Bußgeld gegen Demonstrant:innen: Eingekesselt und abkassiert
Am 1. Mai kesselte die Hamburger Polizei Demonstrant:innen ein. Einige bekamen nun einen Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen die Abstandsregeln.

Die Polizei in Hamburg ging am 1. Mai dieses Jahres generell nicht gerade zimperlich gegen Demonstrierende vor. Viele Veranstaltungen waren schon im Vorfeld untersagt. Trotzdem gingen überall in der Stadt Menschen auf die Straße. Beamt:innen kesselten einige von ihnen ein und hielten Menschen teils über Stunden dort fest. Darunter auch Minderjährige und Demosanitäter:innen. Die Polizei behauptet, damit präventiv illegale Versammlungen und Verstöße gegen den Infektionsschutz verhindert haben zu wollen.
Die Menschen, die die Polizei umstellte, befanden sich allerdings teilweise gar nicht auf einer Versammlung, sondern liefen ungeordnet über die Straße. Im Fall des Kessels auf der St. Petersburger Straße argumentiert die Polizei, die Menschen hätten szenetypische schwarze Klamotten getragen und seien schon davor auf einer illegalen Versammlung gewesen.
Von etwa 250 ungeordnet laufenden Menschen umstellten die Beamt:innen aus diesem Grund 50. Darunter auch ein 14-jähriges Mädchen, das den Kessel über Stunden nicht verlassen durfte.
Deniz Celik, Bürgerschaftsabgeordneter der Linken
Schon am 1. Mai und in den Tagen danach wurde kritisiert, dass es nicht möglich war, im Kessel Mindestabstände einzuhalten. Nun hat die Polizei aber genau deswegen Bußgeldverfahren eröffnet. Die Betroffenen hätten nicht genug Abstand gehalten und sollen nun 150 Euro Strafe zahlen, außerdem ist noch eine Bearbeitungsgebühr von 28 Euro aufgeschlagen.
In einem Bußgeldbescheid, der der taz vorliegt, heißt es, der Abstand hätte eingehalten werden können. Ein Mann, der anonym bleiben möchte, schildert die Situation allerdings anders. Die Polizei habe ohne Vorwarnung innerhalb von Sekunden willkürlich einen Teil der Menschen umstellt. Da der Kessel so eng war, sei es gar nicht möglich gewesen, 1,5 Meter voneinander entfernt zu stehen. „Wir haben außerdem alle Masken getragen“, sagt er.
Auch der Bürgerschaftsabgeordnete Deniz Celik (Linke) war vor Ort. „Ich fand den Einsatz unverhältnismäßig“, sagt er der taz am Telefon. Er habe die Beamt:innen auch darauf hingewiesen, dass die Personen sehr eng zusammenstanden. Genügend Abstand zu halten, sei definitiv nicht möglich gewesen.
Die Zustände im Kessel seien teils entwürdigend gewesen, berichten Anwesende der taz. Einer von ihnen, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, erzählt: „Die ersten zwei Stunden durfte niemand auf Toilette.“ Als Ersatz habe ein Gulli gedient. Auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Deniz Celik hin rechtfertigte die Polizei sich, Menschen einzeln in ein benachbartes Hotel zum Toilettengang gebracht zu haben. Allerdings habe das Hotel dies nach einiger Zeit wieder untersagt, schildern Anwesende.
Gegen einen Bußgeldbescheid kann formlos und ohne Begründung Widerspruch eingelegt werden, allerdings innerhalb einer Frist von zwei Wochen. Sonst wird automatisch von einer Einwilligung ausgegangen.
Das Verfahren wird zum Teil direkt eingestellt. Allerdings kann es auch sein, dass der Fall vor Gericht landet. Wie die Verhandlung ausgeht, ist meist unvorhersehbar. Es können Verfahrenskosten entstehen, die bei einer Niederlage eventuell selbst getragen werden müssen. Es ist allerdings möglich, den Widerspruch vor einer Verhandlung zurückzuziehen.
Betroffene können sich an den Ermittlungsausschuss wenden.
Beim Hamburger Ermittlungsausschuss, der Demonstrant:innen juristisch berät und unterstützt, haben sich bis Redaktionsschluss sieben Menschen gemeldet, die im Kessel auf der St. Petersburger Straße waren und nun einen Bescheid bekommen haben. Bei einem weiteren Kessel am 1. Mai in St. Georg sei zudem mindestens eine Person betroffen. Da sich wahrscheinlich nicht alle gemeldet hätten, sei aber von einer höheren Zahl auszugehen, sagte eine Sprecherin gegenüber der taz.
Dem Ermittlungsausschuss zufolge haben viele Betroffene nun erst einmal Widerspruch gegen das Bußgeldverfahren eingelegt. Der Bescheid wird daraufhin noch einmal genau von der Bußgeldbehörde überprüft. Denn laut dem Amt für Migration, dem die Bußgeldstelle untergeordnet ist, werden die meisten Verfahren im ersten Schritt nicht genauer untersucht.
Bei Zehntausenden Verfahren sei dies auch gar nicht möglich. „Wir gehen erst mal davon aus, dass die Polizei rechtmäßig handelt“, sagte ein Sprecher gegenüber der taz. Wenn allerdings Beschwerde eingelegt werde, überprüfe die Behörde alles noch einmal genauer und befrage auch die Polizist:innen, die das Verfahren eingeleitet haben. Sollte dann immer noch unklar sein, ob ein Bußgeld gerechtfertigt ist, landet das Verfahren vor Gericht.
Ob die aktuellen Bußgeldbescheide dieser Überprüfung standhalten würden, ist fraglich. Die Bußgeldstelle möchte sich zu laufenden Verfahren generell nicht äußern. Auch die Polizei ging bis Redaktionsschluss auf taz-Anfrage nicht näher darauf ein.
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