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Preisverleihung nicht ohne TumulteMit den Angriffen war zu rechnen

Der Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ bekommt den Göttinger Friedenspreis 2019 – und setzt sich gegen seine Kritiker zur Wehr.

In die Mitte genommen: Preisträgerin Iris Hefets zwischen Laudatorin Nirit Sommerfeld (r.) und Juror Andreas Zumach Foto: dpa

Draußen vor der Tür schreien sich Demonstranten an. Die einen schwenken Israel-Flaggen, die anderen Fahnen Palästinas. Ein paar Mannschaftswagen der Polizei sind aufgefahren, die Beamten beschränken sich aber aufs Regeln des Verkehrs. Drinnen, in der Galerie „Alte Feuerwache“, läuft die Vergabe des Göttinger Friedenspreis der Stiftung Dr. Roland Röhl an den Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. Weil nicht alle Interessierten Platz finden, wird die Veranstaltung in einen Anbau und eine weitere Galerie übertragen. Rund 450 Zuhörer sind am Samstag gekommen, viel mehr als üblich bei der Verleihfeier für den Friedenspreis.

Das liegt daran, dass die Vergabe der mit 3.000 Euro dotierten Auszeichnung schon im Vorfeld für heftige Turbulenzen und Verwerfungen gesorgt hat. Unter anderen hatten der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, die „Jüdische Stimme“ als antisemitisch gebrandmarkt und das mit ihrer Nähe zur zur Boykott-Kampagne BDS (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) gegen Israel begründet.

Wegen der Vorwürfe zogen die Universität, die Stadt und die Sparkasse in Göttingen ihre Unterstützung für die Verleihung zurück, die Uni versagte die Nutzung der Aula. Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) und die Hochschulpräsidentin Ulrike Beisiegel sitzen im Kuratorium der Stiftung Dr. Roland Röhl, die den Preis seit 1999 vergibt. Ein „Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus“ forderte in einem Offenen Brief gar eine Neubesetzung der Preisjury. Die Stiftung hielt aber an ihrer Wahl fest.

Die Vorsitzende der „Jüdischen Stimme“, Iris Hefets, nennt es am Samstag eine „große Ehre, einen Friedenspreis zu erhalten, und eine noch größere, in die ehrwürdige Liste der Träger des Göttinger Friedenspreises aufgenommen zu werden“. „Wir sind wahrscheinlich der einzige Preisträger, der sich bei der Benachrichtigung über die Preisverleihung sehr freute, gleichzeitig aber schon wusste, dass er sich warm anziehen muss“, sagte sie. „Mit den Angriffen und Verleumdungen war zu rechnen.“

Das Muster solcher Angriffe wiederhole sich. „Die Rechte der Palästinenser werden verletzt, es findet ein politischer Protest dagegen statt, die deutsche Presse findet – oder erfindet – einen antisemitischen Vorfall und am Ende wird von Antisemitismus geredet und diesbezüglich agiert, womit der ursprüngliche Protest erstickt ist.“ Zum Beispiel, als Palästinenser in Berlin gegen die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump protestierten, die Botschaft nach Jerusalem zu verlegen: Ein Journalist habe behauptet, die Demonstranten hätten „Tod den Juden“ auf Arabisch gerufen „und sofort wird über Antisemitismus unter Muslimen gesprochen“.

Jetzt wird Tacheles geredet

Die „Jüdische Stimme“ rede „Tacheles über das, was zwischen Mittelmeer und Jordan passiert“, sagt die deutsch-israelische Sängerin und Schauspielerin Nirit Sommerfeld in ihrer Laudatio. „Das ist gut und wichtig, denn wenn man in Deutschland mehr weiß über die Fakten, dann kann deutsche Öffentlichkeit und Politik sich bewegen und Einfluss nehmen auf die israelische Regierung zugunsten einer gerechten und friedlichen Lösung.“

Sommerfeld weist den Antisemitismusvorwurf gegen die „Jüdische Stimme“ zurück. Der Verein distanziere sich „eindeutig von jeder Form von Gewalt, von Antisemitismus, Anti-Islamismus und jeder anderen Form von Rassismus“. „Und wenn es eine Demonstration gegen Antisemitismus gibt, dann beteiligt sich die ‚Jüdische Stimme‘ und setzt dezidiert ein Zeichen: Gegen jede Form von Antisemitismus, so wie sie es in ihrem Selbstverständnis manifestiert hat.“

