piwik no script img

Politologin über Giorgia Meloni„Sie strebt den Umbau rückwärts an“

Die Chefin der rechtsextremen Fratelli d’Italia könnte die Parlamentswahlen in Italien gewinnen. Für Europa würde das Chaos bedeuten, sagt Politologin Sofia Ventura.

Selfie mit Anhänger:innen: Giorgia Meloni bei einem Wahlkampfauftritt in Mailand Foto: Flavio Lo Scalzo/reuters
Michael Braun
Interview von Michael Braun

taz am wochenende: Frau Ventura, Giorgia Meloni und ihre Partei Fratelli d’Italia sind Favoriten für die anstehenden Parlamentswahlen. Womit rechnen Sie?

Sofia Ventura: Sie werden uns wohl die nächsten fünf Jahre regieren. Die Frage ist nicht, ob sie gewinnen, sondern wie hoch.

Giorgia Meloni präsentiert sich im Wahlkampf als „europäische Konservative“ und sagt, in Großbritannien würde sie zu den Tories gehören. Trifft sie da die Wahrheit?

Nun ja, die britischen Konservativen sind ja deutlich nach rechts gerutscht, hin zu populistischen Positionen, denken wir nur an den Brexit. Aber zum Beispiel im Bereich der Bürgerrechte oder beim Familienbild befinden sie sich keineswegs bei den Positionen des stockkonservativen Katholizismus, den Fratelli d’Italia (FdI) predigt. Das sind offen reaktionäre Positionen. Ganz gewiss steht Meloni nicht in der Tradition der europäischen Konservativen, die in der Regel einen liberalen Konservatismus vertreten haben, in dem der Rechtsstaat, die Gewaltenteilung, der Respekt gegenüber den Rechten der Bürger eine wichtige Rolle spielt.

Wie würden Sie Melonis Grundhaltung beschreiben?

Sie ist reaktionär – und aus dieser Haltung heraus revolutionär, im Sinne einer Revolution gegen das liberale Modell einer offenen Gesellschaft, in der das Individuum mehr zählt als die Gemeinschaft. In ihrem Buch „Io sono Giorgia“ („Ich bin Giorgia“) finden sich Passagen, in denen sie eher für ein mittelalterliches Gesellschaftsmodell plädiert, mit der Familie – nicht dem Individuum – als Grundeinheit, dann kommt das Dorf, kommen die Korporationen, die Berufsstände. Ihr schwebt eine organische Gesellschaft im Sinne eines reaktionären Katholizismus vor.

Was heißt das konkret?

Das heißt, dass sie beim Thema Bürgerrechte die Nähe zu Rechtskatholiken sucht, ob es nun um Rechte der Homosexuellen oder um die Abtreibung geht. Doch unsere Gesellschaften sind heute nicht mehr so – und darüber wird sie zur Revolutionärin, die den Umbau rückwärts anstrebt, nicht viel anders als Victor Orbán.

Wie steht sie zu Orbán?

Sie ist solidarisch mit ihm. Jedenfalls warf sie der EU vor, das Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn „wie eine Keule“ genutzt zu haben.

Melonis Partei steht in der Tradi­tions­linie des Faschismus. In einer auf Englisch, Spanisch und Französisch verbreiteten Videobotschaft erklärte sie jetzt jedoch, die FdI habe „den Faschismus der Geschichte überantwortet“. Wie meint sie das?

Meiner Meinung nach will sie uns sagen, dass wir sie endlich mit dieser Angelegenheit in Ruhe lassen sollen. Sie will sich der Frage nicht ernsthaft stellen. Wenn die Rechte die Wahlen gewinnt, werden hier keine faschistischen Milizen durch die Straßen ziehen. Ich nenne sie „Postfaschistin“. Sie ist als ganz junge Frau bei der Nachfolgepartei des Mussolini-Faschismus, beim MSI, aktiv geworden. Diese Partei erlebte sie als ihre Familie, und viele Ak­ti­vis­t*in­nen aus den frühen Zeiten stehen noch heute an ihrer Seite. Mit dieser Vergangenheit will sie keinen klaren Bruch vollziehen. Und zum Faschismus fällt ihr vor allem ein, dass sie damals ja noch gar nicht geboren war.

