Promovierte DDR-Altkader: Doktor Stasi

MfS-Offiziere sollen ihre Vergangenheit kennzeichnen, meint der Stasi-Beauftragte Jahn. Was nach einem Gag klingt, hat einen ernsten Hintergrund.

Gläser mit Tüchern darin

Üble Stasi-Methode: mit gespeicherten Geruchsproben Leute aufspüren Foto: dpa

„Guten Tag, Herr Müller.“ „Doktor Müller, bitte. Doktor Stas.“ Doktor Stas.? Noch nie gehört? Gibt es auch nicht. Könnte es aber bald geben. Zumindest, wenn es nach Roland Jahn ginge. Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen schlägt vor, dass frühere Stasi-Offiziere mit Doktortitel diesen auch deutlich benennen müssen. Dann würde es nicht nur den Dr. phil., Dr. med., Dr. med. vet., Dr. rer. nat., Dr. agr., Dr. paed., Dr. math., Dr. oec. und und und geben – insgesamt gibt es hierzulande 57 Doktortitel –, sondern auch den „Doktor der Stasi“.

Man stelle sich das vor: Herr Müller, ein etwa 80-jähriger Herr unterschreibt seinen Anmeldezettel im Hotel mit „Müller, Dr. stas.“ Der junge Angestellte hinter dem Tresen lächelt: „Herr Dr. stas. Müller, ich begrüße Sie besonders herzlich in unserem Hause.“ Dr. stas. Müller weiß jetzt, dass er im Restaurant auf jeden Fall den Tisch am Fenster kriegen wird. Denn so ein Doktortitel verzückt, das hat er schon immer getan, besonders im obrigkeits- und titelorientieren Osten. Er öffnet Türen und Herzen: Weil er nicht nur Arbeit im Vorhinein bedeutet, sondern vor allem Prestige, finanzielle und soziale Anerkennung im Nachhinein.

Doch so hat sich der Stasi-Beauftragte Jahn das ganz sicher nicht vorgestellt. Auch wenn seine Idee wie ein Scherz klingen mag, hat sie doch einen ernsthaften Hintergrund. Bis zum Mauerfall haben an der Juristischen Hochschule Potsdam, wo dieser Titel erworben wurde, nach Angaben der Stasi-Unterlagenbehörde 485 Autor*innen 174 Promotionsarbeiten geschrieben – und dürfen sich unter anderem Dr. jur. nennen. Aber ihre Dissertationen entbehren nicht nur jeglicher wissenschaftlicher Grundlage, sie sind vor allem eines: der Ausdruck eines perfiden Herrschafts- und Machtsystems.

Inhalt der Arbeiten: Wie man Dissidenten zerstört

Für Jahn sind die Inhalte dieser Potsdamer Promotionen mitnichten wissenschaftliche Arbeiten, sondern vielmehr „Anleitungen zur Verletzung der Menschenrechte“. So sei in den Schriften erörtert worden, wie missliebige Menschen, also Dissidenten, Oppositionelle und andere „Staatsfeinde“, gezielt fertiggemacht, wie ihr privates Umfeld manipuliert und ihre Karrieren zerstört werden können.

Die Dissertationen sind Ausdruck eines perfiden Herrschafts- und Machtsystems

Jahn weiß, wovon er spricht, als einstiger Oppositioneller geriet er ständig mit den Behörden aneinander, saß im (Stasi-)Knast und wurde 1983 in den Westen abgeschoben.

Dazu muss man wissen, dass die Juristische Hochschule Potsdam keine normale Ausbildungsstätte für Anwälte, Staatsanwälte, Notare und sonstige juristische Berufe war. Sondern angebunden ans Ministerium für Staatssicherheit der DDR – und damit Ausbildungsstätte für Spitzel, Fieslinge, kommunistische Hardliner.

Das war vor dem Mauerfall nicht in jedem Fall bekannt, Transparenz war keine Beschreibung, mit der man in der DDR diese Einrichtung in Verbindung gebracht hätte. Eher umrankte die Hochschule so etwas wie eine finstere Aura: von „dubios“ bis „hart“ reichten die Zuschreibungen. Ein Ort und eine Sphäre, die man besser meiden sollte.

Also eine super Idee, diese „Doktoren“ zu outen? Nicht unbedingt. Denn selbst der dümmste Stasi-Spitzel dürfte sich „Dr. stas.“ nicht auf seine Visitenkarte drucken lassen – ­mögen seine Eitelkeit und sein Darstellungsgehabe noch so groß sein. Viele der „Promovenden“ dürften zudem nicht mehr leben, andere in Rente sein. Der Drang, sich als promovierter „Wissenschaftler“ Vorteile zu verschaffen, dürfte also gering sein. An der Rentenhöhe ist auch nicht mehr zu rütteln. Und den Fensterplatz im Restaurant bekommt man sowieso eher, wenn man rechtzeitig reserviert.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.