Der Vorsitzende der Stiftung Dr. Roland Röhl, Hans-Jörg Röhl, würdigt die Zivilcourage der Galerie, die dem Friedenspreis „Asyl“ gewährt habe. „Schneiden Sie von Ihrer Zivilcourage ein paar Scheiben ab und verteilen Sie sie in der Stadt, das wird ihr guttun.“

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22 Kommentare

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  • Wenn es dazu kommt, dass nicht-jüdische Deutsche vehement, fast hysterischerweise Juden - sogar israelische Juden - als "antisemitisch" beschimpfen, dann weiss man, das der Begriff "Antisemitismus" an Bedeutung drastig verloren hat. Man fragt sich auch, was steckt hinter dieser grausamen Ironie.

  • "Wenn die kritiklosen angeblichen Israel-Freunde so weiter machen, sorgen sie noch dafür, dass „Antisemit“ angesichts der Reihe der angeblichen Antisemiten zum Ehrentitel wird. Und das wäre dann wirklich eine Katastrophe." (Zitat Harald Fuchs)

    www.friedenkoeln.de/?p=13455

  • "Was ist, wenn Israel an den Konflikten durch die illegalen Besetzungen wirklich schuld IST?"

    Dann machen Sie doch einfach mal mit dem Beginn des Konflikts vertraut. Der Begann nämlich nicht mit der Besetzung des Westjordan, Gaza oder Ost-Jerusalem sondern mit der Staatsgründung Israels.

    Ihr Satz stimmt also nur, wenn Sie bereits die Staatsgründung Israels als illegale Besatzung ansehen. Viele tun das in der Tat.



    Deswegen fordern Hamas und Co. ja auch weiterhin die gewaltsame Auflösung Israels. Wer diese Sichtweise kritiklos übernimmt billigt damit auch eine Politik, die auf Tot und Vertreibung vieler Millionen Juden hinausläuft.



    Wie halten Sie es denn mit deren Menschenrechten?

    • @Horst Horstmann:

      "Wer diese Sichtweise kritiklos übernimmt …" Mache ich nicht.



      Wiki de.wikipedia.org/wiki/Israel



      "Der Proklamation Israels als neuer Staat ging der UN-Teilungsplan für Palästina von 1947 voraus, der allerdings von arabischer Seite abgelehnt wurde." So sieht also ein "Vertrag" (also eher ein Mehrheitsbeschluß über die Köpfe hinweg) aus, der Menschen ihr angestammtes Land streitig macht?!



      Menschenrechte gelten unteilbar eben für alle Menschen. Das ist der Anfang gewesen. So weit ich das nachvollziehen kann.



      Und dafür wäre nach meinem Dafürhalten ein Vertrag|Beschluß nötig gewesen, der alle an der Entscheidung Betroffenen einbezogen hätte, also eine Zustimmung aller Beteiligten gefunden hätte. Da diese Zustimmung aber offenbar nicht erreicht wurde|erreicht werden wollte (?), wird das jetzt seit Jahrzehnten über militärische Auseinandersetzungen, (illegale) Besetzung von Gebieten, Anschlägen, Raketenangriffen, Mauern, Unterdrückung und über Gewalt und Gegengewalt ausgetragen.



      So viel zu Menschenrechten und Menschenwürde.



      Sollte Deutschland einen Teil seines Landes als Staatsgebiet an Israel abtreten? Wäre das gerecht? Vielleicht.

      • @Frau Kirschgrün:

        Nach dem Holocaust verfolgen die deutschen BDS'ler die Juden über die halbe Welt, um denen, die dem Holocaust entkommen sind zu erklären, dass auch die Araber und Palästinenser nicht mit ihnen zusammenleben können, wenn sie sich nicht ändern.



        What a shame!

