Proteste in Frankreich: Roter Schal statt gelber Weste
Sie nennen sich Foulards rouges und stellen sich gegen die französischen Gelbwesten. Doch links sind sie ganz und gar nicht.
Wer zuerst die Idee hatte, die Warnweste zum Symbol eines sozialen Aufstands gegen die Arroganz der Staatsmacht zu erklären, ist unklar. Vielleicht kam das ganz spontan, weil es ratsam war, bei den organisierten Blockaden auf den Kreiseln mit der fluoreszierenden Weste gut sichtbar zu bleiben. Jeder Automobilist hat seine gelbe Weste, die auch für Straßenfeger und andere Arbeiter zur täglichen Arbeitskleidung gehört und jetzt zudem eine soziale Zugehörigkeit signalisiert.
Wie aber kamen die Gegner der Gelbwesten auf die Idee, ausgerechnet das rote Halstuch als Erkennungszeichen zu wählen? Im Straßenverkehr, um den es ja ursprünglich wegen der hohen Treibstoffpreise ging, signalisiert diese Farbe, stoppen zu müssen. Und mit ihrer Demonstration wollen die Foulards rouges nun einer Bewegung Einhalt gebieten, die nach ihrem Geschmack längst zu weit gegangen ist und eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Schwarz oder Braun als Gegenfarbe wäre kein gutes politisches Signal gewesen, Grün ist bekanntermaßen auch schon besetzt.
Aber ausgerechnet das traditionell links beheimatete Rot als Farbe der Reaktion, als Fahne für den Ruf nach Ruhe und Ordnung? Das rote Halstuch der Sonntagsdemonstranten gegen die Samstagsgewalt der Gelben – es leuchtet wie ein rotes Tuch in einer Arena! Die „roten“ Linksparteien und Gewerkschaften, die aus Angst vor unklaren Zielsetzungen und rechten Misstönen bei den Protesten der Gelbwesten auf Distanz blieben, müssen sich jetzt herausgefordert fühlen. Millionen, die unter roten Fahnen, die Internationale singend, gegen die kapitalistische Herrschaft gekämpft haben, muss sich der Magen umdrehen.
Ob dieser Versuch eines ideologischen Diebstahls funktionieren kann? Mehr als nur ein braver Bürger, der gewiss Lust hätte, im Namen einer konservativen schweigenden Mehrheit gegen die Krawalle und Unruhestifter auf die Straße zu gehen, dürfte zögern, sich dazu jetzt ausgerechnet als „Roter“ zu verkleiden.
Die Macron-Fans, die ihren gewählten Präsidenten und mit ihm die Demokratie schlechthin gegen die Bewegung von Wutbürgern verteidigen wollen, haben ohnehin ein Problem mit dem Farbspektrum: Als Kandidat, der sich vorgenommen hatte, rechts, links und die politische Mitte gleichermaßen anzusprechen, schillert er bis jetzt unklar – und farblos. Seine demonstrierenden Anhänger wollen dem nun abhelfen. Bleibt die Frage: Ist Macron rot vor Scham oder vor Wut?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Scholz zu Besuch bei Ford
Gas geben für den Wahlkampf