Aber zu Benito Mussolini, zum Duce, hat sie sich nie geäußert.

Positiv nie – das wäre auch selbstmörderisch. Doch sie hat auch nie negativ über ihn gesprochen. In ihrem Buch verurteilt Giorgia Meloni die Rassegesetze von 1938, doch im Stil einer Alice im Wunderland, die nicht recht weiß, wer diese Gesetze aufgelegt hatte.

Sie sagt aber, in ihrer Partei sei „kein Platz für die Nostalgiker des Faschismus“.

In ihrer Wählerschaft spielt der harte Kern der Faschismus-Nostalgiker kaum eine Rolle – in den Reihen der in der Partei Aktiven dagegen schon. Die meisten FdI-Wähler betrachten sich weder als faschistisch noch als antifaschistisch. Dabei hilft ihnen, dass Italien seine Vergangenheit viel weniger aufgearbeitet hat als Deutschland. So konnte das Bild entstehen, dass Mussolinis Faschisten gleichsam vom Mars gekommen sind, in ein von braven Leuten bewohntes Land.

Und wie sieht es bei denen aus, die in der Partei aktiv sind?

Die stehen anders zur Vergangenheit. Nur ein Beispiel: Am 28. Oktober 2019 trafen sich diverse Funktionäre in der Region Marken zu einem Abendessen, um des Jahrestags von Mussolinis Marsch auf Rom zu gedenken. Dabei war auch ein Politiker, der ein Jahr später für FdI bei den Regionalwahlen antrat und zum Präsidenten der Region Marken gewählt wurde, ohne dass ihn je der Bannstrahl Melonis gegen die Nostalgiker getroffen hätte. Mir fällt in der Tat kein einziger Fall ein, in dem sie gegen „Nostalgiker“ in der Partei wirklich vorgegangen wäre. Marine Le Pen in Frankreich war da härter – sie hat diverse „Nostalgiker“ aus dem Rassemblement National geworfen.

Im Interview: Sofia Ventura

Die Wissenschaftlerin

Sofia Ventura, 58, ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Bologna.

Davor hat sie Angst

Vor der Inkompetenz einer rechten Regierung und deren fehlendem Bewusstsein für die Funktionsweise einer wahren, liberalen Demokratie.

Das gibt ihr Hoffnung

Dass die Italiener begreifen könnten, wie (un)fähig die Rechte an der Regierung ist. Und, dass die Linke nach der zu erwartenden Niederlage endlich aufwachen und einsehen muss, dass es nicht ausreicht, Machtpositionen in Staat zu besetzen, um Konsens in der Wählerschaft herzustellen.

Meloni legt auch großen Wert auf die Behauptung, dass von ihr keine Gefahr für Europa ausgehe. Was ist wirklich ihre Haltung zur EU?

„Für Europa“ war Meloni immer schon – allerdings für ein „anderes Europa“, für das „Europa der Völker“. Da liegt der Akzent auf der nationalen Souveränität. Und sie will, ganz wie Polen oder Ungarn, auch nichts von dem Vorrang des europäischen Rechts gegenüber dem nationalen Recht wissen. Damit hakt sie die europäische Integration im Kern ab. Und ihre gemeinsamen „europäischen Werte“ sind auch keineswegs die Werte der Aufklärung, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, sondern die Werte des „christlichen Europa“. Mit einem föderalen Europa kann sie gar nichts anfangen, sie spricht davon, bei der „Konföderation der Staaten“ haltzumachen.

Entsprechend sehen ihre Freundschaften aus.

Sie ist Teil eines radikal rechten Netzwerks, über Europa hinaus. Dazu gehören auch die US-Republikaner, und auch Steve Bannon, der schon Gast von FdI-Veranstaltungen war. Mit einem liberalen, einem sozialen Europa hat das nichts zu tun. Und jetzt steht sie zwar klar auf der Seite der Ukraine, aber das Russland Putins galt ihr immer als Vorbild bei der Verteidigung der traditionellen christlichen Werte.

Was hat Europa also im Falle ihres Wahlsiegs zu erwarten?

Vor allem, dass sie Chaos anrichtet. Die zentrale Frage ist: Wie lange bleibt sie an der Macht? Davon hängt ab, wie viel Schaden sie anrichten kann. Sie wird sich ziemlich sicher in vielen Fragen als Gegnerin der EU-Kommission profilieren wollen, allein schon, weil sie zu Hause zeigen will, dass sie die italie­nischen Interessen gegen die multinationalen Konzerne, gegen die Hochfinanz, gegen die Brüsseler Bürokraten hochgehalten hat. Am Ende wird auch sie Kompromisse suchen, aber anders als Mario Draghi dürfte sie in Europa ganz gewiss nicht als freundlich gesinnt wahrgenommen werden. Draghi, Emmanuel Macron, Olaf Scholz verstehen einander – mit Meloni wird das nicht so sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • " Was hat Europa also im Falle ihres Wahlsiegs zu erwarten?

    Vor allem, dass sie Chaos anrichtet. "

    Ich sehe es nicht so pessimistisch. Ich denke ihr fehlt der unbedingte ideologische Wille. Ich sehe Meloni eher in der Nachfolge von Berlusconi und Salvini. Jeder darf mal. Jetzt ist sie an der Reihe. Die Leute hinter ihr sind diesselben die schon bei Berlusconi's Regierungen die Posten besetzt haben.



    Ich denke, dass sich die Politik nur in Nuancen von der Berlusconis unterscheiden wird. Ab und zu wird sie ihrem Faschoflügel ein paar Brosamen hinschmeissen, aber im Kern wird es so weitergehen wie bisher.



    Das zeigen auch schon ihre Beschwichtigungsreden, die sie in letzter Zeit von sich gegeben hat. Sie gibt sich als Filoatlantikerin und pro-EU zu erkennen.



    Und wenn man Zeitungsartikeln glauben schenken mag, dann hat auch Draghi sich ihrer angenommen, um sie mit seinem Netzwerk in der Weltfinanz bekannt zu machen.

  • 6G
    656279 (Profil gelöscht)

    "Die interessante Frage ist doch, wer in der Wirtschaft will das eigentlich haben und warum. Sie muss da auch Anhänger haben."

    schreibt mein Vorposter.

    Und mich würde in Anbetracht der aktuellen, gerade energiepolitischen Entwicklungen ebenfalls interessieren, welche ggf. konkreten Vorstellungen Meloni zur Wirtschaftspolitik, zur Finanzpolitik, zur Sozialpolitik und zur Entwicklung der Infrastruktur etc. hat.

    Nur gebetsmühlenartig Hitler aka Mussolini next door - und dann noch als Frau - ist doch etwas langweilig ...

  • Also es sitzen mehrfach verurteilte Rechtsradikale (Quelle Martin Sonneborn ) im Parlament, die EVP ist am Erstarken, Orban diktiert die Geschicke der EU etc pp. Und nu wolln wir plötzlich keine rechtsradikale Politikerin aus Italien haben? Sorry Leute..... DAMIT hätten wir vor 30 Jahren anfamngen sollen, als alle jubelten dass der Sozialismus endlich besiegt war.

  • Die Regierungsbeteiligungen von Rechtsextremen hatten eine direkte Konsequenze für die Überwachung von Faschisten und Rechtsextremisten in Italien gehabt, viele Dilekte wurden abgeschafft, pro Forma hat Italien ein deutlich geringeres Problem mit Neonazis und gewaltbereiten Faschisten als Deutschland, aber das liegt vor allem ander Verändeurng der Gesetze. Der NSU war auch in Venetien auf Parties und Konzerten. Italien hat einen festen Platz in der EU als Hort von gewaltbereiten Faschisten und Neonazist und die Machtübernahme eine Frau, die von dort kommt, verheißt in dieser Hinsicht nichts Gutes, sondern ein weiterer Aufschub auch für die radikale, harte Szene.

    Dann wird sie Symbolpolitik betreiben und die Korruption wird durch die Decke gehen. Das wird eine massive Veränderung für Italien werden, weil solche Menschen das, was sie sagen, ihren persönlichen Bereicherungsansprüchen eigentlich immer unterordnen. Man punktet mit Phrasen, nur die Korruption und die Toleranz gegen Faschisten wird sofort konkret umgesetzt.

    Dann sind viele ihrer Ankündigungen nicht realisierbar, bzw. sie erfordern einen Staatsstreich und eine gewalte Revolution gegen einen großen Teil der Bevölkerung, daher wird das dann immer für Chaos und Unruhe stiften.

    Die dann aufkommende Frustration bei den Anhängern, dass nicht kommt, was sie versprach, sorgt für erratische Maßnahmen und wahrscheinlich Stärke-Zeigen. Das werden Migranten in Italien und vor allem Flüchtlinge auf dem Mittelmeer merken und es wird menschenrechtlich extrem hart für die EU und die Nachbarstaaten werden, weil neben der ganzen christlichen Rhetorik die Nächstenliebe ganz ganz klein bei ihr geschrieben wird. Die gilt für Italiener, Bio-Italiener, vielleicht noch für Süd-Tiroler oder eine Handvoll Slowenen an der Grenze zu Slowenien, aber für dunkle Haut und krauses Haar ist sie nicht gedacht.

    Die interessante Frage ist doch, wer in der Wirtschaft will das eigentlich haben und warum. Sie muss da auch Anhänger haben.

  • Sie streben den Umbau rückwärts an? Was ist daran so auffällig? Die deutschen Grünen fahren doch derzeit auch genau diesen Kurs. Und Frau v.d.Leyen zieht da auch mit. Moralisierend und mit staatlich verordneter Klimapolitik will man Bürger und Land in eine vorgefasste Richtung zwingen. Ich befürchte nur dass da einige Bürger Einspruch einlegen.

    • @Gerdi Franke:

      Echt ? .. wir hatten schon mal ne angemessene Klimapolitik ?

      Sprachbausteine der AfD , Gerdi ... hab n Sie auch Argumente ?!!!!

  • "Mit einem föderalen Europa kann sie gar nichts anfangen"

    Ich auch nicht. Mich nervt schon der bundesdeutsche Föderalismus. Ich möchte eine Europäische Republik, ohne Kleinstaaterei.

    • @FullContact:

      Aber das ist wohl auch nicht ganz, was Meloni vorschwebt. Erst die Familie dann das "Dorf". Sie denkt von unten her, das vielleicht einer der markantesten Unterschiede zum Großherrenkonservatismus nach britischer Art. Aber diese Vergleiche sind schon schrill und ich müsste auch mit der Faschokeule in Zukunft nicht unbedingt noch klein und breit geschlagen werden. Man leckt im Grunde nur Melonis eigenen, affigen Anspielungen und Vokabeln auf. Postfaschistisch im Besonderen ist schon eine spezielle Prägung, verdächtig nah an einer Tautologie. Wir verwenden sowas selber etwas zu häufig als Kraftausdruck, weil es kräftig ist, aber die einzige echte Referenz ist Geschichte. In der Wissenschaft ist es m.E. unumstritten, dass es sich um ein untrennbar mit dem frühen 20. Jahrhundert verbundenes Phänomen handelt, der späten Moderne, manche meinen ja Abschluss oder Ende der Moderne schlechthin. Ist Geschichte, nicht weniger als Bolschewismus/Leninismus. Im schlechtesten Fall wird die tatsächliche Gefahr, die von einigermaßen gewöhnlichen Rechtspopulisten ausgeht, für die ich sie nun halte, verkannt. Viel eher aber werden auch sie ihre Anhänger schnell enttäuschen und sollte in Italien überhaupt mal was anderes passieren, dann wäre es zumindest Post-Italien.

      • @Tanz in den Mai:

        Tja, Meloni und ich kritisieren die Idee des Europäischen Föderalismus mit entgegengesetzten Zielen.