Preisverleihung in Frankreich: Riskante Ehrung
Nazi-Jäger Serge Klarsfeld hat einen Orden von einem Bürgermeister des Rassemblement National entgegengenommen. Er sollte ihn zurückgeben.
M an stelle sich vor, in einer großen ostdeutschen Stadt sei ein AfD-Mann Oberbürgermeister geworden und zeichne in dieser Funktion jemanden aus, der seit Jahrzehnten als Antifaschist und Kämpfer gegen Antisemitismus aktiv gewesen wäre. Oder ein Rechtskonservativer hätte in den 1960er Jahren dem als „Nazi-Jäger“ titulierten hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer einen Orden verliehen. Undenkbar – jedenfalls der historische Fall, denn Bauer, von der Rechten hartnäckig diffamiert, hätte ihn niemals angenommen.
Zu schrägen Ehrungen kommt es allerdings immer wieder, wie in dem Fall, der gerade in Frankreich für Aufsehen sorgt. Der Pariser Rechtsanwalt und Holocaust-Überlebende Serge Klarsfeld, der unter anderen den SS-Mann Klaus Barbie gejagt und 1987 für dessen Verurteilung gesorgt hatte, ließ sich kürzlich von Louis Aliot, dem Bürgermeister der südfranzösischen Stadt Perpignan, mit einer Ehrenmedaille für seine Verdienste auszeichnen.
Klarsfeld und seine Frau Beate haben jede Menge Verdienstorden erhalten und sind Unesco-Botschafter für Holocaust-Bildung. Das Problem ist nur: Aliot ist eine Führungsfigur des Rassemblement National (RN), wie der rechtsradikale Front National mittlerweile heißt, und er kämpft gerade um die Nachfolge der RN-Chefin Marine Le Pen, mit der er lange auch privat liiert war.
Der Fall wirft die Frage auf, wie man mit radikalen Rechten, die längst zum politischen Alltag geworden sind, verfahren soll: entgegenkommend, um sie zu mäßigen, oder verächtlich, wie sie es selbst mit der liberalen Demokratie halten?
ist Ludwig-Börne-Professor an der Uni Gießen und befasst sich seit Jahren mit der Grauzone zwischen Konservativen und Rechtsradikalen. 2021 erschien mit Paweł Karolewski: „Die Visegrád-Connection“ (Wagenbach).
Richtungskampf im Rassemblement National
Die RN ringt derzeit um den Kurs der Rechtspartei, die nun erstmals auch in der Nationalversammlung stark vertreten ist: Soll sie sich weiter „entteufeln“ (dédiaboliser), also die rechtsradikale Ideologie – und Personalballast abwerfen (wie den von der eigenen Tochter aufs Altenteil beförderten Parteigründer Jean-Marie Le Pen) und die Führungsrolle im rechtskonservativen Lager anstreben? Oder soll sie sich angesichts der Konkurrenz Eric Zemmours „Reconquête!“ weiter Rechtsaußen als Fundamentalopposition gerieren?
Die Begründung von Serge Klarsfeld, warum er sich von Bürgermeister Aliot zum Ehrenbürger ernennen und mit ihm fotografieren ließ, bezieht sich auf diesen Richtungskampf. Klarsfeld erklärte „Libération“, damit den moderaten Aliot unterstützen zu wollen.
Sein Sohn Arno bekräftigte das in einem Tweet: Wenn Teile des RN sich weiterentwickelten, indem sie Untaten des Vichy-Kollaborationsregimes wie die Razzia von Vel d'Hiv verurteilen, die Erinnerung an die Shoah pflegen und das in der extremen Rechten grassierende einwandererfeindliche Theorem des „Großen Bevölkerungsaustauschs“ für unpassend erklären, warum solle man das nicht anerkennen? „Es ist besser, wenn die extreme Rechte gemäßigt rechts wird als umgekehrt.“
Bissige Kommentare über die politische Naivität der Klarsfelds ließen nicht auf sich warten. Aliot habe nur Lippenbekenntnisse abgelegt, er sei nichts als ein weißgewaschener Klon einer tiefbraunen Partei, die aus dem Sumpf der Vichy-Kollaboration stammt, von beinharten Nazis gegründet wurde, Antisemiten und Rassisten eine politische Bühne bot.
DNA der Rechtsextremen: Hass auf Juden
Dass er der faschistoiden Tradition treu geblieben ist, erkenne man an der von Aliot kurz zuvor eingeleiteten Benennung einer Straße nach dem vor zwanzig Jahren verstorbenen Pierre Sergent. Dieser war ein Anführer der „Organisation armée secrète“ (OAS), die um 1960 mit blutigem Terror für den Erhalt des französischen Algerien kämpfte und Tausende Tote und Verletze auf dem Gewissen hat.
„Kann man“, fragt der Vorsitzende von SOS Racisme, Dominique Sopo, „ein Kämpfer für die Erinnerung sein und nicht vor den Kopf gestoßen werden, wenn versucht wird, Tausende republik- und araberfeindliche Verbrechen der OAS in ebenso viele ehrenhafte Taten zu verwandeln?“
Kann man nicht, aber Klarsfeld wies auf neuerdings islamfreundliche Äußerungen des Bürgermeisters hin. Weggefährten ermahnten den 87-Jährigen, die Ehrung auszuschlagen. Sie erinnerten an seine gewaltigen Verdienste um die Aufarbeitung der Vergangenheit in Frankreich und um die Verankerung der Erinnerung an die ermordeten Juden, zu denen sein Vater zählte, im kollektiven Gedächtnis der Nation.
Gegenüber der Wochenzeitung Paris-Match räumte Klarsfeld ein, die DNA jeder Rechtspartei sei der Hass auf Juden. Aber er sehe, dass es „bei einigen eine Entwicklung gibt, und ich forciere diese friedliche Entwicklung“. Aliot sei und bleibe ein Reaktionär, gegen den er weiterhin kämpfen werde, doch „aus Feinden werden Gegner, wenn sie sich mäßigen“.
Banalisierung der Erinnerung
Diese Positionierung ist über Frankreichs Grenzen hinaus bedeutsam und diskussionswürdig. Wie hält man es mit Rechtsradikalen, die sich korrigieren, aber ihre Partei nicht verlassen, sondern auf einen Kurs der Mäßigung bringen wollen? Wie glaubhaft ist eine „Entteufelung“ neofaschistischer Parteien, wenn sie wie in Frankreich, Italien und Ungarn ständig dubiose Anspielungen auf die Vergangenheit machen?
Konnte man der Alleanza Nazionale glauben, dass sie unter Gianfranco Fini eine respektable konservative Partei werden würde? Durfte man die ungarische Jobbik in die Opposition gegen Viktor Orbán einreihen? Traut man den Gemäßigten in der AfD zu, sich vom Faschisten Höcke zu trennen? Oder sind solche Manöver nicht eher geeignet, die Ultrarechte koalitionsfähig zu machen wie in Schweden und die Trennmauer zwischen Ihnen und der etablierten Rechten niederzureißen?
Nicht nur in Frankreich wirkt der Konservatismus ausgelaugt und prinzipienlos. Klarsfelds Manöver ist auch deshalb riskant, weil er eine Banalisierung der Erinnerung an den Holocaust mitmacht, die in den Mündern strammer Rechter zu kostenlosen Lippenbekenntnissen geworden ist. Bei allem Respekt sollte er nicht Ehrenbürger Perpignans bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf