Pressefreiheit im Ukraine-Krieg: Hinter den Kulissen des Krieges
Korruption läuft in der Ukraine weiter, Journalisten geraten unter Druck. Lokale Produzenten riskieren ihr Leben im Auftrag internationaler Medien.
Von einer Art staatlichem Informationsmonopol spricht Natalie Sedletska, die Chefredakteurin der ukrainischen Rechercheplattform Schemes, eines Projekts des von den USA finanzierten Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL). Vor dem Ukrainekrieg recherchierte Sedletska hauptsächlich zu Korruption, später mehr über Kriegsverbrechen in der Ukraine. „Nach einer Weile haben wir den Fokus unserer Recherchen wieder auf Korruption gelegt.“
Doch das immer noch geltende Kriegsrecht erschwere das, sagt Sedletska vor den internationalen Journalist*innen in Perugia. „Eine rote Linie wurde überschritten“, fügt Olga Rudenko, Chefredakteurin von The Kyiv Independent, hinzu, als sie über eines der jüngsten Beispiele von Überwachung ukrainischer Journalist*innen berichtet.
Besonders erschütternd ist der Fall der ukrainischen Plattform Bihus.info: Ihre Journalist*innen wurden vom ukrainischen Sicherheitsdienst mit versteckten Kameras bei der Party in einem Hotel überwacht. Dreißig Beamte waren involviert. Im Nachhinein musste Sedletska feststellen, dass die Öffentlichkeit sich mehr um den Ruf des ukrainischen Sicherheitsdienstes (SBU) sorgte, als an Aufklärung interessiert zu sein. „Dass es ein Angriff auf die Pressefreiheit war, wurde gar nicht thematisiert“, beschwert sich Sedletska.
Mithilfe des Kriegsrechts haben ukrainische Sicherheitskräfte in den letzten Monaten Journalisten auch mit der Einberufung an die Front gedroht. So jüngst geschehen im Fall der Investigativplattform Slidstvo.info. Am Abend vor der Veröffentlichung einer Recherche zu Korruptionsvorwürfen gegen den Leiter der Cybersicherheiteinheit beim SBU wurde ein beteiligter Investigativjournalist in einem Supermarkt in Kyjiw angesprochen und ihm das Einberufungsschreiben vor Ort persönlich ausgehändigt.
Ukrainische Journalisten in Russland inhaftiert
Viel wurde in den ukrainischen Medien in den vergangenen Wochen indes über die Verhaftung von ukrainischen Journalist*innen berichtet, die nach Russland überstellt werden. Ein Beispiel: Serhiy Tsyhypa. Er wurde in einem angeblichen „Spionagefall“ auf der von Russland annektierten Krim verurteilt.
Seine Frau, die ihn seit zwei Jahren nicht gesehen hat, sprach darüber bei der OSZE und im Europarat und ist dazu auch im Kontakt mit dem Internationalen Roten Kreuz. Trotz ihrer Bemühungen ist ihr Ehemann noch in Haft. Zivile Gefangene können im Gegensatz zu militärischen auf staatlicher Ebene nicht ausgetauscht werden. In Russland wurden allein in den letzten zwei Monaten rund 20 russische Journalist*innen festgenommen, verhaftet oder verurteilt.
Auf einem anderen Panel des International Journalism Festival in Umbrien tritt der italienische Fotoreporter Lorenzo Tondo auf: „Ich kann in der Ukraine ohne Zensur arbeiten, aber ich vermute, das geht nur, weil ich nicht über die Korruption im Lande berichten will.“ Für den erfahrenen Reporter bedeutet Journalismus im Krieg vor allem Leid und Schmerz. „Es wird zu wenig über die Traumata der Kriegsberichterstatter gesprochen.“ Dann regt sich der Fotograf über Desinformationskampagnen zum Ukrainekrieg in der italienischen Presse auf: „Ich war in Butscha und Irpin, die Bilder sprechen für sich und zeigen die Wahrheit. Keiner kann sie verleugnen.“ Doch weil das immer wieder versucht werde, fühle er sich manchmal ziemlich frustriert.
Ohne lokale Helfer*innen, auch „Fixer*innen“ genannt, können internationale Reporter wie Tondo ihre Arbeit im Ukrainekrieg nicht erledigen. Menschen wie Andrii Kolesnyk und Kyrylo Sirchenko. Beide sind keine 30 Jahre alt – und erst im Februar 2022 Fixer geworden. Nach über zwei Jahren Krieg haben sie gute Kontakte zu Medien aus der ganzen Welt. Reporter ohne Grenzen (RSF) begleitete die zwei in dem Dokumentarfilm „Fixers in Wartime – The invisible Reporters“ und lud sie Ende März zur Premiere nach Berlin ein – als junge ukrainische Männer brauchten sie eine Sondergenehmigung, um überhaupt das Land verlassen zu dürfen.
„Als der Angriffskrieg begann, wollte ich etwas gegen meinen Stress und meine Ängste tun. Gleichzeitig wollte ich den ausländischen Journalist*innen helfen“, sagt Kolesnyk in Berlin. Für Medienschaffende wurde die Ukraine in drei Zonen aufgeteilt. Die grüne: ohne Einschränkungen, die gelbe: nur in Begleitung von Presseoffizieren, und die rote: ganz verboten für Journalist*innen. „Nur im Süden der Ukraine ist es unmöglich, über militärische Angelegenheiten zu berichten – so wurde es uns von den lokalen Behörden stets kommuniziert“, fügt Kolesnyk hinzu. Er kann gut nachvollziehen, dass die ukrainische Regierung von Wolodymyr Selenskyj ihre Informationskamapgnen aus Sicherheitsgründen genau zu steuern versucht.
Auch im Krieg im eigenen Land wachsam bleiben
Für Kolesnyks Kollege Kyrylo Sirchenko bedeutet der Job als lokaler Helfer vor allem einen Risikozustand, den er sonst so nicht erlebt. „Meine engsten Freunde sind jetzt an der Front. Ich gehe als Fixer ein anderes Risiko ein, indem ich ausländische Medien an Kriegsschauplätze bringe. Als Held will ich aber nicht betrachtet werden.“
Beim Journalismus-Festival in Perugia endet Schemes-Chefredakteurin Sedletska mit der Beobachtung, dass der Journalismus in der Ukraine aktuell komplett vom Kriegsverlauf abhänge. „Das Schlimmste wäre, den Krieg zu verlieren. Doch noch schlimmer wäre die russische Besatzung, weil es dann keine Redefreiheit mehr gäbe“, sagt Sedletska. „Aber auch im Krieg müssen wir als Journalist*innen wachsam bleiben und die Meinungsfreiheit schützen.“
Segil Musaieva, Chefredakteurin der Ukrayinska Pravda, erhofft sich wiederum mehr Pressefreiheit durch den möglichen EU-Beitritt der Ukraine, die seit 2022 EU-Beitrittskandidatin ist: „Um ein demokratisches und europäisches Land zu werden, müssen wir für unser Recht auf Pressefreiheit kämpfen.“
Ukraine: Rangliste der Pressefreiheit: Platz 61
Dieser Artikel ist am 3. Mai 2024 als Teil einer gemeinsamen Sonderbeilage der taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen zum Tag der Pressefreiheit erschienen. Weitere Infos hier.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen