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Preisverleihung in FrankreichRiskante Ehrung

Gastkommentar von Claus Leggewie

Nazi-Jäger Serge Klarsfeld hat einen Orden von einem Bürgermeister des Rassemblement National entgegengenommen. Er sollte ihn zurückgeben.

Serge und Beate Klarsfeld durch Rechte geehrt Foto: Andre Lenthe/imago

M an stelle sich vor, in einer großen ostdeutschen Stadt sei ein AfD-Mann Oberbürgermeister geworden und zeichne in dieser Funktion jemanden aus, der seit Jahrzehnten als Antifaschist und Kämpfer gegen Antisemitismus aktiv gewesen wäre. Oder ein Rechtskonservativer hätte in den 1960er Jahren dem als „Nazi-Jäger“ titulierten hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer einen Orden verliehen. Undenkbar – jedenfalls der historische Fall, denn Bauer, von der Rechten hartnäckig diffamiert, hätte ihn niemals angenommen.

Zu schrägen Ehrungen kommt es allerdings immer wieder, wie in dem Fall, der gerade in Frankreich für Aufsehen sorgt. Der Pariser Rechtsanwalt und Holocaust-Überlebende Serge Klarsfeld, der unter anderen den SS-Mann Klaus Barbie gejagt und 1987 für dessen Verurteilung gesorgt hatte, ließ sich kürzlich von Louis Aliot, dem Bürgermeister der südfranzösischen Stadt Perpignan, mit einer Ehrenmedaille für seine Verdienste auszeichnen.

Klarsfeld und seine Frau Beate haben jede Menge Verdienstorden erhalten und sind Unesco-Botschafter für Holocaust-Bildung. Das Problem ist nur: Aliot ist eine Führungsfigur des Rassemblement National (RN), wie der rechtsradikale Front National mittlerweile heißt, und er kämpft gerade um die Nachfolge der RN-Chefin Marine Le Pen, mit der er lange auch privat liiert war.

Der Fall wirft die Frage auf, wie man mit radikalen Rechten, die längst zum politischen Alltag geworden sind, verfahren soll: entgegenkommend, um sie zu mäßigen, oder verächtlich, wie sie es selbst mit der liberalen Demokratie halten?

Claus Leggewie

ist Ludwig-Börne-­Professor an der Uni Gießen und befasst sich seit Jahren mit der Grauzone zwischen Konservativen und Rechtsradikalen. 2021 erschien mit Paweł Karolewski: „Die Visegrád-Connection“ (Wagenbach).

Richtungskampf im Rassemblement National

Die RN ringt derzeit um den Kurs der Rechtspartei, die nun erstmals auch in der Nationalversammlung stark vertreten ist: Soll sie sich weiter „entteufeln“ (dédiaboliser), also die rechtsradikale Ideologie – und Personalballast abwerfen (wie den von der eigenen Tochter aufs Altenteil beförderten Parteigründer Jean-Marie Le Pen) und die Führungsrolle im rechtskonservativen Lager anstreben? Oder soll sie sich angesichts der Konkurrenz Eric Zemmours „Reconquête!“ weiter Rechtsaußen als Fundamentalopposition gerieren?

Die Begründung von Serge Klarsfeld, warum er sich von Bürgermeister Aliot zum Ehrenbürger ernennen und mit ihm fotografieren ließ, bezieht sich auf diesen Richtungskampf. Klarsfeld erklärte „Libération“, damit den moderaten Aliot unterstützen zu wollen.

Sein Sohn Arno bekräftigte das in einem Tweet: Wenn Teile des RN sich weiterentwickelten, indem sie Untaten des Vichy-Kollaborationsregimes wie die Razzia von Vel d'Hiv verurteilen, die Erinnerung an die Shoah pflegen und das in der extremen Rechten grassierende einwandererfeindliche Theorem des „Großen Bevölkerungsaustauschs“ für unpassend erklären, warum solle man das nicht anerkennen? „Es ist besser, wenn die extreme Rechte gemäßigt rechts wird als umgekehrt.“

Bissige Kommentare über die politische Naivität der Klarsfelds ließen nicht auf sich warten. Aliot habe nur Lippenbekenntnisse abgelegt, er sei nichts als ein weißgewaschener Klon einer tiefbraunen Partei, die aus dem Sumpf der Vichy-Kollaboration stammt, von beinharten Nazis gegründet wurde, Antisemiten und Rassisten eine politische Bühne bot.

DNA der Rechtsextremen: Hass auf Juden

Dass er der faschistoiden Tradition treu geblieben ist, erkenne man an der von Aliot kurz zuvor eingeleiteten Benennung einer Straße nach dem vor zwanzig Jahren verstorbenen Pierre Sergent. Dieser war ein Anführer der „Organisation armée secrète“ (OAS), die um 1960 mit blutigem Terror für den Erhalt des französischen Algerien kämpfte und Tausende Tote und Verletze auf dem Gewissen hat.

„Kann man“, fragt der Vorsitzende von SOS Racisme, Dominique Sopo, „ein Kämpfer für die Erinnerung sein und nicht vor den Kopf gestoßen werden, wenn versucht wird, Tausende republik- und araberfeindliche Verbrechen der OAS in ebenso viele ehrenhafte Taten zu verwandeln?“

Kann man nicht, aber Klarsfeld wies auf neuerdings islamfreundliche Äußerungen des Bürgermeisters hin. Weggefährten ermahnten den 87-Jährigen, die Ehrung auszuschlagen. Sie erinnerten an seine gewaltigen Verdienste um die Aufarbeitung der Vergangenheit in Frankreich und um die Verankerung der Erinnerung an die ermordeten Juden, zu denen sein Vater zählte, im kollektiven Gedächtnis der Nation.

Gegenüber der Wochenzeitung Paris-Match räumte Klarsfeld ein, die DNA jeder Rechtspartei sei der Hass auf Juden. Aber er sehe, dass es „bei einigen eine Entwicklung gibt, und ich forciere diese friedliche Entwicklung“. Aliot sei und bleibe ein Reaktionär, gegen den er weiterhin kämpfen werde, doch „aus Feinden werden Gegner, wenn sie sich mäßigen“.

Banalisierung der Erinnerung

Diese Positionierung ist über Frankreichs Grenzen hinaus bedeutsam und diskussionswürdig. Wie hält man es mit Rechtsradikalen, die sich korrigieren, aber ihre Partei nicht verlassen, sondern auf einen Kurs der Mäßigung bringen wollen? Wie glaubhaft ist eine „Entteufelung“ neofaschistischer Parteien, wenn sie wie in Frankreich, Italien und Ungarn ständig dubiose Anspielungen auf die Vergangenheit machen?

Konnte man der Alleanza Nazionale glauben, dass sie unter Gianfranco Fini eine respektable konservative Partei werden würde? Durfte man die ungarische Jobbik in die Opposition gegen Viktor Orbán einreihen? Traut man den Gemäßigten in der AfD zu, sich vom Faschisten Höcke zu trennen? Oder sind solche Manöver nicht eher geeignet, die Ultrarechte koalitionsfähig zu machen wie in Schweden und die Trennmauer zwischen Ihnen und der etablierten Rechten niederzureißen?

Nicht nur in Frankreich wirkt der Konservatismus ausgelaugt und prinzipienlos. Klarsfelds Manöver ist auch deshalb riskant, weil er eine Banalisierung der Erinnerung an den Holocaust mitmacht, die in den Mündern strammer Rechter zu kostenlosen Lippenbekenntnissen geworden ist. Bei allem Respekt sollte er nicht Ehrenbürger Perpignans bleiben.

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8 Kommentare

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  • Ich verstehe auch nicht, warum er das angenommen hat.

    Das halte ich aber für eine geistige Herausforderung, deswegen:

    》Sie erinnerten an seine gewaltigen Verdienste um die Aufarbeitung der Vergangenheit in Frankreich und um die Verankerung der Erinnerung an die ermordeten Juden, zu denen sein Vater zählte, im kollektiven Gedächtnis der Nation《

    Von "Lippenbekenntnis" ist oben auch die Rede: das hier ist eins:

    》Bei allem Respekt sollte er nicht Ehrenbürger Perpignans bleiben《 - mit "Respekt" hat das nichts zu tun.

