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Proteste für Frauenrechte in IsraelGegen Geschlechtertrennung im Alltag

Manche Regierungsparteien fordern, Männer und Frauen in der Öffentlichkeit zu trennen. Zur Empörung darüber äußerte sich Ministerpräsident Netanjahu.

Menschen demonstrieren in Tel Aviv am 19. August gegen die Regierung und ihre Justizreform Foto: Amir Cohen/reuters

Tel Aviv taz | Auf den Demonstrationen gegen die Justizreform der Regierung in Israel sind die roten T-Shirts der Frauengruppe Bonot Alternativa („Alternativen bilden“) unübersehbar. Sehr viele Frauen tragen sie. Im roten Frauenblock treten bei den Massenprotesten in Tel Aviv auch Frauen auf, die als „Mägde“ gekleidet sind; eine Anspielung auf die Frauen im dystopischen Roman von Margaret Atwood: In den christlich-fundamentalistisch regierten Vereinigten Staaten dienen die Mägde den Männern als Gebärmaschinen.

Wie nötig feministischer Protest ist, zeigte sich in der vergangenen Woche, als sich das halbe Land über einen Vorfall in einem Bus erregte. Eine Gruppe junger Mädchen in Jeans und Tank Tops wurden auf dem Weg von Aschdod im Süden des Lands nach Kfar Tavor im Norden von einem Busfahrer belehrt. Auf Videoaufnahmen ist zu hören, wie der Mann sagte: „Ihr lebt in einem jüdischen Staat, ihr habt die Leute zu respektieren, die hier leben. Dass sie euch in eurem Kibbutz beigebracht haben, dass es in Ordnung ist, nackt rumzulaufen, tut mir leid. Das ist eine falsche Erziehung, die ihr genossen habt.“

Er verlangte, dass sich die Mädchen mit ihren Badetüchern bedecken und im hinteren Teil des Buses Platz nehmen. Ihre männlichen Freunde mussten im vorderen Teil bleiben. Später erklärte er, die jungen Frauen sollten froh sein, dass sie überhaupt mitfahren durften. Die Frau des Busfahrers setzte noch einen drauf und erklärte später, wenn sie dabei gewesen wäre, hätte sie die Mädchen kurzerhand erschossen.

Das Oberste Gericht Israels hat im Jahr 2011 entschieden, dass es illegal ist, Frauen in den hinteren Teil von Bussen zu verbannen. Kein Transportunternehmen habe das Recht, Frauen vorzuschreiben, wo sie sitzen dürfen.

Geschlechtertrennung in Israel

Die liberale Öffentlichkeit interpretierte den Vorfall aber als Ergebnis der ständigen Vorstöße von ultraorthodoxen Kräften in der Regierung, die Trennung von Frauen und Männern voranzutreiben. Was in der Regierung ventiliert werde, ermuntere gewisse Leute, die Geschlechtertrennung im Alltag selbst durchzusetzen, lautete die Kritik. In der Tat hatte der Busfahrer erklärt, die geltenden Gesetze seien irrelevant.

Bestimmte ultraorthodoxe Gruppen forcieren seit Jahren die Geschlechtertrennung. Auf Etiketten von Haarfärbemitteln im Supermarkt überkleben sie etwa die Bilder von Frauen, vor Bankschaltern gibt es verschiedene Schlangen für Männer und Frauen.

Teile der neuen Regierung unterstützen das Vorhaben. Die neue Umweltministerin Idit Silman hat ein Pilotprogramm gestartet: an zwei Quellen, die die israelische Behörde für Natur und Parkanlagen managte, sollte fürderhin geschlechtergetrennt gebadet werden. Doch die Generalstaatsanwaltschaft stoppte das Projekt aus formalen Gründen. Die Ministerin habe gar keine Befugnis, um eine solche Entscheidung zu treffen.

Es mehren sich auch die Stimmen ultraorthodoxer Frauen, die den neuen Trend zur Geschlechtertrennung im Alltag für eine moderne Verirrung halten und dagegen demonstrieren. Auf der Tel Aviver Demonstration gegen die Justizreform und andere Gesetzesvorhaben der neuen rechten Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Samstag, an der über hunderttausend Menschen teilnahmen, waren nun Schilder mit der Aufschrift „Israel ist nicht Iran“ zu sehen.

Netanjahu sah sich offenbar durch die Empörung im Land zu einem Statement genötigt, in dem er die aktuell herrschende Gesetzeslage als richtig betonte. Er plane nicht, sie zu ändern. „Der Staat Israel ist ein freies Land, in dem niemand einschränken wird, wer öffentliche Verkehrsmittel benutzen darf, oder vorschreiben wird, wer wo sitzt.“ Wer sich darüber hinwegsetze, werde zur Verantwortung gezogen. Dabei tat der Ministerpräsident so, als gebe es diesbezüglich keine Bestrebungen in seiner Regierung.

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11 Kommentare

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  • Solange es ständig zu Übergriffe auf Frauen kommt, siehe Metoo ........- ich weiss allerdings nicht ob es das Metoo-Problem auch in Israel gibt

    • @OldFrank:

      ...und weil es #metoo gibt, gehören Frauen zwangsverhüllt, in den hinteren Teil des Busses gepfercht oder auch gleich ganz von Männern weggeschlossen. Ist das Ihr Ernst???

