Preußenkitsch in Potsdam: Verunsicherte Gesellschaft
Die neue Garnisonkirche steht für komplettes Retro. Wer ein rückwärtsgewandtes Stadtbild insgesamt sucht, ist in Potsdam genau richtig.
D er Wiederaufbau der Garnisonkirche ist als Symbol des preußischen Militarismus abzulehnen? Ach was. Preußen ist selbst in Potsdam so mausetot, dass auch seine Symbole niemanden erschrecken müssen. Seine Reste lassen sich in fast jede politische Richtung kneten, mit Toleranzedikt und Allgemeinem Landrecht nach Mitte-links, mit Militarismus und Kaiserreich nach rechts.
Die Symbolik ist so beliebig, dass sie auch schon wieder egal ist. Das Zeichen, das der Wiederaufbau der Garnisonkirche setzt – ausgerechnet auf Kosten eines alten DDR-Rechenzentrums, das inzwischen zu einem soziokulturellen Freiraum geworden ist –, ist gleichwohl beunruhigend.
Die neue alte Kirche im Zentrum weist auf eine verunsicherte Gesellschaft, die gerne diskutiert, wo sie herkommt, aber keinerlei Idee davon hat, wo sie hin muss. Wer durch die Potsdamer Innenstadt flaniert, kann das auf wenigen Quadratmetern besichtigen: Ein kurzer Weg ist es von der Garnisonkirche bis zum weitgehend original aufgebauten Stadtschloss, vor dem putzige Reihenhäuser auf historischem Grundriss fast fertig gebaut sind; dafür musste die Fachhochschule weichen.
Der Staudenhof, ein Plattenbau, der günstigen Wohnraum bot, wird gerade abgerissen; auch dort folgen Neubauten. Ressourcensparendes, gemeinwohlorientiertes, klimaneutrales Bauen und Wohnen? Hier nicht. Wer ein Bild sucht für eine Gesellschaft, die sich mutlos an die fossile Industrie des vergangenen Jahrhunderts klammert, sich Wohnen und Produzieren nur räumlich getrennt vorstellen kann und das gute Leben im Konsumieren sucht – die findet es hier, mitten in Potsdam.
Wer danach noch einen Ausflug an den Stadtrand macht, fährt durch Eigenheime und teuren Geschosswohnungsbau, autogerecht, mit Gasanschluss. Erst seit Kurzem gehen die Stadtwerke das Thema Fernwärme durch Geothermie an. Der Ausbau der Straßenbahn zu geplanten Neubauvierteln im Grünen hingegen scheitert – am Denkmalschutz.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links