Pro und Contra zu Podienbesetzung: Mehr Ausschluss wagen?
Die AfD wurde zum Kirchentag nicht eingeladen. Gut wäre, wenn das auch für Islamisten gelte, findet ein Autor. Ein anderer hält dagegen.
JA
Die Funktionäre der AfD dürfen nicht auf Podien des Kirchentags sitzen. Richtig so: Es ist keine gute Idee, mit Rechten zu reden, die mit Rechtsextremen paktieren. „Die Grenzen des Dialogs sind erreicht, wo sich jemand menschenverachtend oder rassistisch äußert“, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Heinrich Bedford-Strohm der Bild-Zeitung. Zuecht. Doch die Entscheidung des Kirchentags ist inkonsequent. Andere Akteure mit einem ambivalenten Verhältnis zu Demokratie und Menschenrechten sind gern gesehene Dialogpartner beim Kirchentag: extrem konservative Islamverbände.
So wird etwa Aiman A. Mazyek, Vorsitzendem des Zentralrats der Muslime in Deutschland, ein Podium geboten. Mit Altbundespräsident Christian Wulff diskutiert er über: „Wie viel Religion verträgt unsere Gesellschaft?“ Der Zentralrat, der nur einen Bruchteil der Muslime in Deutschland vertritt, ist für seine Nähe zu den islamistischen Muslimbrüdern bekannt. Eine seiner einflussreichsten Mitgliedsorganisationen, die Deutsche Muslimische Gemeinschaft, ist sogar ein direkter Ableger der Islamistenorganisation. Wo immer Muslimbrüder an die Macht kamen – Ägypten, Gaza, Sudan –, führten sie die Scharia ein. Stets zum Nachteil von Frauen, LGBT und der Freiheit des Einzelnen.
Mazyek selbst sagt, Demokratie und Scharia seien miteinander vereinbar. Sein Zentralrat erkennt, so steht es in seiner „Islamischen Charta“, lediglich einen „Kernbestand“ der Menschenrechte an. Dazu schrieb die Evangelische Kirche einst: Die Formulierung bedeute, „dass bestimmte Bereiche der internationalen Menschenrechtserklärungen nicht als verpflichtend angesehen werden“.
Kirchentage unter evangelischen ChristInnen heißt: Ernst zu nehmen, was dort verhandelt, erörtert, begrübelt und was direkt zur Sprache gebracht wird.
In Dortmund stehen Themen wie Migration, Feminismus, Klima und Umwelt im Mittelpunkt. Typische taz-Themen also.
Deshalb begleiten wir den Kirchentag auch: vor Ort und mit vier täglichen Sonderseiten in der Zeitung. Die taz Panter Stiftung hat dafür 9 junge JournalistInnen ins Ruhrgebiet geschickt.
Es ist richtig, es gibt Grenzen des Dialogs: Wer die Grundlagen des demokratischen Diskurses relativiert, kann nicht Teil von ihm sein. Deshalb muss die AfD draußen bleiben. Genauso hat der Zentralrat der Muslime auf dem Kirchentag nichts zu suchen. Es ist keine gute Idee, mit Muslimen zu reden, die mit Islamisten paktieren. Alexander Nabert
NEIN
Ich bin für gewöhnlich kein großer Freund freier Rede, denn es gibt sie gar nicht, und wer mit der Forderung nach ihr hantiert, hat überhaupt Übles im Sinn. Meistens geht es dabei nämlich gar nicht um Freiheit, sondern um Bühnen für die, die ohnehin bereits überall auftreten. Um Rederaum für die, von denen man eh schon weiß, was sie sagen. Insofern hat sich das Kirchentagskomitee mit seiner Weigerung, die AfD einzuladen, eine große Blamage erspart. Genug ist genug.
Ist genug. Wer einen Rührbesen hat, sieht überall Teig, und Generalisierungen sind immer auch schwierig. So auch hier. Die Partei habe sich radikalisiert, so verteidigte Kirchentagspräsident Hans Leyendecker seine Entscheidung. Nun ist „radikal“ eine Kategorie, mit der sich bestimmt auch die Unerträglichkeit des totalen Spaßes adäquat bezeichnen ließe, der im Kirchentag mit Figuren wie Hirschhausen oder Thea Dorn Einzug hält. Denken ist radikal. Das Problem an der AfD ist nicht ihre Radikalität, die als unbestimmter Begriff leer bleiben muss; es sind auch nicht bloß die Positionen, die sie mit Radikalität vertritt; es ist die gesellschaftliche Funktion, die sie als Wegbereiterin des neuen Faschismus einnimmt.
Dem Islamismus nicht abgeneigte Organisationen nehmen diese Funktion in Deutschland nicht ein. Der Kontext ist ein anderer: Zunächst sind der Zentralrat der Muslime und Co., anders als die AfD, tatsächlich religiöse Akteure. Vor allem aber stehen hierzulande die Bevölkerungsgruppen, die sie vertreten, unter permanenter Gewaltandrohung.
Sie sind oft marginalisiert und zugleich ein auch zahlenmäßig bedeutender Teil der Gesellschaft. Nimmt man die Prämisse des Dialogs einmal wohlwollend an, die Kirchentag und Religionen überhaupt sich zurechtgemoost haben, dann ist das Gespräch mit diesen Verbänden gut und wichtig. Es gibt keine reine Lehre. Um Kritik zu üben, können gegenseitige Einladungen helfen: Das lehrt jeder Nachbarschaftsstreit. Man muss sich ja gar nicht mal mögen. Adrian Schulz
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