      Es sollte mittlerweile zumindest so weit klar sein, dass eine "Schutzabsicht" vor Übergriffen, die sich ausschließlich in der Maßregelung der potenziellen Opfer ausdrückt, mindestens mal völlig untauglich, im Zweifel aber nur vorgeschoben ist. Wer wirklich ganz normale, selbstbestimmte Bürger vor übergriffigen anderen selbstbestimmten Bürgern schützen will, sollte vor allem - und möglichst ausschließlich - mit Freiheitsbeschränkungen bei letzteren ansetzen. Das ist doch völlig klar.

      • @Normalo:

        Man kann ja auch die Männer in den hinteren Teil des Busses pferchen

        • @OldFrank:

          Kann man eher nicht, würde ich sagen. Eine derartige Behandlung, die letztlich einer Schuldvermutung aufgrund des Geschlechts gleichkommt, wird sich die große, nicht übergriffige (oder sich nicht für übergriffig haltende) Mehrheit nicht gefallen lassen.

          Das ist ja das Perfide an dem "Schutz"-Argument: Es weckt effektiv weniger Widerstand als eine vergleichbare Maßnahme gegen die Seite, auf der sich die Täter befinden. Die Psycho-Logik dahinter ist einfach: Wer als Mann weiß, dass er nicht Täter ist, zieht sich den Schuh auch nicht an. Aber den Frauen wird halt eingeredet, sie seien alle vor allem potenzielle Opfer - und das auch noch unisono von den reaktionären Geschlechtertrennern wie von den Frauenrechtlern. Dass sie keinen radikalen "Schutz" (auf IHRE Kosten) brauchen und sich gegen ihn - wie auch gegen tatsächliche Übergriffe - wehren können und das nur wollen müssen, geht in beider Seiten Narrativ unter.

          • @Normalo:

            Das stimmt schon, niemand muss sich hier etwas unterstellen lassen.



            Aber eine für beide Seiten gleichwertige Geschlechtertrennung löst das Problem. Niemand wird irgendwo "eingepfercht". Es werden nur konsequent die Geschlechter getrennt. Das funktioniert ja in vielen Ländern sehr gut und dort gibt es auch keine Metoo Skandale. Wir sollten weniger eurozentristisch bei der Lösungssuche sein.

            • @OldFrank:

              Es gibt keine "gleichwertige" Geschlechtertrennung, weil es fast überall und fast immer bessere und schlechtere Plätze gibt.

              Welches Geschlecht bekommt den besseren Platz?

              "Das funktioniert ja in vielen Ländern sehr gut und dort gibt es auch keine Metoo Skandale" — Hättest du Beispiele?

              Ich sehe nur Negativbeispiele: im Iran gibt es kein Metoo, weil Frauen, die sich beschweren, im Gefängnis landen.

              Und ja, die Ultraortodoxen in Israel sind auch ein Negativbeispiel: da arbeiten die Frauen und kümmern sich um die Kinder während die Männer theosophieren und Politik machen. Quelle: ATLAS: www.youtube.com/watch?v=PnZEIpuUHZU

  • Sie phantasieren sich spinnefeind. Und doch sind sie sich so nahe wie keine anderen: die pseudoreligiösen Ultras Israel’s und die des Iran. Unter’m Strich bleibt die Wahrheit Yoko Ono’s und John Lennon’s: Woman is the nigger of the world.

  • Netanjahu durch die Blume vorzuwerfen, er gehe nicht autoritär oder nabelschauend genug mit den Ultraorthodoxen in seiner Regierung um, wenn er eine solch eindeutige Ansage gegen ihre Bestrebungen macht, ist schon ein wenig übertrieben. Ich würde den Mann am Liebsten hinter Gittern sehen, aber was er da gesagt hat, ist in Bezug auf die Geschlechtertrenner in seiner Regierung das, was man normalerweise "klare Kante" nennen würde. Das kann man auch mal Einem zugestehen, den man NICHT leiden kann.

  • Upps, die Welt ist zu komplex, es gibt so viele Probleme, alles ist unübersichtlich, wir haben keine Kontrolle -- da müssen jetzt erstmal die Frauen wieder mehr eingeengt werden, wir befehlen, was sie tun und was sie tragen, und kontrollieren ihren Uterus und was sie denken und lernen dürfen. Ah! Alle Frauen unter der Burka und unter Männerkommando? Fein, jetzt geht es uns schon besser, die Welt fühlt sich sicherer an. Wenn die Frauen unter Kontrolle sind, können die Krisen nicht mehr so schlimm sein!

  • Der Protest entspricht nicht nur dem Denken von säkularen Israelis sondern auch der Überzeugung vieler religiöser Israelis, die sich auf die vielen wichtigen jüdischen Heldinnen auch in den Schriften beziehen, z.B. die Richterin und Militärstrategin Deborah (Buch der Richter); Jael, die einen wichtigen Gegner tötet und noch sehr viele andere mutige und kluge Frauen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch, dass an verschiedenen Stellen ausdrücklich auf den gemeinsamen Gesang und Tanz von Männer und Frauen hingewiesen wird.

  • Mein vollstes Verständnis für die säkularen Soldaten und Reservisten, die sich weigern, eine reaktionäre Theokratie zu verteidigen.



    Die gesellschaftliche Spaltung und die Anmassung der Religiösen, eine Diktatur der Mehrheit zu errichten, gefährden die staatlich Existenz Israels.