Proteste der Letzten Generation: Blockieren wird noch teurer
Die staatlichen Maßnahmen gegen Klima-Aktivist:innen werden massiver. Die Polizei in München will von ihnen nun auch Kosten fürs Wegtragen verlangen.
Die Aktivist:innen der Letzten Generation müssen in München bald auch Polizeikosten bezahlen, wenn der Kleber von der Straße gelöst wird und sie weggetragen oder weggeführt werden. Dies kündigte die Münchener Polizei am Sonntag gegenüber an. Rechtsgrundlage dafür ist unter anderem die bayerische Polizeikostenverordnung, sagte ein Sprecher gegenüber der taz. Trotzdem wollen die Klima-Aktivist:innen heute wieder am Münchner Stachus protestieren.
Die staatlichen Maßnahmen gegen die Klima-Aktivist:innen werden damit nun immer massiver. Für die Letzte Generation dürfte das nicht nur negativ sein, da jede Maßnahme die Chance für neue Öffentlichkeitsarbeit bietet. Wir versuchen, einen Überblick zu geben:
Geldstrafen wegen Nötigung: Wer sich auf eine vielbefahrene Straße setzt, um den Verkehr zu blockieren, macht sich wegen Nötigung strafbar. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Blockade nicht nur kurz und demonstrativ sein soll. Wer sich festklebt, drückt damit in der Regel aus, dass er:sie nicht bald wieder aufstehen will. Die Nötigung ist eine Straftat, die bei Ersttäter:innen in aller Regel mit einer Geldstrafe von bis zu hundert Tagessätzen bestraft wird. Die Höhe des Tagessatzes bemisst sich nach dem individuellen Einkommen. Nur sehr ausnahmsweise gab es bisher Freisprüche, weil die Nötigung als nicht verwerflich oder durch einen (Klima-)Notstand gerechtfertigt angesehen wurde.
In der Regel werden die Geldstrafen per Strafbefehl (ohne mündliche Verhandlung) verhängt. Per Einspruch kann eine mündliche Verhandlung erreicht werden, in der Regel aber keine Änderung des Strafmaßes. Viele Aktivist:innen bezahlen ihre Geldstrafe, andere sind dazu nicht bereit oder in der Lage und rechnen deshalb mit Ersatzfreiheitsstrafen. Diese werden derzeit noch im Verhältnis eins zu eins umgerechnet (ein Tagessatz nicht bezahlte Geldstrafe führt zu einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe).
Ist die Letzte Generation eine „kriminelle Vereinigung“?
Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung: Die Staatsanwaltschaft Neuruppin führt ein Ermittlungsverfahren gegen Letzte-Generation-Mitglieder, die regelmäßig versucht haben, Pipelines an der Ölraffinerie Schwedt (Brandenburg) abzustellen. Nach Angaben der Letzten Generation gab es rund 30 Aktionen an Pipelines. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin wertet diese Aktionen als „Störung öffentlicher Betriebe“ und ermittelt wegen dieser Straftaten. Außerdem sollen sich die Aktivist:innen an einer kriminellen Vereinigung beteiligt haben, deren Zweck oder Tätigkeit darauf abzielt, Straftaten von hinreichendem Gewicht zu begehen.
Mitte Dezember kam es daher zu Hausdurchsuchungen bei 11 Aktivist:innen in sieben Bundesländern, die sich an Pipeline-Aktionen beteiligt hatten. Auch wegen der regelmäßigen Straßenblockaden wird die Einstufung der Letzten Generation als „kriminelle Vereinigung“ diskutiert, es gibt hierzu aber noch keine Ermittlungsverfahren.
Präventivgewahrsam: In Bayern sitzen derzeit zwei Aktivisten in Gewahrsam, damit sie keine neuen Straftaten begehen. Der Gewahrsam ist vom Amtsgericht München bis zum 5. Januar festgesetzt. Rechtsgrundlage hierfür ist das Bayerische Polizeiaufgabengesetz, das Gewahrsam von bis zu 60 Tagen zulässt, um bevorstehende Straftaten zu verhindern. Zeitweise waren in München bis zu 19 Aktivist:innen gleichzeitig in Gewahrsam.
Beobachtungen der Letzten Generation zufolge genügt die bloße Ankündigung noch nicht für eine Gewahrsamnahme, vielmehr warte die Polizei die konkrete Beteiligung an Blockaden ab und nehme dann diejenigen Personen in Gewahrsam, die sogleich neue Blockaden ankündigen. In anderen Bundesländern sind die gesetzlichen Fristen für Gewahrsam deutlich kürzer, in Baden-Württemberg zum Beispiel zwei Wochen, in Berlin nur 48 Stunden, weshalb dort noch nicht zu diesem Mittel gegriffen wurde.
Versammlungsverbot: Vor knapp zwei Wochen hat die Stadt München per Allgemeinverfügung verboten, sich auf wichtigen Straßen festzukleben, ohne dies rechtzeitig anzumelden. Der Aufruf zu einer derart verbotenen Versammlung gilt nun als Straftat, die Teilnahme an einer derart verbotenen Versammlung gilt als Ordnungswidrigkeit. Da ohnehin eine Bestrafung wegen Nötigung droht, ist das keine völlig neue Qualität.
Polizeikosten: Die Geltendmachung der Personalkosten für das Loslösen und Wegtragen von Aktivist:innen wird von der Münchener Polizei schon seit Längerem geprüft und nun auch konkret angekündigt. In Berlin wird dies schon seit Längerem praktiziert. Nach Angaben der Letzten Generation werden in der Regel rund 240 Euro zusätzlich zu Geldstrafen fällig. Das Geld werde aber nicht sofort eingezogen, oft komme der Kostenbescheid erst Monate später.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr