Politische Kultur im Saarland: Jeder kennt einen, der einen kennt
Hier sind sich Politiker gerne behilflich. Von Fehlern im Lebenslauf, üppigen Gehältern beim Sportverband und einem Sparkassendeal.
Saarländische Redensart
Das prägt, auch wenn sie sich selbst auf die Schippe nehmen: „Wenn ein Saarländer eine Briefmarke kauft, dann geht er nicht durch den Haupt-, sondern durch einen Nebeneingang; er hofft in der Post einen Freund zu treffen.“ Ein „gudder Bekannter“ besorgt auch Briefmarken zum günstigeren Sonderpreis. „Jeder kennt einen, der einen kennt“, so preist Ministerpräsident Tobias Hans, CDU, die verzweigten Beziehungen und Familienbande im Saarland. Der 44-Jährige weiß davon aus eigenem Erleben.
Als der Aktivist der Jungen Union und angehende CDU-Funktionär im Jahr 2006 die Politik endgültig zu seinem Beruf machte, war sein Vater, Peter Hans, CDU-Landtagsfraktionschef. Sohn Hans wurde „wissenschaftlicher Referent“ der Fraktion, anschließend „persönlicher“ eines Landesministers. 2009 zog er als Abgeordneter in den Landtag ein, 2012 stieg er zum Landtagsfraktionschef und 2014 zum Ministerpräsidenten auf.
Kurz vor seiner Wahl zum MP musste Hans junior allerdings seinen Lebenslauf bearbeiten. Er hatte den Abbruch seines Universitätsstudiums verschleiert, indem er sich als „Informationswissenschaftler“ vorstellte. Auch die erste berufliche Station vor der Politik war geschönt. Hans war nicht wirklich „wissenschaftlicher“, also diplomierter Mitarbeiter in der psychiatrischen Fachklinik Neunkirchen-Münchwies“ gewesen, es war ein studentischer Nebenjob.
Aber auch ohne Studienabschluss ist Hans inzwischen oberster Dienstherr der Hochschulen des Landes, denn das Wissenschaftsressort wird aus der Staatskanzlei geführt. Ihm haben die Familienbande sicher eher genutzt als geschadet.
Schlecht geklüngelt: Der tiefe Fall von Klaus Meiser
Dramatisch anders ist es seinem Weggefährten Klaus Meiser, 67, ergangen. Der Volljurist war Innenminister, CDU-Landtagsfraktionschef, zuletzt Landtagspräsident und galt sogar als möglicher Kandidat für das höchste Amt. Meiser musste 2018 von allen Ämtern zurücktreten, weil er seine gute Beziehungen und Verbindungen allzu geschäftstüchtig versilbert hatte. Als Präsident des Landessportverbands hatte er nicht nur ein üppiges Salär bezogen, zusätzlich zu den Diäten des Landtagspräsidenten.
Wegen Untreue und Vorteilsnahme verurteilte das Landgericht Saarbrücken den zweifachen Ex-Präsidenten rechtskräftig zu einem Jahr und zehn Monaten Haft und einer Geldstrafe von 60.000 Euro zur Bewährung. Meiser hatte seiner Lebensgefährtin und Büroleiterin einen lukrativen Nebenjob im Landessportverband (LSVS) verschafft, ebenso seinem Fahrer. Private Essen wurden mit der Dienst-Kreditkarte bezahlt, der Koch der defizitären LSVS-Kantine bezog das das Gehalt eines Sterne-Cuisiniers. Der privat zugelassene Schulbus eines Präsidiumsmitglieds lief auf Verbandskosten, der rechnete sogar EDV-Einrichtungen über den Verband ab.
Vor der Landtagswahl 2017 überreichten unter Meisers Verantwortung mehrheitlich CDU-PolitikerInnen Schecks im Wert von insgesamt 55.000 Euro an Kultur- und Sporteinrichtungen. Innenminister Klaus Bouillon (CDU) durfte sich über eine große Feier zu seinem 70. Geburtstag freuen. Die fünfstellige Rechnung sollte der Sportverband übernehmen.
Bouillon, dem eigentlich die Rechtsaufsicht über den LSVS oblag, kam mit einem blauen Auge davon. Die vom Sport bezahlte Sause habe er „nicht gewünscht“, beteuerte er und bezahlte nachträglich eine überschaubare Rechnung aus eigener Tasche. Die jahrelange Machenschaften hatten Bouillon und seine Fachabteilung zuvor nicht erkannt. Jahr für Jahr hatte der LSVS über seine Verhältnisse gelebt, am Ende stand ein Millionendefizit.
„Mach’s gudd, awwer nid se ofd! Schaff, awwer nid se viel!“ Nur nicht zu viel arbeiten. Im Saarland geht es grundsätzlich um ein gesundes Verhältnis zwischen dem Geschaff und gutem Leben. „Hauptsach, gudd gess!“ ist das Motto, und „Wann mier gudd gess hann, hann mier aach schnell geschaffd!“
Der seltsame Auftritt des Josef Dörr
Ähnlich tiefgründige Volksweisheiten, wie sie der Schriftsteller Georg Fox als saarländisches Grundgesetz aufgeschrieben hat, standen auch am Beginn der Legislaturperiode im Saarbrücker Landtags. Alterspräsident Josef Dörr (AfD), damals 78, durfte reden. Im Vorfeld war spekuliert worden, ob der pensionierte Schulrektor die Gelegenheit zu nationalistischen oder rassistischen Ausfällen nutzen würde.
