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Populismus und IslamismusSagten Sie „Islam-Linke“?

Führt ein falsch verstandener Antirassismus bei populistischen Linken zur Verbrüderung mit Islamisten? Es gibt deutliche Anzeichen dafür.

Sprach das Problem an, erntete einen Shitstorm: Frankreichs Bildungsministerin Frédérique Vidal Foto: Federico Pestellini/PanoramiC/imago

Entgegen dem, was man zuletzt lesen konnte, kommt das Wort „Islam-Linke“ (frz. islamo-gauchisme) nicht von der extremen Rechten. In Frankreich wurde es von Pierre-André Taguieff geprägt, einem angesehenen Gelehrten, der sich insbesondere mit verschwörungstheoretischen und antisemitischen Bewegungen befasst.

In seinem Verständnis bezeichnet dieser Begriff den während der zweiten Intifada geschlossenen Pakt zwischen Bewegungen der extremen Linken und solchen islamischer Fundamentalisten, als diese gemeinsam gegen die Politik Israels demonstrierten und dabei auch antisemitische Ausrufe und Sprüche in ihren Reihen duldeten.

Dieses Bündnis machte sich zumal bei der UN-Konferenz in Durban im Jahr 2001 bemerkbar, als Aktivisten der extremen Linken und Islamisten gemeinsam revisionistische Flugblätter verteilten, auf denen Hitler nachgetrauert wurde. Das war ein Schock für andere linke Aktivisten, die gekommen waren, um jede Art von Rassismus anzuprangern.

Denn das war das erste Mal, dass diese dubiosen Bündnisse offen in Erscheinung traten. In der islamischen Welt bestanden sie unter der Hand schon lange. Im Irak und in Ägypten kam es vor, dass progressive Bewegungen mit Fundamentalisten gemeinsame Sache machten, wenn es darum ging, ein Regime zu stürzen. Auch Khomeini wäre im Iran nicht an die Macht gekommen ohne die Hilfe der Intellektuellen und der radikalen Linken, sowohl der iranischen als auch der europäischen.

Caroline Fourest

geboren 1975 in Aix-en-Provence, Frankreich. Zuletzt erschien von Ihr auf Deutsch „Generation Beleidigt. Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei“ (Edition Tiamat, Berlin 2020).

Schockierende Bündnisse

Noch schockierender ist es, festzustellen, dass es solche Bündnisse auch inmitten der Demokratien gibt, – und zwar gegen die Demokratie.

So geschieht es, dass Bewegungen, die den Anspruch erheben, fortschrittlich zu sein, die Sache der Frauen oder die Redefreiheit verraten, um sich mit intoleranten Aktivisten zu verbünden, deren regressive Weltanschauung für Freiheit nichts übrig hat. Das müssen wir heute in Europa feststellen. Studenten der extremen Linken und militante Islamisten protestieren zuweilen Hand in Hand, manchmal auch gewalttäig, gegen Verfechter einer universalistischen, feministischen und säkularen Linken, denen sie Veranstaltungen an Universitäten verbieten wollen.

Das passierte mir auch selbst vor einigen Jahren in Belgien. Etwa sechzig militante „Islam-Linke“ brachten es fertig, eine von mir einberufene Konferenz zu unterbrechen, und zwar eine über Rechtsextremismus und Rassismus…

Sie warfen mir vor, dass ich als Feministin die „Burka“, die Verschleierung des gesamten Körpers, kritisierte. Das ist auch anderen schon passiert. In England wurde Maryam Namazie, eine säkulare iranische Aktivistin, von militanten Islamisten und Linksextremisten angegriffen. Sie warfen ihr vor, sie sei „islamophob“, weil sie den religiösen Fundamentalismus und das Regime der Mullahs kritisierte (derentwegen sie ins Exil gegangen war).

Mit Islamisten gegen Charlie

In Frankreich protestierten Vertreter studentischer Gewerkschaften und Islamisten gegen die (posthume) Lesung eines Textes von Charb, dem von Islamisten bei dem Anschlag vom 7. Januar 2015 ermordeten Chefredakteur von Charlie Hebdo. Dieser Text richtete sich gegen genau jene Verwirrung, die das Wort „Islamophobie“ stiftet, so es dazu benutzt wird, Säkulare zu Rassisten zu stempeln.

Nun ist dieses Wort jedoch in eben dieser problematischen, die Freiheit bedrohenden Verwendung das Thema von gegenwärtig 120 Dissertationen an französischen Universitäten. Professoren und Forscher benutzen ihre Stellung, um diese Verwirrung zu fördern, so es etwa um die Frage der Dekolonisierung geht.

Das Problem besteht nicht darin, dass sie diese Weltanschauung in die Universität hineintragen, sondern dass sie in den Sozialwissenschaften inzwischen eine so überwältigende Mehrheit bilden. Und, dass sie jeden anderen Zugang zu diesen Themen, der ihnen widerspricht oder auch nur stärker differenziert, unmöglich machen. Ein solches Sektierertum passt zu einer Generation, die dazu neigt, sich von allem beleidigt zu fühlen.

Das geht mittlerweile so weit, dass der Streit um Ideen mit einem Zusammenstoß von Identitäten, das Recht auf Gotteslästerung mit Rassismus und beinahe jede Abweichung oder Schattierung mit einer „Mikroverletzung“ verwechselt wird. Was die Lehre und selbst jedes Gespräch an einer Universität immer heikler machen.

Die Hetzkampgane gegen Paty

Während die Aufstachelung zum Hass im Internet kaum jemals so enthemmt war wie heute, wird es immer schwieriger, schöpferisch tätig zu sein oder zu debattieren, ohne zur Ordnung gerufen, bedroht, beschimpft oder „annulliert“ zu werden. Wenn es denn nicht noch darüber hinausgeht. In Frankreich wurde Samuel Paty, der seine Schüler die Redefreiheit und das Recht auf Gotteslästerung zu lehren versuchte, von einem Dschihadisten enthauptet, infolge einer von Islamisten und „Islam-Linken“ geführten Hetzkampagne, in der man ihn der „Islamophobie“ bezichtigte.

Danach trauten sich viele Lehrer, über die Schwierigkeiten zu sprechen, denen sie begegnen, sobald sie bestimmte Themen anschneiden.

Daher die Besorgnis der Ministerin für Hochschulbildung Frédérique Vidal. Ihre Ungeschicklichkeit bestand darin, dass sie eine „Untersuchung“ zum Thema „Islam-Linke“ forderte, womit sie den Eindruck erweckte, die akademische Freiheit in Frage stellen zu wollen. Sie hätte besser nur einen Bericht bestellt oder eine große Diskussion über Pluralität und akademische Freiheit angeregt. Denn darum geht es im Grunde.

Das Wort „Islam-Linke“ gibt die komplizierten Mechanismen kaum wieder, die am Werk sind, wo identitäre Vorstellungen gelehrt werden sollen, sei es in der Frage der Dekolonisierung oder selbst der der Geschlechter.

Bisweilen verunglimpft die extreme Rechte alle, die ihren Vernebelungen widerstehen, als „Islam-Linke“. Doch das bedeutet nicht, dass es eine Islam-Linke nicht gäbe. Die ist leider eine ideologische und politische Realität.

Das beste Mittel, die Vereinfachungen der extremen Rechten zu bekämpfen, ist nicht, sie zu leugnen, sondern im Gegenteil eine hellsichtige Linke zu verteidigen, die die Dinge genau benennt, den Verrat fortschrittlicher Ideen denunziert und einen anderen Weg einschlägt: einen egalitären und säkularen.

Aus dem Französischen übersetzt von Christoph Hesse.

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18 Kommentare

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  • Fein, dass endlich auch die taz dem Raum gibt, was anderswo längst höchst unangenehm auffällt. Der Umdeutung des Begriffs Rassismus von der sogenannten "woke" Gesellschaft und der all diesen pseudo modernen, im Kern aber zutiefst rassistischen und reaktionären Ideologiekritikern der angeblich so progressiven Leute zugrunde liegende Antisemitismus ist eine zunehmende Gefahr. Erlaubt ist nur noch, was diesen Leuten passt. Und wenn es nicht passt, wird mit dem Begriff der Freiheit als Waffe die Unfreiheit verlangt.

  • Es gibt schon seit einigen Jahren eine quasi linke Abspaltung von Muslimen. „Quasi“ deswegen, weil ihre Ansicht theologischen Ursprungs, aber tatsächlich mit der linken Ansicht sehr komform ist.

    tr.m.wikipedia.org...talist_Müslümanlar

    Säkularisation beinhaltet leider auch Diffamierung, Unterdrückung und Stigmatisierung von Andersgläubigen und Andersdenkenden. Erst müssen Säkulare Kräfte selbst Demokratie lernen um es dann auch von anderen zu fordern.



    Das sehe ich persönlich in Frankreich nicht.

    • @errol flynn:

      Nö.

      Säkularisation beinhaltet die Feststellung, dass Religion in all ihren Facetten im besten Falle unbegründet ist. Daraus Stigmatisierung, Diffamierung und Unterdrückung abzuleiten erfordert schon ein erhebliches Maß an Realitätsverweigerung.

    • @errol flynn:

      "Säkularisation beinhaltet leider auch Diffamierung, Unterdrückung und Stigmatisierung von Andersgläubigen und Andersdenkenden."



      Dass ein Atheist einen Gläubigen diffamieren und auch stigmatisieren könnte, sehe ich ja noch aber wo unterdrückt er ihn?

      • @Stefan L.:

        Finden Sie denn dass eine säkularisierte Ansicht nur mit dem Atheismus vereinbar ist?



        Das denke ich nicht.

        In Ägypten sieht man es z.B. sehr gut. Auch die Türkische Republik hatte viele Gläubige wegen ihres Weltbildes verfolgt und eingesperrt. (Ich weiß, hat sich dort gerade nicht viel geändert, die alten Unterdrückten unterdrücken heute.)

        Ich hoffe ich konnte ihnen bei ihrer Frage helfen.

  • Niemals



    hätte eine deutsche Autorin einen derartigen Beitrag hier untergebracht! So meine erster Reflex.



    Niemals



    hätte ich einen solchen Beitrag und erste unaufgeregte Kommentare hier so kurz nach der Schweiz-Schelte zu den freiwillig Verhüllten erwartet!



    Schon der klare Durchblick der Thelma Buabeng zum Diversity-Zirkus an anderer Stelle war eine wohltuende Überraschung! Ich fasse es nicht: womöglich werden morgen die pauschale linke Selbstgerechtigkeit und deren Über-Moral in Zweifel gezogen und debattiert...



    Wo geht‘s hier zum Probe-Abo?

  • Um welche linken in Deutschland handelt es sich denn?



    Alle scheinen hier zu wissen um wenn es geht. Kann mich jemand mal aufklären?

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Sandor Krasna:

      Die MLPD. In der Linkspartei gibt es Marx21 und noch eine weitere winzige Splittergruppe, die mir jetzt nicht namentlich einfällt.



      Und dann der BDS, der allzu oft nicht ausgeschlossen wird von Demos, wie bei vielen #unantastbar-Demos. Dass da zusammen mit Hamas-Sympathisanten demonstriert wird, sehe ich auch als inakzeptabel an.



      Ich sehe es allerdings auch als kritisch an, wenn BDS-Unterzeichern in Frankfurt quasi Redeverbot erteilt wird, denn darunter fallen international viele Kulturrelativist:innen, die linke und rechte Konzepte vermischen. Giorgio Agamben, der eine bedenkliche Nähe zu Carl Schmitt und Martin Heidegger aufweist oder Judith Butler, die von der queer-feministischen Vorkämpferin zur Kulturrelativististin geworden ist, die Kulturalismus mit Kulturalismus entschuldigt/bekämpft. Das sind die Niederungen des Konstruktivismus, wo er die Wahrheit abschafft und durch Kultur ersetzt. Mit diesen Auswüchsen der Kompostmoderne muss man sich allerdings universitär auseinandersetzen und das wird auch durch den Beschluss der Hochschulrektorenkonferenz verhindert, die den BDS von den Universitäten ausschliesst, während extrem rechte Burschenschaften auf jedem Campusfest einen Stand aufbauen können.

  • Respekt vor der taz, dass sie diesen Artikel bringt, der ja so einige Gruppen in Deutschland tangiert.

    Wobei mir da gleich die Grünen mit ihrem "Nein" zum Verhüllungsverbot in der Schweiz einfallen.

    Leider auch ein taz-Artikel dazu, der genau das macht, was Frau Fourest hier beschreibt, die Solidarität einiger Linker mit den Islamisten. Inkl. "Islamophobie".

    Und doch: Gratulation zu den Fourest-Artikeln. Mit das Beste was zu diesem Thema grade in Deutschland erscheint.

    Bringt viel Klarheit in diese hoffnungslos verworrene Szene.

  • Vielen Dank für dieses Text, hätte ich mittlerweile gar nicht mehr erwartet, solche Texte auch in der TAZ lesen zu können.

  • Ja, es sind nicht ideale Zeiten für freies Denken.

    Nur zusammen mit jemandem demonstrieren sagt aber noch wenig. Natürlich hatten etwa Linke und Religiöse gemeinsam gegen den Schah gekämpft. In vielen Fällen (ich denke den allermeisten) hatte man aber dadurch nicht dieselben Ansichten oder Ziele. Große Themen spalten sich oft in zwei große Lager, die immer Amalgame seht unterschiedlicher Denkrichtungen sind.

    Die geistige Engführung an den Unis heute finde ich auch Schade. Es entspricht aber zum Teil dem heutigen Geist der Bildungsjugend. Diese orientiert sich scheinbar mehr an einem Wahrheitsbegriff, der sich um Themen der Gerechtigkeit dreht, als an einem kritischen Denken. Wie sehr die eigene Wahrheit und Gerechtigkeit ins Subjektive abgleitet, kann dann nicht mehr hinterfragt werden.

  • Die Lage in Deutschland unterscheidet sich stark von der in Frankreich: 9500 Dschihadisten dort, 800 Gefährder hier, so tagesschau.de



    Linke und Islamisten das geht nie zusammen.



    oder doch?



    Gegen den Bush-Krieg bildete sich in Britain 2003 ein Bündnis aus der trotzkistischen SWP und der Muslimbruderschaft, die Respect Party.



    Sie gewann ein paar Stimmen bei Wahlen.



    ich würde sagen:



    soziale Kämpfe sind auch Kämpfe gegen rassistische Benachteiligung und sollten wir auch mit Muslimen gemeinsam führen.



    Das ist aber klar verschieden von einem politischen Bündnis mit politischen Islamisten.



    2016 wurde der Kampf um Aleppo stark von Milli Görüs vereinnahmt. In Deutschland gab es Kundgebungen, die MG organisierte "Steh auf für Aleppo".



    Doch Linke waren da nicht zu sehen. Die hatten sich schon längst mit dem Kampf um Kobane und Rojava identifiziert.



    Es gibt jedoch ein gemeinsames Trauern und Gedenken der Toten in Hanau. Da sind natürlich auch Antirassistische Gruppen dabei.



    Der Kampf gegen die Verdrängung von MieterInnen das geht nur gemeinsam.



    Das gilt es jedoch scharf zu unterscheiden von der nivellierenden Schreibe einer Charlotte Wiedemann in der taz über den Iran und seine Einwohner.

    • @nzuli sana:

      "soziale Kämpfe sind auch Kämpfe gegen rassistische Benachteiligung und sollten wir auch mit Muslimen gemeinsam führen."

      Fast genauso hörte sich die Argumentatiomm der Linken in der iranischen Revolution an - Ergebnis sieht man jetzt.

      Das Problem ist, dass linkes Denken immer bevormundend und autoritär ist. Damit ist die Schnittmenge mit Islamisten so groß, dass ein Bündnis sich geradezu aufdrängt.

      • @OldFrank:

        ja, klar...



        und jetzt huschhusch, zurück ins neoliberale Macron-und Weiden- (ähm) Biden-Körbchen...

        Bei den beiden könn'n die Maiden



        kein'n von Biden richtig leiden



        d'rum vermeiden wir das Leiden



        'ndem wir einfach Irre meiden



        (-> Iron Maiden)

        Pardon, Macron



        c'est mon salon



        arrêtons



        p'tain c...

      • @OldFrank:

        Ich sehe größere Schnittmengen der "antiautoritären" Mitte mit dem Islamismus. Stichwort "gemäßigte Rebellen der Al-Nusra", unsere "Partner in der VAE", Bibi- und Kronprinzversteher, etc.

        • @Sandor Krasna:

          Aber ich muss doch bitten, Sie können hier doch nicht einfach die antiideologische Popperismus-Ideologie derart verunglimpfen!

  • "Ihre Ungeschicklichkeit bestand darin, dass sie eine „Untersuchung“ zum Thema „Islam-Linke“ forderte [...]"

    Genau das ist das Problem. Sie als Ministerin ist gar nicht in der Position, an dieser Auseinandersetzung glaubhaft teilzunehmen.

    Im Gegenteil. Ich meine, sie hat dieser Sache mehr Schaden als Nutzen gebracht.

    Da müssen andere ran.

  • Vielen Dank für diesen wichtigen Artikel. Da werde ich mir demnächst mal das Buch kaufen.