Präsidentschaftswahl in Russland: Die 87-Prozent-Inszenierung
Putin nutzt das Ergebnis von 87 Prozent Zustimmung für die Mär vom „einigen Russland“. Den toten Oppositionellen Nawalny nennt er erstmals beim Namen.

Kurz nachdem klar geworden ist, dass Putin bei seiner inszenierten Präsidentenwahl mehr als 87 Prozent bekommen hat, ein „historisches“ Wahlergebnis, wie die Wahlkommissionsleiterin Ella Pamfilowa es am Montagmorgen nennt, arbeitet sich der Kreml-Herrscher weiter an den USA ab. Denn genau darum geht es Putin: seinen geradezu zu einem Epos stilisierten Kampf gegen den Westen. Russland sei sich einig darin, das zeigen für Putin die Wahlergebnisse, dass es zusammenstehe, um seine Einzigartigkeit und Einmaligkeit zu bewahren.
Die Wahl, so manipuliert, unfrei und unfair sie auch abgelaufen sein mag, gibt dem alten und zugleich neuen Präsidenten noch mindestens sechs weitere Jahre, sich als Oberkrieger zu fühlen, im Kampf in erster Linie gegen die Ukraine, vor allem aber gegen den Westen, den der Kriegsherrscher als dekadent betrachtet. Die 87 Prozent erlauben ihm eine weitere Radikalisierung, nach außen so auch nach innen.
Der Kreml verkauft erfolgreich die Mär von einer „konsolidierten Gesellschaft“ und lässt es bewusst beiseite, wie gespalten diese Gesellschaft ist. Die Rechte seiner Untertanen sind für das Regime Putin reine Verfügungsmasse. Will jemand zum politischen Subjekt werden, wird er ausgelöscht, manchmal ist das – Beispiel Nawalny – wörtlich gemeint.
„Wir sind da, wir sind unzufrieden“
Am Sonntag stellten sich in vielen russischen Städten Tausende von Menschen in Schlangen vor Wahllokalen, um den Mächtigen zu zeigen: „Wir sind da, und wir sind unzufrieden.“ Für den Kreml sind diese Menschen lediglich „Verräter*innen“ und „Extremist*innen“. Die Aktion habe „keinen wirklichen Effekt“ gezeigt, lässt Putin im Gostiny Dwor mitteilen.
Für diese Unzufriedenen dürfte es in den kommenden Jahren noch unangenehmer werden, denn der Staat fordert ganz klar „die Einheit des Volkes“ ein: ein Land, ein Präsident, eine Meinung. Es gibt kaum kritische Medien im Land, es gibt keine organisierte Opposition. Bereits an den drei Wahltagen gab es mehr als 70 Festnahmen wegen „Störung des Wahlverfahrens“.
Es dürften mehr dazukommen: Russland hat eine ausgefeilte Gesichtserkennung im öffentlichen Raum. Selbst auf dem Friedhof, wo Menschen täglich Blumen für Nawalny ablegen, hängen mehrere Kameras. „Ich war so beschwingt gestern, als ich vor meinem Wahllokal so viele Menschen sah, die meine Werte teilen, ich fühlte mich endlich nicht mehr allein. Heute aber bin ich wieder trostlos, denke doch wieder ans Auswandern. Was für eine Zukunft blüht hier meiner kleinen Tochter? Wir haben nun erst recht keine Zukunft mehr“, sagt eine, die „unglaublich zittert vor der Repressionsmaschine unseres Landes“, wie sie beschreibt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links