gegen das Kunsturhebergesetz verstoßen haben – Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden.

Person des öffentlichen Lebens?

Der Verteidiger des 31-Jährigen, Gerrit Onken, hält den Vorwurf für nicht haltbar: „Mir ist schleierhaft, wie daraus eine Strafsache gemacht werden kann“, sagte er zum Auftakt der Verhandlung mit verärgerter Miene. Haunschild sei eine Personen des öffentlichen Lebens – dort gelte dieses Recht am eigenen Bild nicht. Hinzu hatte Haunschild selbst eines der beiden abgedruckten Fotos zu Wahlkampfzwecken veröffentlicht. „Was soll das?“, fragte er vor Gericht mehrfach die Staatsanwaltschaft.

Und zum Stellen dieser Frage sah er einen weiteren Anlass: Ein Zeuge hatte ein Foto von der Ak­ti­vis­t:in­nen­grup­pe gemacht, bevor diese mutmaßlich zum Haus des NPD-Politikers gezogen war. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sei der Beschuldigte darauf zu erkennen.

Gegen den Beschuldigten war bereits ein Strafbefehl erlassen worden – wegen des Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz

Der Verteidiger bezweifelt das mit Verweis auf die Bildqualität. Doch selbst wenn er auf dem aus mehreren Metern entfernt geschossenen Foto zu erkennen sei – woher wisse die Staatsanwaltschaft, dass es sich dabei um den Beschuldigten handelt? Der Beschuldigte ist laut seinem Rechtsanwalt nicht vorbestraft, sodass die Er­mitt­le­r:in­nen eigentlich keine eigenen Informationen über ihn haben könnten.

Offenbar, so stellte es Onken dar, habe der Hamburger Verfassungsschutz der Staatsanwaltschaft den Namen genannt. Dabei herrscht ein grundsätzliches Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten.

Übermittlung rechtswidrig?

Um eine Ausnahme vom Übermittlungsverbot von Daten und Erkenntnissen des Verfassungsschutzes an die Er­mitt­le­r:in­nen der Polizei und der Staatsanwaltschaft zu machen, müssen hohe Hürden überschritten werden – etwa wenn die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder ein Mensch in Gefahr ist. Oder wenn es sich um Staatsschutzdelikte handelt. In diesem Fall geht es jedoch um das Kunsturheberrecht.

Onken hält sowohl die Übermittlung des Verfassungsschutzes als auch die Verwendung der Informationen durch die Staatsanwaltschaft für rechtswidrig. Sowohl das Gericht als auch die Staatsanwaltschaft wirkten nach diesen Vorwürfen überrascht. Zwar wolle die Staatsanwaltschaft dazu Stellung beziehen, müsse diese Vorwürfe jedoch zunächst prüfen. Danach müsse das Gericht entscheiden, wie mit diesen Informationen weiter umzugehen ist.

Vor dem Strafjustizgebäude hielten derweil rund drei Dutzend Un­ter­stüt­ze­r*in­nen des Angeklagten trotz Regens eine Solidaritäts-Kundgebung ab. Den nächsten Termin setzte das Gericht auf den 23. September an.

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