Politische Transparenz in Österreich: Kritische Fragen nicht mehr zeitgemäß

Im „Pressefoyer“ konnten Journalisten die Regierungsspitze befragen. Bundeskanzler Kern schafft es jetzt ab – im Tausch gegen ein Blog.

Kanzler Christian Kern mit Fotograf

Bittet künftig nicht mehr zur Audienz: Bundeskanzler Christian Kern Foto: reuters

Österreichs Innenpolitik ist um eine Institution ärmer. Das Pressefoyer, bei dem Kanzler und Vizekanzler nach dem Ministerrat am Dienstag der Presse für Fragen jeder Art zur Verfügung standen, wird abgeschafft. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) machte die Entscheidung vor dem ersten Ministerrat nach der Sommerpause via Facebook-Videoauftritt bekannt.

Der sonst sehr souveräne Kern gestikulierte unbeholfen, als er erklären musste, warum das vor 45 Jahren vom legendären sozialdemokratischen Reformer Bruno Kreisky eingeführte Pressefoyer nicht mehr zeitgemäß sei. Die Begegnung mit der Presse sei einst geschaffen worden, um Zusammenhänge und Hintergründe zu erklären. Heute sei man nicht mit einer Kamera konfrontiert, „sondern mit einer Vielzahl“. So sei der Auftritt zu einem „Hunderennen“ mutiert, bei dem jede Botschaft „auf Soundbites verkürzt“ worden sei.

Seit Dienstag informieren die Regierungskoordinatoren Thomas Drozda (SPÖ) und Harald Mahrer (ÖVP) nun in einem Debriefing über die Beschlüsse des Ministerrats und stehen den Journalisten Rede und Antwort. Der Kanzler werde zu einzelnen Themen Pressekonferenzen einberufen und zu Hintergrundgesprächen einladen. Außerdem wolle er in einem „Kanzler-Blog“, für den man vielleicht noch einen besseren Namen finden werde, die Öffentlichkeit ohne Umweg über die Presse informieren.

In Österreichs Innenpolitik­redaktionen vermutet man, dass die Entscheidung vor allem der Erfahrung geschuldet sei, dass beim Pressefoyer immer wieder Differenzen zwischen den Koalitionspartnern öffentlich gemacht wurden. Derzeit bemüht man sich, angesichts der hohen Umfragewerte der rechten FPÖ, Geschlossenheit zu demonstrieren. Über den Sommer sind diese Bemühungen in die Binsen gegangen. Einzelne Wortmeldungen von ÖVP-Ministern haben vermuten lassen, dass die Konservativen in Neuwahlen flüchten wollen und eine Regierung als Juniorpartner der FPÖ anstreben. Der reguläre Termin für Nationalratswahlen wäre erst im Herbst 2018.

„In einer etwas anarchischen Art“ verlaufen

Die Journalistengewerkschaft und Presseverbände bedauern in einem gemeinsamen Kommuniqué, dass „dieser traditionelle Dialog zwischen Regierungsspitze und Medien nach 45 Jahren gestrichen wird“. Es könne nicht im Sinne politischer Transparenz sein, „wenn den Medien eine Möglichkeit genommen wird, Kanzler und Vizekanzler persönlich zu ihrer Verantwortung bei wesentlichen Themen zu befragen. Dabei zählt genau dies zu den wesentlichen Aufgaben der Medien – und nicht eine unhinterfragte Verbreitung vorgefertigter Statements im Sinne von Regierungspropaganda.“

Andreas Koller, stellvertretender Chefredakteur der Salzburger Nachrichten und Präsident des Presseclubs Concordia, räumte im Radio Ö1 „Morgenjournal am Mittwoch“ ein, dass die Pressefoyers oft „in einer etwas anarchischen Art“ verlaufen seien: „Der Bundeskanzler kann nicht steuern, wer welche Frage stellt.“

Mit einem „Kanzler-Blog“ wolle man die Öffentlichkeit ohne Umweg über die Presse informieren

Gerade das habe aber auch die Qualität der Begegnungen ausgemacht, da die Presse Themen setzen konnte. Manchmal sei dabei eben durch kritische Fragen, die unterschiedlich beantwortet wurden, „ein Koalitionskrach herausgekommen“.

In Deutschland gibt es mit der Bundespressekonferenz eine ähnliche Einrichtung, in der der Regierungssprecher vor die Presse tritt. Koller findet einen Vergleich aber unpassend. Österreich sei ja von der Größe her eher mit einem deutschen Bundesland vergleichbar. „Wenn wir in Österreich eine Errungenschaft haben, die uns heraushebt“, so Koller, „besteht kein Grund, das abzuschaffen.“

Tatsächlich war die Idee, auch in Österreich einen Regierungssprecher zu schaffen, von den Koalitionspartnern verworfen worden. In Deutschland ist dieser als Beamter zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet. In Österreich sind Spitzenpositionen traditionell Gegenstand von parteipolitischem Postenschacher. So ist es einfacher, wenn die Parteiensprecher weiter als Pärchen auftreten.

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