Zur allgemeinen Überraschung trug Dörr lediglich Gedichte und Sinnsprüche in den Mundarten des Saarlands vor, die SaarländerInnen selbst nennen es „Platt“. Eingeweihte erklärten die unerwartete Zurückhaltung des Seniors so: Er habe „den Klaus“ nicht verärgern wollen, hieß es hinter vorgehaltener Hand. Der später wegen Untreue gestürzte CDU-Grande Meiser war da noch amtierender Landtagspräsident. „Klaus“ und „Josef“ kannten sich aus der CDU, sie sind Nachbarn. Dörr war gerade mit der AfD in den Landtag eingezogen, die Krönung seiner politischen Laufbahn. Er mochte es sich mit dem Präsidenten nicht verderben, bekam später Räume, Mitarbeiter, Fahrer und Dienstwagen, wie es seiner Fraktion zustand.
In der letzten Landtagssitzung vor dem Wahltermin wurde Innenminister Klaus Bouillon mit Dankesreden und Applaus verabschiedet, ebenso wie der Grandseigneur der saarländischen Politik, der ehemalige Saarbrücker Oberbürgermeister, Ministerpräsident, Bundesfinanzminister, SPD-Parteichef und Linken-Parteigründer Oskar Lafontaine. Am Tag danach sollte „Oskar“ spektakulär seinen Austritt aus der Partei verkünden, die er selbst mitbegründet hatte.
Lafontaine, Jahrgang 1943, ein Roter, dem die SPD schließlich nicht rot genug war, Bouillon, Jahrgang 1943, ein konservativer Schwarzer. Wie Lafontaine machte sich auch Bouillon zunächst in der Kommunalpolitik einen Namen. In der Krise des Bergbaus und der saarländischen Stahlindustrie schafften beide den Neustart ihrer Städte, Lafontaine als der unumstrittene Saarbrücker Rathauschef, Bouillon als Bürgermeister von St. Wendel. Sie sorgten mit guten Ideen und besten Verbindungen für kluge Investitionen. Beide setzten dabei ausdrücklich auch auf die sogenannten „weichen“ Standortfaktoren, Kultur und Wissenschaft, begründeten Festivals mit überregionaler Ausstrahlung. Bis heute haben sich die beiden etwas zu sagen.
Es ist Mittagspause im saarländischen Landtag, das gemeinsame Essen ist ein wichtiger, böse Zungen sagen, der wichtigste Setzpunkt der Tagesordnung. „Hauptsach, gudd gess!“ halt. Die taz trifft den Linken-Fraktionschef, um ein Interview abzusprechen. Lafontaine stellt seinen Gesprächspartner vor: „Klaus Bouillon, ein tüchtiger Mann.“ Die taz hat da längst berichtet, dass der saarländische Innenminister entschlossen angepackt hatte, als 2015 die Flüchtlinge kamen. Er wollte von einer „Krise“ nichts wissen, war mit seinem Büro in einen Container an der Landesaufnahmeeinrichtung gezogen.
Der gescheiterte Sparkassendeal
Das Saarland schaffte es in enger Zusammenarbeit mit den Kommunen, mehr Flüchtlinge zu integrieren als andere, und das auch noch schneller. Die taz kannte also Bouillon, nicht aber die Saarland-Story aus Oskar Lafontaines „Nähkästchen“. Damals habe er, der Sozi, den CDU-Kommunalpolitiker Bouillon auf den lukrativen Posten des Sparkassenpräsidenten befördern wollen, gesteht Lafontaine lachend der taz: „Ich hatte die Sorge, dass die CDU ihn gegen mich ins Rennen schicken würde“. Bei seiner letzten Direktwahl zum Bürgermeister von St. Wendel hatte Bouillon immerhin 85,4 Prozent der Stimmen erzielt. Doch der Sparkassendeal kam nicht zustande „die CDU war aber so dumm, ihn nicht als Spitzenkandidat aufzustellen“, feixt Lafontaine noch Jahrzehnte später.
Dreimal in Folge gewann Lafontaine im Saarland die absolute Mehrheit für die SPD. Als „Napoleon von der Saar“ zog er in der Bonner Republik die Strippen. Er konnte es sich leisten, mit Zweispitz und Trikolore als kleiner großer Korse zu posieren, überstand eine Rotlichtaffäre und eine, in der es um überhöhte Pensionszahlungen ging. Er trieb als Stratege und Mehrheitsführer im Bundesrat Bundeskanzler Helmut Kohl vor sich her. Erst Lafontaines Bruch mit der SPD ebnete der CDU 1999 den Weg in die Staatskanzlei.
Seitdem regiert die CDU, in den letzten zehn Jahren mit der SPD als Juniorpartner. Lafontaine hat sich als Fraktionsvorsitzender einer an den Personalquerelen zerbrochenen Landespartei verabschiedet. Auch „Oskars“ Geschichte in der SPD handelt von langen Verbindungen und Freundschaften, von denen die meisten allerdings zerbrochen sind. Auch Brüche verlaufen im Saarland offenbar dramatischer als im Rest der Republik. In keinem deutschen Parlament sitzen mehr Abgeordnete, die in ihrem Leben einen oder sogar zwei Parteiwechsel hinter sich haben. Jeder kennt halt einen, der einen kennt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen