piwik no script img

Präsident des Zentralrats der JudenErnüchternde Bilanz nach Großdemos gegen rechts

Anfang 2024 demonstrierten Hunderttausende aus Empörung über das Potsdamer Treffen rechter Kreise. Ein Jahr später ist Josef Schuster enttäuscht.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, zieht eine ernüchternde Bilanz der Massendemos gegen rechts Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin dpa | Ein Jahr nach den Massendemonstrationen gegen Rechtsextremismus sieht der Zentralrat der Juden die Wirkung verpufft. Seine Bilanz falle ernüchtert aus, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster der Deutschen Presse-Agentur. „Ich bin tatsächlich ein wenig erschüttert, dass man an den Wahlumfragen der AfD in der Hinsicht nichts mehr ablesen kann. Pessimistisch müsste man meinen, dass die Menschen die AfD genau wegen ihrer radikalen Positionen wählen wollen.“

Anfang 2024 hatten nach einem Artikel des Medienhauses Correctiv über ein Treffen rechter und rechtsradikaler Kreise in Potsdam Hunderttausende in Deutschland gegen die AfD und gegen Forderungen nach einer sogenannten Remigration von Menschen mit ausländischen Wurzeln demonstriert. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang. Schuster hatte die Proteste begrüßt. Die AfD-Umfragewerte gingen damals leicht zurück. Derzeit erreicht die Partei in Umfragen 18 bis 21,5 Prozent Zustimmung.

Schuster warnte mit Blick auf die Bundestagswahl am 23. Februar: „Die AfD ist für mich keine Partei des demokratischen Spektrums. Für den Fall einer Regierungsbeteiligung der AfD mache ich mir ernsthaft Sorgen, inwieweit jüdisches Leben tatsächlich noch in Deutschland möglich wäre. Was wir von Funktionären der AfD hören, lässt sehr Schlimmes erahnen.“

So wolle die AfD eine grundsätzlich andere Erinnerungskultur, sagte der Zentralratspräsident. Und: „Die Partei hat nachweisbare Verbindungen zu rechtsextremen Netzwerken – sie ist ihr politischer Arm. Die AfD ist offen gegenüber völkischer Ideologie und bietet Antisemiten ein Umfeld.“ Eine Partei, die Menschen nach Herkunft oder Aussehen unterscheide, „ist immer auch für jüdische Menschen eine Gefahr“. Er sorge sich seit Jahren, dass die AfD dabei sei, sich in Gänze zum Rechtsextremismus zu bewegen.

Den Erfolg der AfD schrieb Schuster Auftritten in sozialen Netzwerken zu, aber auch Themen, die vielen Menschen wichtig seien. Deshalb erwarte er etwa zur Migration „Antworten von den demokratischen Parteien auf der Basis dessen, was in der Demokratie möglich ist“, sagte Schuster.

Zugleich mahnte er die Parteien mit Blick in das Nachbarland Österreich, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten. „Die Entwicklung in Österreich schockiert mich ehrlich, weil offensichtlich die Parteien des demokratischen Spektrums nicht in der Lage sind, eine vernünftige Koalitionsvereinbarung herzustellen und eine Mehrheit gegen die FPÖ zu bilden. Das ist erschreckend.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

29 Kommentare

 / 
  • Jede außerparlamentarische Bewegung von Links wird sehr schnell als Terrorismus stigmatisiert. Dagegen Ausländer und Obdachsose bedrohen und jagen läuft doch schnell mal als unpolitische Jugendsünde.

  • Irgendwie hatte ich immer geglaubt, dass die Rückkehr des Faschismus in Deutschland von mehr Gegengewalt begleitet werden würde.



    Mein Eindruck ist, dass die Antifa sich aber lieber um winzige Biotope wie die Rigaer Straße in Berlin kümmert und sich ihr Kampfgeist im Widerstand gegen die Umzäunung eines Parks in Kreuzberg erschöpft.

    • @Suryo:

      Die Repression und Verachtung aus der Mitte der Gesellschaft ist einfach sehr groß. Die technischen Mittel des Repressionsapparats sind auch beängstigend. Sie z.B. DNA-Spuren von Überplakatierungen nehmen (Adbusting).