    Mit Ad-hoc-Analogien schlecht begründet, soll Klarsfeld diese Ehre abgesprochen werden: es ist eine unverschämte Aufforderung, die seine Verdienste ein Stück weit unsichtbar machte, würde sie befolgt: das braucht sich niewand in Perpignan gefallen lassen!

    Und Klarsfeld erst recht nicht.

  • Vielleicht sollten sich die Kritiker (mein toter Kumpel Blues - Hubert hätte gesagt" die Verkünder der reinen Lehre"..aber das ist nicht meine Wortwahl) mal überlegen, dass Serge die Auszeichnung nicht vom RN, sondern der Stadt bekommen hat.

    Übrigens, auch als seine Frau Beate für die Linkspartei für das Amt der Bundespräsidentin kandidierte...was wurde sie beschimpft.



    Und wenn der Autor Claus L schreibt, wie Fritz Bauer von Rechten hartnäckig diffamiert wurde, so ist das zwar vollkommen richtig...aber es waren halt nicht nur Rechte, sondern auch die sogenannte Mitte der Gesellschaft von CDU und FDP!

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    1. Wir (...) haben Serge und Beate Klarsfeld sehr viel zu verdanken.



    2. Ist die Verleihung der Ehrenbürgerschaft nicht Ausdruck des Willens der Bürger der Stadt und nicht der politischen Einstellung des Bürgermeisters?



    3. Welche Bedeutung hat die Verleihung an Klarsfelds für die politische Bildungsarbeit in der Stadt?



    4. Bedeutet eine Distanzierung (und ggf. Verurteilung?) von Judenhass durch einen Politiker zugleich die Abkehr von einer allgemein menschenrechtlich mindestens fragwürdigen Politik?



    5. Sind nicht Bedingungen, die Judenhass bzw. dessen politische Geltung einschl. Instrumentalisierung nicht aufkommen lassen, dort am besten, wo die Menschenrechte allgemein im Mittelpunkt stehen?

  • Braucht ein 87-jähriger jüdischer Nazi-Jäger in Frankreich, der Familienangehörige in der Shoah verloren hat, einen Politikwissenschaftsprofessor in Deutschland und eine deutsche Zeitung, die ihm sagen, was er zu tun hat und von welchen Städten in Frankreich er Ehrenbürger sein darf?

    Hätte es nicht auch ein Sachartikel getan?

  • Bei allem Respekt für Leggewie - er schreibt doch sehr aus deutscher Perspektive.



    Ich teile seine Kritik, verstehe aber dennoch, daß man Grauzonen, also ein weites Feld zwischen Schwarz und Weiß, je nach Einzelfall auch einmal moderater auslegen möchte, um Entwicklungen zu beeinflussen.



    Perpignan liegt nicht in Thüringen.

  • Die Welt ist ein Minenfeld geworden. Jede Äußerung, jede Ehrung, jede Personalie hat zig Facetten, die man kennen muss. Allmählich wird es mir zu viel mit der Korrektheit zu allen Seiten. Wie leicht macht man etwas falsch, weil man den einen Zusammenhang nicht kannte? Immer mit einem Bein im Shitstorm.

    Ehrung behalten! Nicht durch Ablehnung noch mehr Öffentlichkeit schaffen.

  • Frankreich soll auch mal seine rassistisch geprägte Kolonialgeschichte aufarbeiten. Die Rechten in Frankreich stehen immer noch hinter dieser Geschichte. Die Judenverfolgung ist ja nur ein hässlicher Aspekt von vielen.

  • Vermutlich sind die Karlsfelds müde geworden, sich Faschisten zu widersetzen, zumal auch die Erinnerung an die vergangenen Taten in der Gesellschaft leider immer mehr verblast und die Erinnerung aufrecht zu erhalten zu was Faschisten fähig sind, immer mühsamer wird.



    Die Karlsfelds sollten die Auszeichnung zurückgeben, um den Faschisten keinerlei legitimation und Anerkennung zu geben, unsere Gesellschaft in eine bessere Zukuunft zu führen. Die Faschisten versuchen mit der Verleihung von allgemein anerkannten Auszeichnungen nur den Anschein zu erwecken harmlose Mitbürger zu sein, um so von ihren Greueltaten ihrer Gesinnung abzulenken.