Pro und contra Konzertsaal-Maskenpflicht: Allzu sensibles Publikum?
Tausche Maskenpflicht gegen Spielbetrieb – ist es Konzert- und Theatergänger:innen zumutbar, den ganzen Abend FFP2 zu tragen?
Ja,
M asken sind den Menschen zumutbar. Auch wenn man sie jetzt schon nörgeln hören kann: die Jungen oder, sagen wir, Mittvierziger oder -fünfziger, die sich plötzlich um Wohl und Wehe der Alten sorgen. Wohlgemerkt: nicht generell, da hätte man die Betagten, wie FDP-Chef Christian Lindner und die AfD-Granden nimmermüd betonen, am liebsten „besser gegen Corona geschützt“, indem man sie ins soziale Vakuum steckte, um drumherum „ganz normal“ weiterzuleben. So, als ginge Corona den Rest der Gesellschaft gar nichts an.
Wenn’s um Vorbehalte gegen Masken in Konzert und Theater geht, könnten die Senioren-allerdings wieder interessant werden. Da könnten die Älteren, bis dato viel geschmähter „Silbersee“, den man baldigst durch Junge ersetzen wollte, willkommenes Argument für mehr Gesichtsfreiheit im Innenraum werden. Und es stimmt ja, dass herz- und lungenkranke, gar demente Senioren ohne Maske besser leben. Nur, dass diese Hochbetagten, arg Gebrechlichen ja nicht dieselben sind wie die „rüstigen Rentner“, die uns in Konzert und Theater begegnen.
Gut, sagen die Maskengegner prompt, aber auch alle anderen werden im Konzert unter der Maske ersticken, es jedenfalls nicht genießen können. Aber mal abgesehen davon, dass die Maske nicht mit Streckbank oder anderen mittelalterlichen Folterwerkzeugen vergleichbar ist – auch wenn sich immer noch jeder zweite, der ein Geschäft verlässt, panisch das Teil vom Gesicht reißt: Seit Ausbruch der Pandemie wurde kein einziger Fall bekannt, in dem jemand unter einer Maske erstickte.
Weder in der Schule noch im Zug – und auf Fernstrecken sitzt man gern mal vier, sechs Stunden – ist irgendwer darob zusammengebrochen, soweit man weiß. Auch von Apothekern, OP-Pflegern und Chirurgen, die bei komplizierten Operationen oft mehrere Stunden am Stück mit Mundschutz am Tisch stehen müssen, hört man nichts dergleichen.
Und Menschen, die in sensiblen AKW-Bereichen oder Laboren arbeiten, die Feinstaub, Lacken oder Gasen ausgesetzt sind, haben schon vor der Pandemie regelhaft bei der Arbeit Masken getragen. Weil es aufgrund der Gefahren- und Gefährdungslage eben nötig ist. Weil es selbst in einer modernen Demokratie nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten gibt – auch und gerade für jene, die sich als kulturaffin bzw. -beflissen bezeichnen. Und dazu zählt ja wohl auch die moralische Kultur, die Kultur der Verantwortung und Solidarität.
Und da sollen Otto und Berta Normalpaar nicht eine Stunde – so lange dauerten die letzten erlaubten Coronakonzerte etwa in der Hamburger Elbphilharmonie – mit Maske dasitzen können? Und sei es nur, um andere vor einer Krankheit zu schützen, die oft erst Symptome zeigt, wenn man andere längst angesteckt hat? Das ließe sich weder rational noch ethisch begründen.
Petra Schellen
Nein,
auf Masken zu setzen, lastet Einzelnen, ganz neoliberal, sämtliche Verantwortung auf – Solidarität geht anders.
Ob Mitmachende oder einfach gern Drinsitzende: Geraten ihm verbundene Menschen in die Verlegenheit, die Relevanz des Theaters zu belegen, wird es gern zum verkleinerten Platzhalter fürs ganz Große, dient die Bühne rasch dazu, auf ihren Brettern beispielhaft durchzuspielen, was allemal gilt in der angeblich wirklicheren Welt da draußen.
Da ist es stimmig, wenn auch die Debatte, ob seinen Besucher:innen – wie auch denen von Kino und Konzert – das Mund-Nase-Maskieren abzuverlangen ist, von allgemeingültigen Zutaten lebt: Ja, es geht um Freiheit und um Solidarität, ums Austarieren von Rechten und Pflichten, kurz: um all das, was Gesellschaften rund um den Globus seit nunmehr einem Jahr auszuhandeln maximal Anlass haben. Völlig offen ist, wie lange das noch so bleibt. Kurios, dass manche, wenn’s um ihre – zugegeben: lange zurückgestellten – kulturellen Bedürfnisse geht, darüber sprechen, als wär’s das erste Mal überhaupt.
Nicht überraschend, dass es den zutiefst verunsicherten Betreiber:innen all der darbenden Häuser einleuchtet: Den Menschen Masken zu verordnen, ist schneller getan und – seien wir ehrlich – auch einfach billiger, als etwa die eigene Belüftungsanlage zu ertüchtigen; dabei ist deren Rolle für eine Reduzierung des Ansteckungsrisikos ja frisch erforscht. Aber warum in den unbequemen Clinch gehen mit den jeweils übers Geld Wachenden, die solche Maßnahmen bewilligen müssten?
Wer aber hinreichend „Quelllüftung“ gewährleisten kann, der kann seine Säle zur Hälfte auslasten. Das ist ganz schön viel, verglichen mit dem Ist-Zustand. Kommt konsequentes Maskentragen oben drauf, geht sogar noch mehr, das leuchtet ein. Aber dieses Mehr hat dann eben seinen Preis: So alt wie die Coronapandemie ist ja auch das Wissen darum, dass es Menschen gibt, die aus absolut triftigem Grund keine Masken tragen können. Der Verweis auf andere, die ja noch viel länger Masken tragen oder von Berufs wegen immer schon: Das klingt unangenehm nach der schwarzen Pädagogik des „Das hat uns damals auch nicht geschadet“.
Denn auch das ist kaum überraschend: wie schnell die Pflichten beim jeweils anderen verortet sind. Ginge als tätige Solidarität neuerdings durch, dass wieder mal sich bescheidet, wer prinzipiell benachteiligt ist – weil doch dadurch mehr Erlös zu erzielen ist? Einzig Eigenverantwortung zu beschwören, als gäbe es keine profitierenden Institutionen, das ist schiere neoliberale Ideologie mit einer Cocktailkirsche Ableismus oben drauf.
Eine Problemlösung aber, deren Befürworter:innen sehenden Auges ganze Gruppen auszuschließen bereit sind: So eine Lösung ist manchmal keine.
Alexander Diehl
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt