Private Schiedsgerichte vor Gericht: Energiefirmen droht Niederlage
Kohle- und Windkonzerne wollen Entschädigungen von EU-Staaten. Sollen solche Klagen möglich bleiben? Der Bundesgerichtshof hat eine klare Tendenz.
Die drei verhandelten Fälle zeigten die ganze Bandbreite der Problematik. Zweimal geht es um Konzerne, die sich durch neue klimafreundliche Politik geschädigt sehen. Im dritten Fall ist es umgekehrt: Ein Windkraftunternehmen sieht sich durch restriktive Vorgaben beim Ausbau erneuerbarer Energien ausgebremst.
Konkret klagen die deutschen Konzerne RWE und Uniper gegen die Niederlande, weil das Land bis 2030 aus der Kohleverstromung aussteigen will und den Eigentümern der Kohlekraftwerke dafür keine Entschädigung zahlt (anders als in Deutschland).
RWE verlangt 1,4 Milliarden Euro Schadenersatz, Uniper mehrere Hundert Millionen Euro. Uniper, das in der Gaskrise vom deutschen Staat übernommen wurde, lässt das Verfahren derzeit auf Wunsch der Bundesregierung allerdings ruhen.
Der Weg zur Klage führt über den Energiecharta-Vertrag
Im dritten Verfahren klagt die irische Mainstream-Renewables-Gruppe gegen Deutschland. Die Mainstream-Unternehmen wollten mehrere Offshorewindparks in der Nordsee errichten, sahen sich jedoch durch den energiepolitischen Backlash der großen Koalition ab 2012 ausgebremst und verzichteten auf die Projekte.
Die Gruppe verlangt vom deutschen Staat 275 Millionen Euro Entschädigung für sinnlos gewordene Aufwendungen und entgangene Gewinne – plus 56 Millionen Euro Zinsen. Dass die Politik der aktuellen Ampelregierung windkraftfreundlicher ist, ändere nichts an den Ansprüchen, hieß es.
Alle drei Firmen klagen vor Icsid-Schiedsgerichten der Weltbank, bei denen sich die Streitparteien auf private Schiedsrichter einigen, meist Rechtsprofessoren oder Anwälte. Der Weg zu den Schiedsgerichten führt über den Energiecharta-Vertrag.
Dieser völkerrechtliche Vertrag, dem rund 50 Staaten beigetreten sind, war 1994 geschaffen worden, um Energieinvestitionen westlicher Konzerne in Osteuropa zu fördern. Unternehmen, die in den neuen Demokratien investierten, sollten darauf vertrauen können, dass sie nicht willkürlich enteignet oder sonst geschädigt werden. Streitfälle sollten nicht vor Gerichten in Ungarn und Kasachstan geklärt werden, sondern vor den neutralen Icsid-Schiedsgerichten.
Schiedsverfahren sind nicht immer mit EU-Recht vereinbar
Seither nutzen Konzerne den Energiecharta-Vertrag aber immer wieder auch zu Klagen gegen westeuropäische Staaten. Am bekanntesten wurde die Klage des schwedischen Unternehmens Vattenfall gegen den deutschen Atomausstieg. Im März 2021 erhielt Vattenfall aufgrund eines Vergleichs (ohne Schiedsurteil) 1,4 Milliarden Euro.
Allerdings hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) im September 2021 in seinem Komstroy-Urteil entschieden: Energiecharta-Schiedsverfahren sind mit europäischem Recht unvereinbar, wenn EU-Staaten von Unternehmen aus anderen EU-Staaten verklagt werden.
Der EuGH folgte damit seiner Linie aus dem Achmea-Urteil von 2018, mit dem er bilaterale Investorenschutzverträge zwischen zwei EU-Staaten für unzulässig erklärte. Dem EuGH geht es dabei offenbar vor allem um seine eigene Stellung; er will verhindern, dass private Schiedsgerichte das EU-Recht anders auslegen als er.
Nun berufen sich auch Deutschland und die Niederlande auf die EuGH-Rechtsprechung, um die gegen sie eingeleiteten Icsid-Verfahren zu verhindern. Beide Staaten haben daher vor deutschen staatlichen Gerichten geklagt, um feststellen zu lassen, dass die konkreten ICSID-Schiedsverfahren unzulässig sind. Sie argumentieren auf Grundlage eines Paragrafen der deutschen Zivilprozessordnung.
Die Konzerne halten diese Norm jedoch für nicht anwendbar, wenn es um Icsid-Schiedsgerichte geht. Deutsche Gerichte urteilten bisher uneinheitlich. Das Kammergericht Berlin entschied zugunsten der Konzerne, das Oberlandesgericht Köln zugunsten der Staaten.
Nun muss der BGH entscheiden, was gilt. Der Vorsitzende Richter Thomas Koch ließ klar erkennen, dass sein Senat die Argumentation der Staaten überzeugender findet. Seit der EuGH die Schiedsklausel des Energiecharta-Vertrags bei Verfahren zwischen EU-Staaten und EU-Unternehmen für rechtswidrig erklärte, fehle die „Brücke“ zu den Icsid-Schiedsgerichten.
Stellvertretend für die Konzerne warnte Rechtsanwalt Thomas Winter vor dem „verheerenden Eindruck“, den ein entsprechendes BGH-Urteil weltweit machen werde: „Was sagen wir dann, wenn staatliche Gerichte in Brasilien oder Chile ebenfalls die Schiedsgerichte aushebeln?“ Der BGH wird sein Urteil am 27. Juli verkünden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“