  • Dass die Wirkung verpufft ist, könnte u.a. daran liegen, dass der Correctiv-"Bericht" es mit der Wahrheit nicht ganz so genau genommen hat.

    • @DerJurist:

      Was ist denn die Wahrheit und was wurde stattdessen berichtet Ihrer Meinung nach?

    • @DerJurist:

      Der Verweis auf schlampige journalistische Recherche - wobei zu klären wäre, ob der Vorwurf überhaupt stimmt und nicht wiederum rechtes Framing ist - ändert doch nichts an der Tatsache, dass a) Martin Sellner jene „Remigrations“-Pläne in besagter Potsdamer Runde referiert hat (seine Vorstellungen dazu sind auch in anderen Quellen hinterlegt und schließlich hat der Autor nie einen Hehl daraus gemacht, diese Positionen tatsächlich öffentlich so vertreten), b) ihm wurde von keinem der Potsdamer Teilnehmer widersprochen (auch nicht von den anwesenden CDU-Mitgliedern) und c) hält die Inhumanität solcher Gedankenspiele (Wannsee 2.0) offensichtlich keinen AfD-Wähler davon ab, dieser Partei - die nicht einen Moment zögert, sich die Sellnerschen Deportationsfantasien zu eigen zu machen - den Rücken zu kehren - und wenn sie es tun, kommen dafür umso mehr, die diese Millionen migrantische Mitbürger betreffenden Vertreibungspläne noch goutieren.



      Was sagt Ihnen das?

  • Tja, die Demonstranten haben halt zu viele Fehler gemacht. Das ist in der Mehrheit der Bevölkerung nicht gut angekommen.

    - der Auslöser in Potsdam war falsch (ist ja gerechtlich festgestellt worden)



    - die Pauschalisierung von Leuten und Parteien war falsch.



    - die Doppelmoral



    -die Beleidigungen



    - die Randale



    - die Teilnehmer der Demos war zu einseitig in der politischen, schulischen und finanziellen Bereichen.



    - Klimaaktivisten



    - Bauerndemos die diffamiert worden

    natürlich kann man hier in meiner Aufzählung anderer Meinung sein allerdings, sind das so die Punkte was durch die Bevölkerung und Medien als kritisch durchgegangen ist.

    • @Cello:

      "Ich bin doch nicht rechts."

    • @Cello:

      Himmel, ist das hier jetzt der Kommentarbereich der Welt oder der Berliner Zeitung?

      Pauschalisieren?

      Die AfD ist rechtsextrem, und ihre Wähler sind es auch.

      Das sind alles Erwachsene, die müssen gerade deswegen, WEIL man sie ernstnimmt, ertragen, dass man sie Rechtsextreme nennt. Und Rechtsextreme sind nun mal immer und ausnahmslos Feinde der Demokratie und haben keinerlei Recht, berücksichtigt zu werden. Ganz im Gegenteil, das einzige, was sie verdienen, ist, dass man sie immer und überall bekämpft und ausgrenzt.

      #afdverbotjetzt

    • @Cello:

      "der Auslöser in Potsdam war falsch (ist ja gerechtlich festgestellt worden"

      Welches Gericht hat das denn in welchem Beschluss festgehalten ?

      Falls sie sich auf die Correctiv Recherche beziehen und das entsprechende Verfahren vor dem Hamburger Landgericht, so hat das Gericht dem Kläger Ulrich Vosgerau lediglich in einem, relativ nebensächlichen Punkt, recht gegeben. Dieser Punkt war zudem noch personen- und nicht sachbezogen.

      In der Sache um die zentralen Punkte Remigration, Staatsbürger und Ausbürgerung hat das Gericht die korrekte Darstellung bestätigt.

      “Die Darstellung entspricht der prozessualen Wahrheit”.

      Zudem waren diese zentralen Punkte nicht einmal Gegenstand der Klage, wurden also rechtlich von Ulrich Vosgerau gar nicht bestritten.

      Siehe auch Beschluss Landgericht Hamburg v. 26. Februar 2024, 324 O 61/24

    • @Cello:

      Komisch, alldessen macht sich auch die AfD in derselben oder anderen Form schuldig.

  • KI-Prognose ist auch eher vage!



    "Ich bin tatsächlich ein wenig erschüttert, dass man an den Wahlumfragen der AfD in der Hinsicht nichts mehr ablesen kann. Pessimistisch müsste man meinen, dass die Menschen die AfD genau wegen ihrer radikalen Positionen wählen wollen.“



    Und vorher war zu lesen:



    Bei disruptive-muenchen.de



    "Pressemitteilung, München, 23.5.2024



    ChatGPT würde in Österreich Grün wählen – rechte FPÖ auf dem letzten Platz



    Die Grünen in Österreich sind der klare Favorit, wenn ChatGPT bei der Europawahl im Juni abstimmen dürfte. Das hat eine Analyse der KI-Beratung disruptive aus München ergeben. Dazu hat disruptive ChatGPT alle 39 Fragen in der Wahlentscheidungshilfe WahlSwiper beantworten lassen. Zu 95,7 Prozent stimmte das führende KI-Tool mit Positionen der Grünen überein. Am wenigsten Übereinstimmungen gab es mit der rechtspopulistischen FPÖ mit nur 6,5 Prozent."

  • Ich gehe in der Frage, welches Gefahren für die Demokratie wie auch für die Erinnerungskultur sowie jüdisches Leben in Deutschland ausgehen, ABSOLUT mit Herrn Schuster konform.



    Nur verstehe ich nicht, weshalb Herr Schuster und der ZdJ sich vor DIESEM Hintergrund zu Lobbyisten einer rechten israelischen Regierung machen, deren ideologische Grundlage der revisionistischer Zionismus ist. Wenn schon Antisemitismus und Rassismus hierzulande angeprangert werden , muss es eine israelische Staatsdoktrin, die auf völkischem Nationalismus fußt, erst recht. Worin unterscheiden sich Likud&Co. denn so grundsätzlich von der AfD und anderen europäischen Rechtsextremisten?



    Zumindest jedoch sollte man als Organisation, die von sich behauptet, jüdisches Leben in Deutschland in seiner GANZEN Bandbreite zu vertreten, zionismuskritische und antizionistische jüdische Stimmen in der Diaspora nicht per se als antijüdisch oder antisemitisch diskreditieren. Hier lässt es der ZdJ m.E. an Ausgewogenheit missen.

    • @Abdurchdiemitte:

      Meines Erachtens macht der ZdJ sich nicht zum "Lobbyisten einer rechten israelischen Regierung". Sondern er verteidigt Israel grundsätzlich - unabhängig von der jeweiligen Regierung.



      Der ZdJ "behauptet von sich" die jüdischen Gemeinden zu vertreten, und die sind in ihrer übergroßen Mehrheit eben nicht antizionistisch.



      Und wenn "antizionistische" Stimmen - ob jüdisch oder nicht - "diskreditiert" werden, ist das eine gute Sache, stellt der Antizionismus doch grundsätzlich den Staat Israel in Frage.



      Die "kritischen jüdischen Stimmen" sind in Deutschland - im Verhältnis dazu, wie viele Menschen das sind - im deutschen Diskurs bestimmt nicht unterrepräsentiert.



      Ich finde es auch schräg, dass wenn es um den ZdJ geht, sofort das Stichwort "Isreal" fallen muss.

  • Entäuschend ist, dass Judikative und Exekutive nicht annäherd solchen Eifer bei der Verfolgung rechter Straftaten an den Tag legen, wie das bei den Linksradikalen der Fall ist. Enttäuschend ist vor allem, dass die politisch Verantwortlichen, mit fadenscheinigen Ausreden, den Verbotsantrag gegen die AFD nicht stellen, obwohl das GG gerade das nicht einfach empfiehlt, sondern quasi anordnet. Und enttäuschend ist auch, in welcher geistigen Verfassung sich ein großer Teil unserer Bevölkerung befindet.

    • @shitstormcowboy:

      👍👍👍👍💯%

    • @shitstormcowboy:

      Die enttäuschende geistige Verfassung eines großen Teils der Bevölkerung ist die einer bzw. mehrerer Gesellschaften, welche die Notwendigkeit von Veränderungen nicht wahrhaben will und sich in Nationalismus und Wohlstandschauvinismus flüchtet.

