Polizeipräsident beschuldigt Medien: Wer berichtet, stiftet an
Bundespolizeipräsident Dieter Romann macht die Medien für die Messerattacke einer 15-Jährigen auf einen Bundespolizisten in Hannover verantwortlich.
![](https://taz.de/picture/1403719/14/N1_Aufm_Luegenpresse_Daniel_Naupold_dpa.jpeg)
HANNOVER taz | Die Medien waren's: Insbesondere den Norddeutschen Rundfunk (NDR) hält ein ranghoher Polizist offenbar für mitschuldig an der Messerattacke auf einen Bundespolizisten Ende Februar im hannoverschen Hauptbahnhof.
Das geht aus dem Manuskript eines Grußwortes hervor, das Bundespolizeipräsident Dieter Romann vor rund 100 geladenen Gästen in einem Offizierscasino der Bundeswehr in der niedersächsischen Landeshauptstadt gehalten hat.
Laut diesem Manuskript, das im Internet kursiert und dessen korrekte Wiedergabe die Bundespolizei bestätigt hat, klagte der Chef der mehr als 40.000 MitarbeiterInnen starken Truppe, diese habe „Zeiten“ hinter sich, die „nicht immer einfach“ gewesen seien. Im Mai 2015 hatte der NDR mit einem Bericht für Schlagzeilen gesorgt, der detailliert die Folter von Flüchtlingen durch Beamte der Bundespolizeiwache in Hannovers Hauptbahnhof beschrieb.
Bundesweiter Aufschrei
„Hab den weggeschlagen. ’nen Afghanen. Mit Einreiseverbot. Hab dem meine Finger in die Nase gesteckt. Und gewürgt. War witzig“ – so prahlte ein heute 40 Jahre alter Beamter per Whatsapp mit seinen Misshandlungen. Danach habe er sein Opfer „an den Fußfesseln“ durch die Wache mitten in der Innenstadt geschleift, so der Bundespolizist Torsten S.: „Das war so schön.“
Schon vor der Messerattacke vom 26. Februar wussten die niedersächsischen Sicherheitsbehörden, dass die 15-jährige Safia S. Kontakte zum „Hassprediger“ und Salafisten Pierre Vogel hatte.
Im Landtag hatte Hannovers Polizeipräsident Volker Kluge noch betont, erst nach dem Angriff sei ein Video bekannt geworden, das Safia S. bereits als Siebenjährige neben Vogel zeigt.
Inzwischen muss die Polizei einräumen: Entdeckt wurde das Video bereits „deutlich vor der Tatausführung“. Safia S. und ihre Familie hätten damit längst näher beobachtet werden können.
Ein bundesweiter Aufschrei folgte. Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, nannte die Vorwürfe „erschütternd“. Romann selbst sah sich gezwungen, eine interne Untersuchungskommission einzusetzen. Aus deren Bericht zitierte wiederum der NDR, dass es eine „ausgeprägte fremden- und frauenfeindliche Haltung“ zumindest unter einigen Beamten der Wache gegeben habe.
Gut ein Jahr später will der oberste Bundespolizist von dem Folterskandal nichts mehr wissen: „Unreflektiert“ hätten die Medien berichtet, klagte Romann nun vielmehr vor den geladenen Gästen in Hannover. Ausgerechnet der öffentlich-rechtliche NDR habe einen „Wettlauf um die skandalträchtigste Überschrift“ losgetreten, so Romann – und die 15-Jährige Deutsch-Marokkanerin Safia S. vielleicht erst dazu gebracht, einem Bundespolizisten völlig unvermittelt ein Messer in den Hals zu stechen. „Jetzt frage ich Sie: War es Zufall, dass sich Safia S. einen Beamten genau dieser Inspektion Hannover als Anschlagsopfer ausgesucht hatte?“, spekulierte der Behördenchef.
Der Polizeipräsident bagatellisiert
Der NDR weist das Geraune nachdrücklich zurück: „Ein Zusammenhang zwischen unserer Berichterstattung und dem Anschlag ist in keiner Weise ersichtlich und wird auch durch nichts belegt“, sagt Sprecher Martin Gartzke. „Ganz offensichtlich gründet er sich auf bloße Spekulationen, die wir nachdrücklich zurückweisen.“ Sowohl die Berichterstattung über die Foltervorwürfe wie die Messerattacke“ seien „journalistisch korrekt“ gewesen.
Der Bundespolizeipräsident bemüht sich dagegen weiter, die Foltervorwürfe zu bagatellisieren. Zu seiner Hannoveraner Rede sei nichts hinzuzufügen, sagte ein Mitarbeiter seiner Potsdamer Pressestelle zur taz – dabei hatte Romann in Hannover betont, auch nach einem Jahr hätten die Foltervorwürfe nicht belegt werden können.
Tatsächlich hat die Staatsanwaltschaft Hannover die Ermittlungen mit einer merkwürdigen Begründung eingestellt: Die Angaben von Zeugen und Beschuldigten zum möglichen Tatverlauf seien „widersprüchlich“ gewesen. „Also kein Guantánamo und kein Abu Ghraib“, so Romann triumphierend, „in Hannover bei der Bundespolizei.“
Für Pascal Ackermann, Anwalt eines damaligen Opfers, ist das nicht genug: „Der Hauptbeschuldigte Torsten S. hat Fotos gemacht, die meinen Mandanten mit schmerzverzerrtem Gesicht gefesselt auf dem Boden der Bundespolizeiwache zeigen“, sagte der Jurist der taz. „Das ist offensichtlich Körperverletzung. Vor dem Oberlandesgericht treibt Ackermann deshalb ein sogenanntes Klageerzwingungsverfahren voran – wegen des Verdachts, dass sich Polizei und Ermittlungsbehörden selbst decken.
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