        • @Günter:

          Vielleicht ist das eine oder andere Vorurteil einfach nur in blindem "Verständnis" für Unrecht verpackt … die Überlegung könnte überdenkenswert sein…

          • @Frau Kirschgrün:

            Auf der Iberischen Halbinsel gab es die ersten großen Pogrome 1011 in Cordoba und 1066 in Granada. Die Kreuzritter folgten sodann, die auf ihrem Weg nach Jerusalem 1096 in Worms ein Massaker gegen Juden verübten. 1146 der zweite Kreuzzug, 1190 der dritte, 1266 Vertreibung aus Breslau, 1348 bis 1350 die sog. Pestpogrome, bei denen Juden für die Pest verantwortlich gemacht wurden, 1349 Straßburg, 1440 wieder Breslau. Etwa ab 1538 die Hassschriften von Martin Luther. 1881 Jelisawetgrad, 1882 Balta und viele unzählige hier unerwähnte Hassschriften, Vertreibungen, Misshandlungen und Morde.

            Und dann der Holocaust.

            Und alle sahen sich vollkommen im Recht, hatten keine Zweifel, fanden ihre Einstellung und die Verbrechen, die sie gegen Juden verübten völlig vernünftig und plausibel.

            Selbst nach dem Holocaust hat eine Bewegung wie die BDS keine Zweifel, findet ihre Einstellung die sie gegen Israel, gegen Juden hat völlig vernünftig und plausibel, wie mindestens seit 1011.

            Kommen Sie da nicht in's Grübeln, wenn man für sowas heute Preise verleiht?

      • @Frau Kirschgrün:

        Sehen Sie, kaum klopft man die ganzen Phrasen von Menschenrechten und Frieden etwas ab dringt man schnell zum Kern vor:

        Die grundsätzliche Existenz des Staates Israel wird in Frage gestellt. Es geht ihnen nicht eben nicht um Frieden zwischen Israel, den Palästinensern und anderen Staaten. Sie stören sich daran, dass die Juden in Israel einen Heimatstaat gefunden haben.



        Aber anstatt dies offen zuzugeben flüchten sie sich in blumige Formulierungen, wohl wissend worauf all Ihre Forderungen hinaus laufen.

        Auch wenn Ihre Selbstwahrnehmung eine andere ist, eine friedliche Lösung die auch die Rechte der Israelis mit berücksichtigt ist mit Ihrem Ansatz nicht erreichbar. Nur das Gegenteil: Weitere Vertreibungen und noch mehr Leid. Nur dann halt auf der Seite der Juden. Warum Leute, die so gerne von unteilbaren Menschenrechten sprechen, dies erstrebenswert finden, erschließt sich mir nicht.

        • @Horst Horstmann:

          "(1) Die grundsätzliche Existenz des Staates Israel wird in Frage gestellt. (2) Es geht ihnen nicht eben nicht um Frieden zwischen Israel, den Palästinensern und anderen Staaten. (3) Sie stören sich daran, dass die Juden in Israel einen Heimatstaat gefunden haben."



          Das sind – mit Verlaub – unhaltsame Vorwürfe Ihrerseits:



          (1) Ich stelle die grundsätzliche Existenz des Staates Israel ·n i c h t· in Frage.



          🎓 Was ich anzweifle (!), ist das Vorgehen, um einen Staat Israel zu gründen.



          (2) Es geht mir eindeutig um den Frieden zwischen Israel und den Palästinensern.



          🎓 Für einen Frieden darf aber ·n i c h t· eine Seite von der anderen verlangen, dass sich ausschließlich diese andere Seite bedingungsloslos unterwerfen muss und alle m. E. illegal geschaffenene Tatsachen hinzunehmen hat.



          (3) Nein, an dem Umstand, dass als solchem, dass Israel einen Heimatstaat gefunden hat, störe ich mich (besonders als spätgeborene, nichts destotrotz schuldbeladene Deutsche) ·k e i n e s w e g s·.



          🎓 Ich störe mich daran, dass dieser neue Staat die angestammte Bevölkerung unterdrückt, beschränkt und bekämpft, und dieser neue Staat die angestammte Bevölkerung vertreiben dürfen soll, obwohl dieser neue Staat die Vereinbarungen nicht einhält und die Gebiete für sich nach Belieben glaubt "erweitern" zu dürfen.



          Also, bitte, mein Appell nochmal:



          🕊 Und ich möchte herzlich darum bitten, berechtigte Kritik an Israel nicht zu missbrauchen, um Antisemitismus daraus zu machen. 🕊

          🕊 M. E. darf sich jeder (denkende) Mensch zu allen Themen äußern, auch zur Politik und deren Art und Weise, wie sie von Israel betrieben wird. 🕊



          Und nochmal mein Vorschlag: Deutschland gibt Staats-Gebiet (im Verhältnis also etwa 30.000 qkm von 357.000 qkm) an Israel für seinen neuen Staat ab, Israel verlässt den Libanon. Wäre das gerecht? Vielleicht.

  • Ich haette jetzt schon gern etwas ueber die Vorstellungen dieses Vereins zu einem vermeintlich gerechten Frieden erfahren.

  • Jetzt ist es also schon Zivilcourage, wenn man den Raum dafür schafft, dass einer Gruppe, die antisemitischen Gruppen offenbar durchaus nahe steht - um es vorsichtig auszudrücken - ein "Friedenspreis" verliehen werden kann. Naja, kann man so sehen, muss man aber nicht. Ich finde es beschämend.

  • Endlich Leute mit Charakter, die sich nicht von rechtsnationalistische Zionisten einschüchtern ließen. Chapeu! Die Leitung der Uni gehört abgesetzt.

    • @Rolf B.:

      Ein Verein dessen Kernthese "die Juden sind an allem Schuld" ist besitzt sicher keinen positiven Charakter und ist auch nicht preiswürdig.

  • Hintergrund und Umstände des Ereignisses kann man hier nachlesen:



    lizaswelt.net/2019...uer-antizionisten/

    • @Günter:

      "Die Jüdische Stimme fungiert als eine der Kronzeugen der Anklage gegen Israel, genau dafür wird sie ausgezeichnet."

      Eine gute und treffende Zusammenfassung.

      Ein Blick in die Selbstdarstellung zeigt sofort worum es dem Verein geht: Alle Verantwortung wir einseitig Israel zugewiesen und den Palästinensern die Opferrolle, in der Gewalt nur als legitime Notwehr vorkommt.

      Wer so argumentiert liefert sicher keinen Beitrag dazu, den komplexen und vielschichtigen Konflikt zu lösen sondern bedient allenfalls den alten Narrativ von "die Juden sind an allem Schuld".

      Sich dann über den Vorwurf des Antisemitismus zu beklagen ist wohlfeil.

      • @Horst Horstmann:

        Besser hier nochmal nachlesen…



        www.taz.de/Kontrov...enspreis/!5577293/

        • @Frau Kirschgrün:

          Konnte dort nichts finden, dass meine Argumente entkräftet.



          Lesen Sie doch einfach hier:



          www.juedische-stim...elbstverstaendnis/

          Alle Schuld wird Israel gegeben.

          Natürlich ist es legitim, ein Ende der Besetzung oder Siedlungspolitik zu fordern. Dafür wird auch niemand des Antisemitismus verdächtigt.



          Wer aber, wie die Stimme und viele Andere nur Israel beschuldigt und die Bedrohung seiner Existenz völlig ignoriert oder die Angriffe auf Israel sogar als verständliche Reaktion auf Israels Aggressionen abtut, wer also einseitig und kritiklos die Sichtweise der Feinde Israels einnimmt darf sich über entsprechende Vorwürfe nicht zu wundern

          • @Horst Horstmann:

            Sagen Sie das auch über Russland und die Ukraine?



            Mir stößt das blinde "In-Schutz-Nehmen" von Israel – egal um was es geht – heftig als menschenverachtend und einseitig auf.



            Pacta sunt servanda.



            "Gleichberechtigung und Menschenwürde sind nicht teilbar, auch nicht durch das böse A-Wort. Wenn mich diese Auffassung zum Antisemiten macht, sind auch das Grundgesetz und die allgemeine Erklärung der Menschenrechte antisemitisch." Dorian Müller, 09.03.2019, 16:12 auf



            www.taz.de/Kontrov...enspreis/!5577293/



            Was ist, wenn Israel an den Konflikten durch die illegalen Besetzungen wirklich schuld IST?



            Jüdische Stimme: "Es darf sich kein Volk über ein anderes Volk und kein Mensch über einen anderen Menschen erheben." Was daran ist falsch oder nicht zustimmungfähig?!







            🕊 Und ich möchte herzlich darum bitten, berechtigte Kritik an Israel nicht zu missbrauchen, um Antisemitismus daraus zu machen. 🕊

            🕊 M. E. darf sich jeder (denkende) Mensch zu allen Themen äußern, auch zur Politik und deren Art und Weise, wie sie von Israel betrieben wird. 🕊