    • @shitstormcowboy:

      Treffend formuliert in allen Punkten.

    • @shitstormcowboy:

      Genau das.

  • Wer hindert uns an einer neuen Runde? Zeitig vor der Wahl, um den bräunlichen Krümeln zu zeigen, wo "ihr" "Volk" tatsächlich hinwill.

    • @Janix:

      Man sollte den Begriff "Volk" nicht inflationär gebrauchen. Weder sind die AfD-Wähler repräsentativ für "das Volk" noch die Demonstranten.

  • Ernüchtern kann die Bilanz nur einen, der glaubt, rechte Gesinnung sei ein Privileg der AfD und Antisemitismus beschränke sich auf bestimmte politische Milieus.

    Wie in jeder anderen Herrschaftsform ist auch in der repräsentativen Demokratie der institutionelle Staat Basis und Instrument der Macht. Alle demokratische Parteien gehen von der Einheit von Staat und Staatsbevölkerung aus, ganz so, als ob Institution und Menschen eins wären. Der Begriff der Staatsbevölkerung wird dabei unterschiedlich konnotiert; mal rechtsphilosophisch als Staatsbürger, oft auch als kulturelles, ethnisches oder rassistisches Volk. Die Segregation in die, die dazu gehören und die, die ausgeschlossen werden, wird opportunistisch entschieden.

    Europäischer Antisemitismus und arabisch-islamischer Antisemitismus haben unterschiedliche historische Wurzeln. Sie bedienen sich gleicher Bilder und Vorurteile. Ebenso wenig wie der europäischen Antisemitismus auf eine politische Weltanschauung beschränkt war und ist, ist es der Antisemitismus in der arabisch-islamischen Welt.







    Antisemitismus als eine Form des Rassismus bleibt so latent salonfähig.

  • Herr Schuster ist ja sehr moderat mit seiner Kritik.



    Ich sehe das sowohl in DE als auch auch in A deutlich schlimmer...

  • Erschreckend ist eher, die Nichtreaktion der Politik auf die Demos.



    Bei Pegida gab es Verständnisbekundungen noch und nöcher, "zwar falsch, aber man könne den frust schon nachvollziehen" ....



    Hier, bei den größten Demos seit Jahrzehnten, wird zur Tagesordnung übergegangen, die aphde scheint gottgegeben... kann man halt nix machen.

  • Mich würde auch interessieren was man meinen müßte wenn man optimistisch ist. Etwa, daß die AfD-Wähler alles Idioten sind, die gar nicht wissen was sie da wählen?

    • @Manfred Peter:

      Laut Studien von Forsa, Konrad Adenauerstiftung, Insa Umfragen schreibt die Frankfurter Rundschau ( vom 21.05.2024 " Wer wählt eigentlich die AfD ? ) kommen 38 % der Sympathisanten aus der Arbeiterschicht und haben einen unteren bis mittleren Bildungsabschluss. Oftmals Leute aus kleinen Orten unter 5.000 Einwohnern - wobei aus Ostdeutschland 27 % und aus dem Westen 13 %.

    • @Manfred Peter:

      Es sind "Jetzt-erst-Recht-egal-ob-das-gut-ist-oder-nicht" - Trotzwähler, welche Herausforderungen nur mit vermeintlich einfachen "Lösungen" begegnen wollen.

      • @aujau:

        Wobei diese Haltung auch eine "einfache Lösung" ist, die sich um bestimmte Fragen drückt.



        Angefangen bei der Frage, warum die nun genau AfD wählen - unterkomplexe Lösungen gibt es in wachsendem Umfang auch links...



        Bis zur Frage, wie man damit umgehen will, dass inzwischen fast ein Drittel der Wähler diese Partei wählen (wollen). Gesinnungsjustiz? Und dann... Wahlrechtsentzug, Umerziehungslager, oder was?

  • Der Mann hat recht.



    Während der Corona-Krise haben alle Beifall für das Personal in den Kliniken geklatscht, alles längst vergessen.



    Vor einem Jahr sind Hunderttausende gegen die Afd auf die Strasse gegangen, alles längst vergessen......