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Politikwissenschaftler über Öko-Krise„Der ökologische Fußabdruck ist eine Falle“

Grüner Kapitalismus und die Verhaltensänderung von Individuen könnten den Planeten nicht retten, sagt Ulrich Brand. Ein Systemwechsel sei notwendig.

„Diese Wünsche müssen wir umbauen“: SUV-Präsentation 2015 in Detroit Foto: dpa | Uli Deck
Interview von Franziska Vetter

taz: Kapitalismuskritik gibt es schon lange. Was hat Sie gerade jetzt dazu veranlasst in die Debatte einzusteigen?

Ulrich Brand: Wir haben das Buch nicht ­geschrieben, weil wir den Kapitalismus kritisieren wollen, sondern weil eine kapitalismuskritische Perspektive wichtig ist, um die aktuellen Verhältnisse zu verstehen. Wenn wir über multiple Krisen sprechen, müssen wir einen Gesamtzusammenhang herstellen und der liegt in der kapitalistischen und imperialen Produktions- und Lebensweise.

taz: Welchen Stellenwert hat die Klimakrise in Ihrem Buch?

Brand: Der Ausgangspunkt liegt in der ökologischen Krise. Uns beschäftigt ihre Dynamik, aber die können wir nur verstehen, wenn wir ihre Ursachen und Zusammenhänge untersuchen. Sie hat zum Beispiel viel zu tun mit der autoritären Entwicklung unserer Gesellschaften. Dass sie nicht effektiv bearbeitet wird, kommt bei den Menschen als Angst, als Ausgrenzung, als Polarisierung an. Dass Trump „drill baby drill“ schreit hat mit fossilistischer Macht zu tun, aber auch mit einer Verteidigung unserer Lebensweise „at any cost“.

Bild: privat
Im Interview: Ulrich Brand

Jg.1967, ist Professor für Internationale Politik an der Uni Wien. Gemeinsam mit Markus Wissen schrieb er das Buch „Kapitalismus am Limit – öko-imperiale Spannungen, umkämpfte Krisenpolitik und solidarische Perspektiven“.

taz: Der grüne Kapitalismus kann den Planeten also nicht retten?

Brand: Genau. Erstmal ist grüner Kapitalismus wichtig, weil es im Zentrum um Dekarbonisierung geht. Aber wenn es nicht eingebettet wird in eine Rücknahme von Wachstum und eine Infragestellung der Machtverhältnisse dann kann er, ersichtlich an den selbst gesteckten Zielen der Klimaneutralität, nicht funktionieren. Außerdem docken grüne ­Modernisierungsstrategien an die imperiale ­Lebensweise an. Die Erfahrungen im Süden – obwohl wir von Partnerschaften sprechen – sind weiterhin die eines Ausbeutungsverhältnisses.

taz: Was können wir dann tun?

Brand: Die Frage ist, wie wir die Welt denken. Wenn wir immer nur an Dekarbonisierung denken, dann heißt es: „Wir können ja gar nichts machen. Die Chinesen sollen mal anfangen.“ Wenn wir aber sagen, Gesellschaften schreiben sich in die Lebensweisen ein, dann müssen wir überall anfangen. Die Werbung ist beispielsweise voller Freiheitsversprechen des Automobils. Menschen auf dem Land wird gesagt, ihr könnt euer Auto nur noch mit schlechtem Gewissen nutzen und gleichzeitig gibt es bei Reichen den Trend zum Dritt-SUV. Diese Wünsche müssen wir umbauen. Und wir brauchen eine neue Weltwirtschaftsordnung. Eine Weltwirtschaftsordnung 2.0, im Anschluss an die Weltwirtschaftsordnung 1.0 aus den 1970er-Jahren mit der Dynamik der ­Dekolonisierung.

Vortrag und Diskussion

„Kapitalimsus am Limit“ mit Ulrich Brand: Mi, 18.6., 19 Uhr, Flensburg, Dänische Bibliothek, Norderstraße 59

taz: ­Hängt der Wandel letzten Endes am ­Individuum?

Brand: Ne! Definitiv nicht. Wir denken, dass Gesellschaft und gesellschaftliche Interessen kollektiv organisiert sind. Die Nachhaltigkeitsdebatte, inklusive der Metapher des ökologischen Fußabdrucks, die ja von der fossilen Wirtschaft erfunden wurde, ist eine Falle. Das ist eine Ansprache, die seit 30 Jahren auf die falsche Fährte lockt. Es ist wichtig, einen verantwortungsvollen Konsum zu haben. Aber die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen müssen verändert werden. Das Individuum muss bei einer anderen Lebensweise, einer solidarischen, mitmachen – auch als Beschäftigter oder Beschäftigte.

taz: Heißt ihre Utopie „solidarisches ­Zusammenleben“?

Brand: Ich würde „normativer Horizont“ sagen. Utopie heißt ja ein nicht bekannter Ort. Es gibt ja ganz viel Wissen, wie eine Alternative aussehen kann. Ein normativer Horizont ist zum Beispiel eine fleischbefreite Gesellschaft. Das heißt, es gibt Sonntagsbraten, der unter hohen Standards produziert wurde. Wie der Weg dorthin aussieht, das bedarf viel Kreativität. Das ist ein riesiger Graubereich.

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11 Kommentare

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  • Grüner Kapitalismus ist ein Märchen, das uns Kopf und Kragen kosten kann. Mögliche Mitopfer sind unzählige nichtmenschliche Lebewesen. Vielleicht werden die, die etwas ausrichten können, rechtzeitig wach. Im Moment fahren sie mit Vollgas auf eine Mauer zu und schlafen am Steuer.

  • Danke. :-)

    Ein Intellektueller der versanden hat, dass dieses seltsame, vor sich hin gemurmelte, "Wachstum, Wachstum" Mantra nur von grenzdebilen Ü50 Alphamännchen kommen kann, die hoffen, dass in der eigenen Hose noch was wachsen tut.

  • Eine machbare Veränderung für alle wäre wünschenswert.

  • Wieder mal jemand der uns vorschreiben will,mit Sätzen das Individuum muss…. Mitmachen, eine fleischbefreite hier .. und hier sollen wir mal so unsere Demokratie aufgeben um uns einer Ökodiktatur unterzuordnen. Hier kann man nur noch den Kopfschütteln , so langsam verstehe das Problem das Trump mit Uni und NGO s hat. Die sind gefährlich für die demokratische Freiheit

    • @Thomas Zwarkat:

      Wer sind denn die, die gefährlich sind? Der Trump oder UNIs und NGOs; und wenn die, welche NGOs?

      Und was meinen Sie eigentlich, mit „demokratischer Freiheit“?



      Demokratie ist dem Wortursprung nach, ein System egalitärer und solidarischer Gesellschaftsteuerung: Alle haben gleiche Rechte und Pflichten, über die Regeln für das Wohl der Gesellschaft mitzubestimmen. Die liberale Idee der Freiheit, hat damit wenig zu tun. Der Liberalismus setzt auf egoistischen Wettbewerb und ist im Kern purer Sozialdarwinismus. Die repräsentative alias liberale Demokratie ist so nur eine Perversion der demokratischen Idee. Sie führt regelmäßig zur elitären Parteienoligarchie und ist stets offen für autoritäre Herrschaft.

    • @Thomas Zwarkat:

      Dass es in Zukunft weniger Fleisch geben wird, ist aber keine Ideologie, sondern Tatsache.



      Die Frage ist nur, wie wird es dazu kommen?



      Versuchen wir möglichst gleichmäßig alle zusammen den Fleischkonsum zu reduzieren, oder lassen wir die Landwirtschaft derart zusammenkrachen, dass sich 90 % der Leute Fleisch einfach nicht mehr leisten können werden?



      Mit fortschreitendem Klimawandel wird es nämlich genau dazu kommen.



      Fleischproduktion ist teuer. Und wenn Ackerflächen weniger werden, wird das Tierfutter noch teurer werden.



      Es ist keine vegane Landwirtschaft notwendig, im Gegenteil, an manchen Stellen ist eine extensive Tierhaltung durchaus ökologisch wertvoll (Streuobstwiesen, Moor-Randgebiete etc.) Nur das Zufüttern von Getreide und Soja an Stallvieh wird früher oder später verschwinden müssen. Wir müssen nur entscheiden, ob wir das geplant machen oder uns von der Natur aufzwingen lassen. Bei letzterem Szenario wird aber vermutlich weniger übrig bleiben, als bei der geplanten Variante.

  • Als Professor, der sein Geld (und später seine Pension) vom Staat und damit von den Steuerzahlern in einem kapitalistischen System bezieht, kann man den Kapitalismus gut kritisieren.

  • Man könnte ja mal den Privatbesitz an Produktionsmitteln verbieten und alle Betriebe staatlich verwalten. Tolle Idee. Daß da nicht schon früher mal jemand drauf gekommen ist...

  • Energie aus Wasserkraft, Wind, Solar und Geothermie für 8 Millarden Menschen zu beziehen ist trotzdem besser, als durch Atom, Öl, Kohle oder Gas.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Haben Sie einen anderen Artikel gelesen?



      Im Interview wird doch nirgends behauptet, dass der Systemwechsel die Decarbonisierung ersetzen soll.

      • @Herma Huhn:

        Ich glaube sie haben ihn missverstanden, nicht er das Interview: Er drückte aus, dass selbst ohne Systemwechsel die Decarbonisierung schon ein richtiger udn wichtiger schritt ist, der eine Verbesserung darstellt. Nicht mehr und nicht weniger!