Politologe über Islam in Frankreich: „Ein innerer Feind wird geschaffen“

Eine Gesetzesvorlage soll Laizität stärken. Doch in Frankreich werde der Islam nicht nur von Rechten als ausländische Religion betrachtet, sagt Alain Policar.

Blumen liegen neben einem Schild mit der Aufschrift "Je suis Samuel!"

Der islamistische Mord am Lehrer Samuel Paty hat die Diskussion um Islam und Laizität befeuert Foto: Michel Euler/ap

taz: Herr Policar, Frankreich scheint wegen seiner Tradition einer strikten Laizität ein Problem mit der Integration des Islam zu haben. Warum eigentlich?

Alain Policar: Historisch ist Laizität in Frankreich seit dem Gesetz von 1905 zunächst eine Nichtintervention des Staates im Sinne einer weltlich-liberalen Trennung der Politik von der Theologie und der Religion. Eine Kooperation oder ein Dialog zwischen Staat und Konfessionen war nicht vorgesehen. Der Staat bewahrt seinen Vorrang. Das Gesetz der Republik kommt demnach vor konfessionellen Geboten. Das ist ein klarer Unterschied zu multikulturalistischen Ländern, in denen eine institutionalisierte Kooperation die Grundlage der Beziehungen zwischen Staat und Religionen ist.

Und was ist das Problem?

Vor einem Jahrhundert dachte niemand daran, dass eines Tages zwischen fünf und sieben Millionen Muslime im Land leben würden, die nicht alle in dieser Tradition des weltlichen Grundverständnisses von Staat und Religion groß geworden sind. Der Islam ist mit Schwierigkeiten konfrontiert, das Verhältnis von Staat und Religion in dieser säkularen Art zu sehen. Es gibt da Unterschiede im Vergleich zur vor Ort länger etablierten und mehrheitlich christlichen Religion.

Der Entwurf Frankreichs Parlament hat im Februar das Gesetz „zur Stärkung der Prinzipien der Republik“ verabschiedet, mit dem die Regierung Islamismus besser kontrollieren will. Bis Donnerstag beschäftigt sich der Senat in Paris damit.

Konsequenzen Nach dem Mord an dem Lehrer Samuel Paty sollen so unter anderem Hassaufrufe im Internet oder in Moscheen härter geahndet werden. Zudem will die Regierung den Einfluss der Türkei und anderer Länder auf französische Moscheen begrenzen.

Kritik Rechten und Rechtsex­tremen geht der Vorstoß nicht weit genug. Sie fordern etwa Verbote für das Tragen des Kopftuchs im öffentlichen Raum. Linke und manche Islamverbände sehen in dem Gesetz einen Ausdruck von Islamfeindlichkeit und befürchten Stigmatisierung. (epd, afp)

Und diese Unterschiede sind unüberwindbar?

Von einigen wird das als Zivilisationsproblem definiert und aufgebauscht – dabei handelt es sich um temporäre Schwierigkeiten, die mit der Zeit durchaus behoben werden können. Der Islam wird als ausländische Religion betrachtet. Vor allem rechts, aber auch in der sogenannten republikanischen Linken wird befürchtet, dass da etwas von außen eingebracht wird, das mit der französischen Zivilisation und Kultur nicht vereinbar sei. Diese politischen Kräfte vertreten eine kämpferische Laizität. Dahinter steht die Idee einer nationalen Identität, an die sich alle anzupassen hätten.

Derzeit wird in Frankreich im Parlament eine Gesetzesvorlage debattiert, deren erklärter Zweck die Stärkung der Laizität ist. Funktionieren die heutigen Regeln nicht?

Die Staatsführung geht davon aus, dass die weltlichen Regeln von einem unklar identifizierten Feind bedroht sind. Bezeichnend dafür ist die gegenwärtige Polemik über den „Islamo-gauchisme“ (auf Deutsch etwa „Islam-Linke“, Anm. der Redaktion). Wer ist da gemeint? Islamistische Terroristen und Komplizen solcher Staatsfeinde, muslimische Linke, mit Muslimen solidarische Linke? Ich sehe dahinter eine unerfreuliche Strategie, in der Manier eines Donald Trump einen inneren Feind zu bestimmen und politische Gegner als dessen Alliierte zu diskreditieren. Konkret werden damit antikolonialistische Intellektuelle als Komplizen (des Islamismus oder Dschihadismus) hingestellt, als „nützliche Idioten“, wie man früher sagte.

In der Debatte über die Gesetzesvorlage in der Nationalversammlung hatte man den Eindruck, dass die Frage der Verschleierung für viele Abgeordnete fast zur Obsession wird.

73, ist Sozialwissenschaftler und Politologe mit Fachgebieten Rassismus, Liberalismus, Laizität beim Nationalen Forschungszentrum (CNRS). Er war von 1988 bis 2014 Professor an der Rechts- und Wirtschaftsfakultät der Universität Limoges.

Seit der Kopftuch-Affäre von Creil 1989, als sich Schülerinnen weigerten, ihre muslimische Kopfbedeckung abzulegen, lebt Frankreich in einer Art intellektuellem Bürgerkrieg. Seit dreißig Jahren dauert dieser Streit an, obwohl soziologische Studien belegen, dass nicht alle jungen Frauen, die einen Schleier tragen, von Männern oder irgendwelchen Imamen zu politisch-religiöser Propaganda instrumentalisiert werden. Dennoch wird gesagt, dass dieses Kleidungsstück für die französische Öffentlichkeit völlig inakzeptabel sei. Wenn der Schleier derart Anstoß erregt, dann auch wegen der Rolle, die dieser in der Geschichte der Kolonisierung gespielt hat: Eine Frau, die in Frankreich eingebürgert werden wollte, musste ihren Schleier ablegen. Für die Kinder, Enkelkinder und noch jüngeren Nachkommen, denen diese Geschichte bekannt ist, kann im Gegenzug das Tragen eines Schleiers eine Art sein, sich auf ihre Herkunft zu berufen. Das kann eine identitäre Form annehmen.

Die westliche Gesellschaft empfindet den Schleier eher als ein antifeministisches Symbol der Unterordnung der Frauen.

Es ist bezeichnend, wie hier der Rassismus gegen Muslime oft ziemlich „verschleiert“ daherkommt – nämlich mit dem Vorwand einer angeblichen Verteidigung der Gleichberechtigung der Geschlechter. Die Gleichheit der Geschlechter wird übrigens in den Laizitätsgesetzen von 1905 nirgends erwähnt. Aus dem Laizitätsgesetz ein Verbot des Schleiers in der Öffentlichkeit ableiten zu wollen, halte ich für juristisch inkorrekt.

Was wäre der Nutzen eines Verbots der Verschleierung in der Öffentlichkeit?

Es gibt überhaupt keinen. So etwas schürt nur die Spannungen, von denen ich bereits gesprochen habe. Denn da wird das Bild eines inneren Feinds geschaffen, allein aufgrund des Wunschs sich etwas anders zu kleiden.

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