Proteste in Frankreich und Emmanuel Macron: Der verkannte Nachbar
Frankreichs Staatschef Macron wird als liberaler Politiker gefeiert, verhält sich aber zunehmend autoritär.
F angen wir mit einem Ratespiel an: Wer ist dieser Präsident und in welchem Land befinden wir uns? Als die New York Times einen kritischen Bericht schreibt, ruft der Staatschef höchst persönlich bei dem Journalisten an, um sich zu beschweren: Dass es nicht angehen könne, sein Land als rassistisch darzustellen. Dass der Autor da etwas nicht verstanden habe.
Weiterhin sagt dieser Präsident in einem Fernsehinterview, das zunehmend schlechte Image seines Landes habe nichts mit seiner Politik zu tun, sondern mit „falschen Informationen“, die von Journalist:innen verbreitet würden. Ein Präsident, der die besorgten Ermahnungen der UNO ignoriert, wenn sie die Menschenrechtslage in seinem Land bemängelt. Der sagt, „Polizeigewalt“ sei ein Kampfbegriff der Linksextremen. Der einen Innenminister ernennt, gegen den nie geklärte Vergewaltigungsvorwürfe vorliegen.
Ein Präsident, der nach einem islamistischen Anschlag die Schließung und verstärkte Überwachung von Grenzen fordert – als ob das eine mit dem anderen zu tun hätte. Es ist ein Land, in dem die Polizei gegen Demonstrant:innen mit explosiven Tränengasgranaten vorgeht, die in den meisten westlichen Ländern als Kriegswaffen gelten.
Nein, dieser Präsident ist nicht Donald Trump oder Wladimir Putin. Wir befinden uns auch nicht in Ungarn oder in der Türkei. Der Präsident, der in dieser platten Manier daherkommt und Journalist:innen erzählt, was sie schreiben sollen, ist Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Jener Präsident, der immer noch als liberal gefeiert wird und der vor allem dann in der Berichterstattung vorkommt, wenn er eine pathetische Ansprache an die Nation hält und von europäischen Werten erzählt. Dabei beschreitet Frankreich den Weg zu einem autoritären Staat mit immer schneller werdenden Schritten.
Kamera aus bei Polizeigewalt
Der letzte Schritt so groß, dass man sich fragt, wie ein Land sich dabei nicht die rechtsstaatliche Hüfte ausrenkt. Mit dem „Gesetz für globale Sicherheit“ sieht die Regierung die Überwachung der Bürger:innen durch Drohnen vor. Vor allem aber ist darin das Verbot enthalten, Polizei, Militär oder sonstige Einsatzkräfte zu filmen und die Aufnahmen auf jeglichem Träger oder auf Plattformen zu verbreiten. Dies gilt auch für Journalist:innen. Wer dagegen verstößt, muss mit einem Jahr Haft oder 45.000 Euro Geldstrafe rechnen.
In den letzten zwei Jahren hat es in Frankreich über 900 Verletzte und mehrere Tote durch Polizeigewalt gegeben. Mehrere Menschen verloren ihr Augenlicht, eine Hand oder einen Fuß. 2018 wird ein Polizist dabei gefilmt, wie er gewalttätig auf Demonstranten losgeht. Später stellt sich heraus: Er ist kein Polizist, sondern ein enger Vertrauter des Präsidenten Macron.
Ein anderes Video belegt, dass Polizisten bei einer Autokontrolle grundlos scharf schießen. Schon mehrfach haben solche Videos Staatskrisen ausgelöst. Zuletzt war es das viral gegangene Video des Musikproduzenten Michel Zecler, der von Polizisten grundlos in sein Tonstudio verfolgt und dort zusammengeschlagen wurde. Ein Gesetz, das Berichterstattung verunmöglicht, ist nur vor dem Hintergrund dieser Vorfälle zu verstehen.
Dass Regierungsfraktionen nach mehrwöchigen Großdemonstrationen den umstrittenen Paragrafen neu formulieren wollen, ist ein Verdienst der unermüdlichen Proteste. Die aber halten nicht inne: Es bleibt höchst fraglich, ob die „Neuformulierung“ tatsächlich auch den Inhalt des Gesetzes ändern wird.
Wer entscheidet, was unerlaubt ist?
Das „Gesetz für globale Sicherheit“ ist nämlich kein Novum, sondern reiht sich ein in eine allgemeine Tendenz der letzten Jahre. Im Mai wurde das wohlklingende „Gesetz gegen den Hass“ erlassen: Online-Einträge jeglicher Art müssen demnach innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden, wenn dort etwas „offensichtlich Unerlaubtes“ steht. Bei Nichteinhaltung ist mit bis zu 1,25 Millionen Euro Strafe zu rechnen.
Nur: Wer entscheidet, welche Inhalte unerlaubt sind? Ähnlich wie bei dem kürzlich vorgestellten EU-Gesetz gegen illegale Online-Inhalte fürchten manche willkürliche Zensur. Wenig später kippte dann auch das Verfassungsgericht große Teile des Gesetzes. Immerhin. Ein Verdienst der Gewaltenteilung allerdings, und nicht der vermeintlich liberalen Gesinnung des Präsidenten.
Nun möchte man hoffen, dieser habe lediglich mit der Presse ein Problem – was ja bedenklich genug wäre. Mitnichten. 2017 ließ Macron den verfassungswidrigen Ausnahmezustand, der nach den Terroranschlägen galt, prompt in die Verfassung aufnehmen. Seitdem patrouillieren in französischen Städten Militäreinheiten. Racial Profiling ist an Bahnhöfen und Flughäfen demnach erlaubt.
Im Dezember erließ die Regierung drei Dekrete, die die polizeiliche Erfassung von politischen und philosophischen Überzeugungen sowie von Religionszugehörigkeit und Mitgliedschaft bei Gewerkschaften auch von Demonstrationsteilnehmenden erlauben. Durften bisher nur Gefährder:innen gelistet werden, kann das ab jetzt mit dem gesamten Umfeld von Gefährder:innen passieren oder auf die Gesamtheit einer Demonstration angewendet werden.
Populismus der bürgerlichen Mitte
Schockierend ist dabei nicht nur der polizeistaatliche Trend. Schockierend ist auch die Stille rundherum. In deutschen Medien sieht man lieber den osteuropäischen Ländern auf die Finger. Und so hat Macron weder von der ausländischen Presse noch von den EU-Partnern allzu viel zu befürchten. Er praktiziert einen Populismus der bürgerlichen Mitte, der darin besteht, möglichst staatsmännisch aufzutreten und zu unterstreichen, wie sehr er für Freiheit und Gerechtigkeit stehe.
Dass so wenig auf Macrons faktisches Regieren geguckt wird, ist auch eine Krise der Berichterstattung – die zwangsläufig auf eine Krise der Werte hinausläuft: Es bleibt weitgehend still. Zu still, wenn im Nachbarland zunehmend die Grundrechte ausgehöhlt werden.
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