Prozess gegen Geert Wilders: Ein Mann rückt ein Land nach rechts
Die Anklage wirft dem Politiker Anstiftung zu Hass und Diskriminierung vor. Politisch wird der Rechtspopulist keinen Schaden erleiden.
AMSTERDAM taz | Ein fensterloser Raum im Justizkomplex, einem grauen Klotz neben dem Amsterdamer Flughafen. Es herrschen hohe Sicherheitsvorkehrungen, auch wenn der angeblich gefährdetste Mann des Landes gar nicht gekommen ist. Per Videobotschaft hatte der Rechtspopulist Geert Wilders seine Absage in der vergangenen Woche übermittelt: „Das ist ein politischer Prozess, und ich weigere mich, daran mitzuwirken.“ Wenn das, was er gesagt habe, strafbar sei, „dann sind die Niederlande keine Demokratie mehr, sondern eine Diktatur“.
Verhandlungsgegenstand ist der Abend des 19. März 2014. Wilders’ „Partei für die Freiheit“ war bei den Kommunalwahlen in Den Haag auf dem zweiten Platz gelandet. Bei der Wahlparty rief der Populist seinen Anhängern zu: „Wollt ihr mehr oder weniger Marokkaner in dieser Stadt und in den Niederlanden?“ Die Menge reagierte mit einem vielstimmigen „Weniger, weniger!“. Und Wilders antwortete süffisant grinsend: „Dann werden wir das regeln.“
Anstiftung zu Diskriminierung und Hass, so lautet die Anklage. Der Prozess beginnt mit Aussagen von Mitarbeitern der Partei und ehemaligen Weggefährten. Daraus geht hervor, dass Wilders und sein engster Kreis das Schauspiel geplant haben. Er wollte in die Medien, seine Leute sollten die „Weniger, weniger“-Rufe vom Publikum aus anheizen.
Wilders hat Anfang des Jahres das zehnjährige Bestehen seiner Partei gefeiert, dessen einziges Mitglied er selbst ist. Der 53-Jährige hat die Niederlande auch ohne ein Regierungsamt verändert. Der Ton ist rauer geworden, es wird ausgeteilt und beleidigt. Der Angeklagte hatte das im Vorfeld des Prozesses zu seiner Verteidigungsstrategie gemacht: Wenn er vor Gericht stehe, dann gehörten dort auch andere Politiker hin, erklärte er. Wilders habe den politischen Diskurs beeinflusst, erklärt Matthijs Rooduijn, Politikwissenschaftler an der Universität Utrecht. „Andere Parteien haben ihre Standpunkte angepasst. Die meisten sind in Integrationsfragen nach rechts gerückt.“
„Wollt ihr mehr oder weniger Marokkaner in dieser Stadt und in den Niederlanden?“
Stimmung gegen die rund 380.000 marokkanischen Einwanderer im Land zu schüren, ist für einige Politiker eine erfolgversprechende Strategie. Viele Niederländer beäugen sie kritisch, manche hasserfüllt. Marokkaner gelten bei vielen als kriminell, außerdem bezieht verglichen mit dem niederländischen Durchschnitt ein höherer Prozentsatz unter ihnen Sozialleistungen. Wilders selbst zitiert immer wieder genüsslich eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts De Hond vom April 2014. Demnach sind 43 Prozent der Niederländer seiner Meinung: Das Land brauche weniger Marokkaner.
Wilders hat den Prozess zu einer Entscheidung über die freie Meinungsäußerung stilisiert. Wohl wissend, dass die Meinungsfreiheit für viele Niederländer ein fundamentales Gut ist. Im Falle einer Verurteilung droht ihm eine Geldstrafe von bis zu 20.000 Euro. Aber politischen Schaden wird er wohl kaum davontragen. „Auch ein Schuldspruch könnte ihm noch nützen“, sagt Wissenschaftler Rooduijn. „Dann kann er sagen: Seht her, wir dürfen nicht sagen, was wir denken.“
Leser*innenkommentare
Justin Teim
"Aber politischen Schaden wird er wohl kaum davontragen. "
Das bringt dem Publicity -genau das was er will.
Blacky
Na ja, Wilders Äusserungen sind abstossend. Aber zu glauben, man käme dem Problem dadurch bei, eine solche Äusserung strafrechtlich zu verfolgen, ist idiotisch und kontraproduktiv.
Oder aber das Ziel ist, den Rechten noch mehr Wähler in die Arme zu treiben...
achterhoeker
Das hat mit dem falschen Bild zu tun, was sich die Deutschen von den Niederländern machen. Sie verengen die Perspektive auf die "Kraakers" und "Radio Veronica". Die Niederlande sind im Norden ein sehr frommes und konservatives Land. Es gibt den Bibelgürtel, der sich um die Veluwe bei Apeldoorn zieht, wo in manchen Gemeinden "Fluchverbot" herrscht. Dort hausen die evangelikalen Fundamentalisten a la Beatrix vom Storchennest.
Für uns waren die Ereignisse der 60er und 70er eine echte Befreiung in Deutschland wie in den Niederlanden. Es war jedoch nur ein Aufbruch aus dem Muff der Nachkriegszeit. Der Neoliberalismus, der in den Niederlanden fast Staatsreligion ist, weil vom Calvinismus geprägt, hat die damalige Bewegung zu mehr Toleranz und Freiheit versanden lassen.
Auch ist nicht zu vergessen, dass 30% der Niederländer damals Anhänger des NSB waren - den niederländischen Nazis, die mit den Besatzern auf das Engste zusammen arbeiteten. Das ist bis heute ein Tabu.
Geert Wilders ist, wie die BLÖD-Zeitung schreibt, jemand der meint: "Es muss jemand geben, der die Wahrheit ausspricht". Seine Wahrheit von Rassenhass und Minderheitenhetze.
Rechte Niederländer hat es immer reichlich gegeben. Nun werden sie laut.
Karl Heinz
@achterhoeker Lustigerweise setzt sich Geert Wilders stark für die Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten ein. Er ist auch eher dem linken Spektrum näher.
cursed with a brain
Wenn Sie Wilders "links" sehen, sollten Sie Ihren Kopfstand beenden.
Wilders macht sich nicht stark für die Rechte von Frauen. Er polemisiert nur ganz gerne über die Stellung der Frau im Islam, weil er ein antimuslimischer Haßprediger ist. Mit der gleichen Stellung der Frau im Christentum hat er überhaupt keine Probleme.
2730 (Profil gelöscht)
Gast
Ich frage mich ernsthaft: Wenn mehr als 50% einer beliebigen Bevölkerung nicht meiner Meinung sind: Sollte man sie abschaffen? Sollte man das Votum bekämpfen?
Demokratie sollte bedeuten, andere Mehrheiten zu tolerieren, versuchen, sie zu ändern... aber kann man derartige .. sagen wir: Auffassungen wirklich tolerieren?
Jens Frisch
43% der Niederländer wollen "weniger Marokkaner", so steht im Text zu lesen.
Sollten diese 43% geschlossen Wilders wählen, dann wäre - unter Berücksichtigung der Nichtwähler - Wilders PVV die größte Fraktion im niederländischen Parlament.
A. Müllermilch
„Wollt ihr mehr oder weniger Marokkaner in dieser Stadt und in den Niederlanden?“
Wenn man in der Debatte um Marokko als sicherer Herkunftsstaat die Maaßstäbe dieser holländischen Anklage anlegen würde, wären weite Teile des deutschen Politikbetriebs rassistisch, denn die durch das Postulat sicherer Herkunftsstaat sollen gewiss nicht mehr Marokkaner nach d geholt werden.
Schnigge
Es gibt sogar eine ausdrückliche Vereinbarung zwischen dem Land NRW und dem BAMF, dass keine Marokkanern mehr dort untergebracht werden sollen. Das, was Wilders „bloß“ fordert, wurde in NRW bereits explizit praktiziert.
http://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/marokkaner-100.html
el presidente
Soweit ich weiß gab es vor Wilders einen anderen Typen mit identischem Programm (Name vergessen). Wilders ist also zumindest Version 2.0
Nikolai Nikitin
@el presidente Er hieß Pim Fortuyn. Er wurde kurz vor den niederländischen Parlamentswahlen 2002 von Volkert van der Graaf, einem 'militanten Umwelt- und Tierschützer ermordet. Sein Motiv, er wolle 'Muslime schützen', Fortuyn habe diese als 'Sündenböcke' benutzt' (Zitat Wiki).
Linksman
@Nikolai Nikitin Fortuyns bitteres Ende sollte seinem Ziehsohn Wilders ein warnendes Beispiel sein, es nicht zu weit zu treiben.
B. Wondraschek
@Linksman Soll politischer Mord die "logische" Folge von politischer Hetzte sein, durch das Opfer selbst zu verantworten?
Nikolai Nikitin
Wenn bereits 'ein' Mann ein Land nach rechts rücken kann, liegt etwas mit diesem Land im Argen.
Jürgen Matoni
@Nikolai Nikitin Ja, so ist das. Da gibt es einen einzelnen rechten Populisten in den linken Niederlanden und schon rücken die Niederländer nach rechts.
Nikolai Nikitin
@Jürgen Matoni Kann es wirklich nur an einem einzelnen Menschen liegen, dass die NL nach rechts rücken ? Unvorstellbar. Gibt es vlt. vermeintliche andere Gründe ?