Politikwissenschaftlerin über Wahlen in Schweden: „Abstiegsangst erfolgreich genutzt“
Wie sich die rechtspopulistischen Schwedendemokraten wählbar gemacht haben und was das Land jetzt erwartet, erklärt Jenny Jansson von der Uni Uppsala.
taz: Frau Jansson, die rechtspopulistischen Schwedendemokraten sind bei der Parlamentswahl mit 20,5 Prozent zweitstärkste Kraft geworden. Wie haben sie das geschafft?
Jenny Jansson: Die etablierten Parteien sind an dieser Wahl gescheitert. Den Schwedendemokraten (SD) hingegen ist es gelungen, Menschen auf dem Land zu mobilisieren. Aber auch bei Geschäftsleuten und der Arbeiterklasse konnten sie punkten, weil die sich von den etablierten Parteien im Stich gelassen fühlen. Menschen auf dem Land sind nicht von der Gewaltkriminalität in den Städten betroffen, aber die Schwedendemokraten haben es geschafft, auch dort Angst zu schüren. Auch Versprechungen von Benzinpreissenkungen sorgten dafür, dass Wähler auf dem Land die Partei wählen. Die SD haben Abstiegsangst erfolgreich instrumentalisiert.
Anders als in Deutschland mit der AfD arbeiten Parteien in Schweden mit ihnen zusammen. Was sagt das über das Land aus?
In Schweden sind wir Minderheitsregierungen gewohnt. Normalerweise steht die Regierung nach 19 Tagen. Das hat meistens geklappt. Doch bei der Wahl im Jahr 2018 dauerte es 134 Tage. Das Resultat war ein Riss: Die Konservativen und Christdemokraten waren bereit, mit den SD zusammenzuarbeiten.
Wie könnte die kommende Regierung aussehen?
Ich schätze, dass die konservativen Moderaten zusammen mit den Christdemokraten an die Macht kommen werden. Diese Regierung wäre auf die Unterstützung der SD und der Liberalen angewiesen. Die beiden Parteien wollten jedoch eigentlich nicht miteinander arbeiten. Jetzt haben sich die Liberalen der Möglichkeit einer rechtskonservativen Regierung geöffnet, auch wenn nicht alle in der Partei zustimmen. Dass die Schwedendemokraten selbst in die Regierung kommen, ist unwahrscheinlich, da sie dann auch auf die Unterstützung der Liberalen angewiesen wären.
Wenn die Moderaten und Christdemokraten nun auf die Unterstützung der Schwedendemokraten angewiesen sind, wäre es dann möglich, dass die Regierung schnell wieder durch ein Misstrauensvotum gestürzt wird?
ist Professorin für Politikwissenschaft am Department of Government an der Universität in Uppsala. Sie absolvierte ihr Postdoc am Institut für soziale Bewegungen in Bochum.
Wir wissen nicht, wie sich die Schwedendemokraten als unterstützende Partei verhalten werden. Was klar ist, dass sie Einfluss auf Entscheidungen der Regierung haben werden, damit ein Misstrauensvotum verhindert wird. Sie könnten vor allem Entscheidungen bei Themen wie Medien und Migration beeinflussen.
Wieso ist Magdalena Andersson direkt nach der Wahl zurückgetreten, obwohl ihre Partei um 2 Prozent zugelegt hat?
Sonst hätte es ein Misstrauensvotum gegeben, das sie verloren hätte. Deswegen ist sie freiwillig zurückgetreten.
Werden die Sozialdemokraten und die konservativen Moderaterna auf entgegengesetzten Seiten bleiben?
Ich glaube nicht, dass es in Schweden eine GroKo geben wird. Auch wenn Andersson nun gesagt hat, dass sie zu einer Kooperation mit den Moderaten bereit wäre. Dann wären dennoch nicht beide Parteien in der Regierung, sondern eine würde die andere unterstützen. Jedoch haben beide Parteien Angst davor, wie die SPD in Deutschland zu werden. Die Sozialdemokraten und die Konservativen in Schweden haben ihre gesamte Parteiidentität gegeneinander aufgebaut…
…weil sie sonst die Opposition nicht hätten bilden können.
Zwischen 2014 und 2018 hatten wir eine Kooperation der liberalen Partei, der Zentrumspartei, der Konservativen und den Christdemokraten. Nach der Wahl 2018 waren zwei von ihnen mit der Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten einverstanden, während die anderen beiden sagten: Auf keinen Fall! Die Koalition war also völlig zerbrochen. Ob die konservativen Parteien tatsächlich zur Zusammenarbeit zurückkehren können? Die Zentrumspartei unterstützte ja in den vergangenen vier Jahren die Sozialdemokraten.
Jenny Jansson, Politikwissenschaftlerin
Wie wirkte sich das Weltgeschehen auf diese Wahl aus?
Die Energiekrise war ein wichtiges Thema – dass Strom so teuer geworden ist. Die Nato-Frage wurde schon im Mai gelöst. Das war strategisch von den Sozialdemokraten. Sie wollten keine Wahlen über die Nato. Wir Schweden neigen dazu, uns auf Schweden zu konzentrieren. Ein Thema, das viele bewegte, war die Bandenkriminalität. Die SD machen die Migration und die Flüchtlingskrise für das Problem verantwortlich. Man könnte das Problem aber auch im Umgang mit Armut sehen.
Von außen betrachtet hat Schweden ein anderes Image, man assoziiert das Land nicht mit Schießereien und Gewalt.
Auch die schwedische Polizei war darauf nicht vorbereitet. Seit Anfang der 2000er wurden die Ressourcen gekürzt, daran waren die vergangenen Regierungen in den letzten Legislaturperioden beteiligt. Nun sagten alle Parteien im Jahr 2022, dass die Polizei mehr Ressourcen braucht.
Stehen die Schwedendemokraten so weit rechts wie die AfD?
Der Parteivorsitzende Åkesson würde das verneinen. Dem entgegen steht, dass ein Wahlversprechen der SD ist, den Migrationsanteil im Land zu senken. Es gibt auch hier die Kleinpartei Alternative für Schweden, die ist aber nicht im Parlament ist. Die Schwedendemokraten haben sich verändert, seit sie im Parlament sitzen. Doch ihre Wurzeln liegen in der Neonazi-Bewegung im Schweden der 1980er-Jahre, in rassistischen Organisationen wie Bevara Sverige Svenskt.
Der durchschnittliche Schwedendemokrat ist heute wahrscheinlich nicht rechtsradikal. Sind sie eine Gefahr für das System? Nun, sie sind ziemlich klug. Sie könnten das System auf lange Sicht stören und etwa dafür sorgen, dass in Zukunft weniger Migranten in Schweden leben.
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