Pride-Monat: Doppelte Diskriminierung
Queere Menschen mit Migrationshintergrund werden oft von ihren ethnischen Gruppen ausgegrenzt. Auch in der LGBTQ-Community gibt es noch Vorurteile.

I n diesen Tagen beginnen wieder in vielen Städten Deutschlands die Christopher Street Days. Die Teilnehmenden demonstrieren für die Rechte von sexuellen Minderheiten – in Erinnerung an die Stonewall-Aufstände, bei denen sich am 28. Juni 1969 homosexuelle und trans Personen in der New Yorker Christopher Street gegen polizeiliche Gewalt und Gängelung zur Wehr setzten. Diese Veranstaltungen mögen heutzutage für Außenstehende als kreischend-bunte Partys daherkommen.
ist Senior Expert zum Thema Einwanderungsgesellschaft mit Fokus auf Integration und Diversität sowie Vielfaltsbeauftragter der Robert Bosch Stiftung. Er befasst sich mit gleichberechtigter Teilhabe von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund sowie der Bekämpfung jeglicher Diskriminierung.
Tatsächlich aber sind es wichtige politische Demonstrationen, die aktuell wieder relevanter werden: Laut dem Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e. V. ist die Zahl der queer- und transfeindlichen Gewalttaten in Deutschland 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent gestiegen. Ein Großteil dieses Anstiegs geht auf rechts motivierte Queerfeindlichkeit zurück.
In der Konsequenz sind insbesondere in Ostdeutschland CSD-Paraden häufig nur mit dem Einsatz großer polizeilicher Aufgebote möglich. In einem politischen Umfeld, in dem selbst Parteien der Mitte gegen „Wokeness“ polemisieren, kann das nicht verwundern. Das Eintreten für die Rechte queerer Menschen bleibt also wichtig. Unterbelichtet sind dabei aber häufig die Lebensumstände besonders vulnerabler Gruppen innerhalb der LGBTQI-Community, derjenigen nämlich, die doppelter Diskriminierung und Marginalisierung ausgesetzt sind.
Schwieriges Coming-out
Dazu gehören queere Menschen mit Migrationshintergrund. Sie werden nicht nur aufgrund ihrer sexuellen Identität oder Orientierung, sondern auch wegen der ethnischen Herkunft abgewertet – und das in verschiedenen gesellschaftlichen Sphären. Neben der Diskriminierung durch die „Mehrheitsgesellschaft“ werden sie auch innerhalb der eigenen ethnischen Gemeinschaft ausgegrenzt.
Ohne das Bild einer gewaltsamen und rückständigen migrantischen Gesellschaft kultivieren zu wollen, bleibt es doch eine Realität, dass in diesem Umfeld ein Coming-out oft schwierig oder gar unmöglich ist. Dabei sind die Argumentationsmuster aber keineswegs nur muslimisch, sondern auch christlich. Daneben sehen sich queere Migrant:innen auch innerhalb der LGBTQI-Community Ressentiments, kulturellen Stereotypisierungen und offenem Rassismus ausgesetzt.
Sie werden häufig entweder „fetischisiert“ – beispielsweise als unterwürfige Asiat:innen oder arabische Machos – oder aus ähnlichen Gründen offen abgelehnt. Eine nicht repräsentative Befragung der schwulen Datingplattform Planetromeo im Vorfeld der Bundestagswahlen 2025 ergab, dass 27,9 Prozent der Nutzer beabsichtigten, die AfD zu wählen – weit vor allen anderen Parteien.

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Dass Menschen mit eigenem Diskriminierungsrisiko ausgerechnet eine nachgewiesen rechtsextreme und ausländerfeindliche Partei präferieren, sagt einiges über den schwierigen Stand von Migrant:innen in der schwulen Community aus. Was für queere Migrant:innen gilt, gilt in besonderer Weise für Geflüchtete. Oft genug ist eben deren sexuelle Identität der Fluchtgrund. Laut den Vereinten Nationen werden in 67 Staaten gleichgeschlechtliche Beziehungen kriminalisiert, in elf Ländern wird die Todesstrafe verhängt.
Angstraum Sammelunterkunft
Skandalös erscheint vor diesem Hintergrund das bis 2022 in Deutschland gültige „Diskretionsgebot“. Demnach wurde queeren Geflüchteten in Deutschland Asyl mit der Begründung verweigert, ihnen würde in den Herkunftsländern bei diskretem Verhalten keine Verfolgung drohen. Auch wenn diese Praxis beendet ist, bleibt die Situation für queere Asylbewerber:innen schwierig.
In Sammelunterkünften sind queere Geflüchtete häufig Anfeindungen ausgesetzt – nicht selten durch Mitbewohner:innen, deren Sozialisation von Intoleranz gegenüber LGBTQI geprägt ist. Für die Betreffenden sind die Unterkünfte damit keine Schutz-, sondern Angsträume, in denen sich die negativen Vorerfahrungen mit Staat und Gesellschaft im Herkunftsland fortsetzen. Ihre Bedürfnisse werden nicht angesprochen, Isolation wird verstärkt – mit negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Geflüchteten.
Die Konsequenz von alledem ist, dass die Betroffenen oft durch alle Raster fallen und weder in der ethnischen noch in der LGBTQI-Community eine Heimat oder einen sicheren Hafen finden. Was aber ist zu tun? Die Betreffenden müssen in ihrer Resilienz gestärkt und empowert werden, zum Beispiel durch Beratungsangebote, geschützte Räume und den Erfahrungsaustausch mit anderen. Dies gilt umso mehr in eher ländlichen Regionen, in denen Anlaufstellen kaum vorhanden und gesellschaftliche Vorurteile häufig noch stärker ausgeprägt sind.
Sammelunterkünfte benötigen Schutzkonzepte, die für queere Geflüchtete ein angstfreies Umfeld und die Möglichkeit zur Selbstentfaltung sicherstellen. Es braucht gesellschaftliche Bildungs- und Aufklärungsarbeit, um für unterschiedliche Lebenslagen zu sensibilisieren und Vorbehalte abzubauen. Dazu gehört auch, Mehrfachmarginalisierung und intersektionale Diskriminierung ernst zu nehmen und aktiv dagegen anzugehen.
Hierfür braucht es ein klares Bekenntnis des Staats und seiner Institutionen zu einer vielfältigen Gesellschaft, flankiert durch mehr statt weniger Diversitäts- und Demokratieprogramme. Darum engagieren wir uns bei der Robert Bosch Stiftung gezielt für Organisationen und Akteure, die queere Geflüchtete unterstützen – etwa im Rahmen des Projekts „Integration von queeren Geflüchteten und Migrant*innen stärken“. Denn eine demokratische Gesellschaft muss auch an ihren verletzlichen Rändern solidarisch sein.
Die aktuellen Pride-Wochen bieten einen guten Anlass, den Blick über die eigene Lebenswirklichkeit hinaus zu öffnen. Denn: Eine Gesellschaft ist nur so stark wie die, die am meisten Schutz brauchen.
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