Politik und Gefühle: Meister der Empathie
Alle reden von Empathie. Sich in andere einzufühlen gilt als moralisch gut. Ist das so? Und ist es ratsam, sich in der Politik auf Gefühle zu beziehen?
Wahrscheinlich ist Donald Trump schon sehr gelangweilt von dem immer selben Vorwurf, er sei empathielos. Der Großschriftsteller Louis Begley, die Großschauspielerin Meryl Streep, ob in der Zeitung oder beim Friseur: Alle beklagen Trumps Mangel an Empathie.
Ein Vordenker wie der Soziologe Jeremy Rifkin hatte schon vor den anderen Empathie gefordert und hatte dabei nicht bloß Trump im Blick. Das wäre für einen Vordenker auch ziemlich klein gedacht, und deshalb forderte er gleich eine „empathische Zivilisation“. Die Hirnforschung hatte gerade bei den Primaten die Spiegelneuronen entdeckt und vermutet, sie könnten bei diesen für so etwas wie Mitgefühl sorgen, als die Soziologie also begann, Biologisches interessanter zu finden als soziale Prozesse, was ungefähr so ist, wie wenn ein Chirurg die Farbenlehre für seine Arbeit plötzlich interessanter fände als die Anatomie.
Nicht alle, die von Empathie sprechen, wissen von der Existenz der Spiegelneuronen, aber für viele scheint nicht die Kommunikation, sondern das Sicheinfühlenkönnen das gesellschaftlich Verbindende und Integrative zu sein. Ohne Empathie sei nur Albtraum.
Und deshalb ist sie überall: Sie begegnet uns als Voraussetzung von Moral, als therapeutischer Hebel gegen den kalten neoliberalen Zeitgeist und seit Trump gar als Allheilmittel gegen Krieg. Die Liste könnte an dieser Stelle unendlich fortgeführt werden, denn Empathie steht im alltäglichen Gebrauch synonym für das Gute. Aber Empathie ist nicht das per se Gute. Und das macht die Forderungen nach Empathie so sinnlos bis lächerlich.
Gefühle gehören zur Politik
Ist von Politik die Rede, wird immer öfter über Gefühle gesprochen. Klar, Politik ist nicht emotionsfrei, Gefühle gehören zur Politik. Aber die Penetranz, mit der affektive Kategorien wie Liebe, Gelassenheit oder eben Empathie seit einigen Jahren Einzug in den politischen Diskurs gehalten haben und die Vehemenz, mit der Emotionen geradezu als Enklaven gegen die neue Entfremdung, sprich: die neoliberale Zurichtung verteidigt werden, sind erstaunlich.
Woher kommt diese Konjunktur der Gefühle im Neoliberalismus? Sind sie einfach nur sein Antipode, ein stilles Aufbegehren gegen soziale Kälte, oder ist es vielleicht viel komplizierter: Sind sie nicht Teil der Affektmobilisierung, die von uns verlangt wird?
Schließlich gelten Emotionen immer mehr als notwendige Ressource in der Arbeitswelt. Sie sind ein Gradmesser für Engagement und Subjektivität, die in den Dienstleistungs- und Wissensberufen mehr gefragt ist als in vergangenen vorherrschenden Formen von Arbeit. Verwechseln wir also Antipode und Konformität? Die Bedeutung von Gefühlen hat sich gewandelt. Ist von ihnen die Rede, sollten wir skeptisch sein.
Entgegen aller Annahme ist Trump ein Meister der Empathie. Und das nicht nur, wenn man von der Herkunft des Wortes ausgeht, das sich vom spätgriechischen empátheia für „heftige Leidenschaft“ herleitet. Der kanadisch-US-amerikanische Psychologe Paul Bloom etwa, von dem in den nächsten Tagen das Buch „Against Empathy“ erscheint, behauptet, starke Empathie könne rachsüchtig machen und uns blenden.
Erkenntnis statt Einfühlung
Auch die klassische Psychoanalyse hält Abstand zur Empathie. Freud hat den Begriff nie verwandt, die psychoanalytische Praxis zielt auf Erkenntnis statt auf Einfühlungsvermögen. Einfühlungsvermögen als teilweise Identifikation würde die Analyse eher beeinträchtigen.
Identifikation kann mit Empathie verwechselt werden. Zudem ist längst bewiesen, dass wir uns eher mit jenen identifizieren, die uns ähnlich sind als mit jenen, die uns fremd sind.
Empathie kann auch der Kontrollausübung dienen. Der Kognitionswissenschaftler Fritz Breithaupt führt hierzu in seinem gerade erschienenen Buch „Die dunklen Seiten der Empathie“ (Suhrkamp, 2017) Helikopter-Eltern, Stage Mothers und anders Übergriffiges als Formen des Vampirismus an. Er zeigt auch, wie „Untaten nicht trotz, sondern aus Empathie“ entstehen: „Selbst die scheinbar empathielosesten Soziopathen […] können ein erstaunliches Maß an Einfühlung an den Tag legen und sind zudem gut im Erkennen (und Manipulieren) der Gedanken anderer.“
Hat Empathie also am Ende gar nichts mit Moralität zu tun, wie all die Einwürfe und Aufforderungen, empathischer zu sein, um den Eigennutz abzuschütteln, doch nahelegen? Trump gilt als empathielos, weil Empathie und moralisch richtiges Verhalten in eins gesetzt werden. Doch, wie Breithaupt formuliert: „Man kann immer mit dem Falschen mitfühlen.“ Und hat Trump nicht auch seine Fähigkeit zu manipulieren längst bewiesen?
Zudem ist längst bewiesen, dass wir uns eher mit jenen identifizieren, die uns ähnlich sind als mit jenen, die uns fremd sind.
So wie man nicht moralisch sein muss, um gerechte Politik zu machen, ist man nicht notwendig empathielos, wenn man ungerecht ist. Ein Diskurs, der angesichts konkreter Formen von Unrecht nicht auf juristische Kategorien rekurriert, sondern moralische und psychische Attribute der Subjekte fokussiert, ist nicht Lösung, sondern Teil des Problems.
Und Trump? Der stilisiert sich in dieser Psychopolitik längst als schlauer Entertainer. Was antwortete er JournalistInnen auf die Frage, was er mit seinem Einreiseverbot für MuslimInnen nun zu tun gedenke: „I’d like to surprise you.“
Leser*innenkommentare
61321 (Profil gelöscht)
Gast
Ich bin sprachlos ob Ihrer Ausführungen. Fast.
Es erscheint mir unmöglich, in einem kurzen Leser-Kommentar angemessen auf den Begriff Empathie und was es fürderhin mit moralischem Handeln zu tun hat einzugehen, also lassen wir es.
Einige Kommentatoren wie ANOMALIE, MONSEIGNEURHENRY, REINHOLD, RAINER B. haben ja schon einige wichtige Bemerkungen gemacht - der trockene Kommentar von HESSEBUB ist allzu nachvollziehbar.
Dass Sie sich mit dem Sujet in Ihrem glossenhaften Beitrag ein klein wenig verhoben haben, möchte ich an nur zwei Beispielen festmachen:
Was zum Teufel haben Helikopter-Eltern mit Empathie zu tun? Sie gehören zu den empathielosesesten Zeitgenossen unserer modernen westlichen Gesellschaften.
Die allersteilste der Thesen aber ist so krude, dass man sich empathievoll Sorgen um die Autorin macht: "Entgegen aller Annahme ist Trump ein Meister der Empathie"
hessebub
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Reinhold
Im Artikel ist schon richtig festgestellt worden, dass Empathie nicht zwingend mit Moral verknüpft sein muss. Jeder Betrüger muss in der Lage sein sich in seine Opfer einzufühlen.
Im alltäglichen Gebrauch wird die Verknüpfung mit Moral, besser gesagt mit dem Mitgefühl aber schon durchgeführt. In der Politik dient der Verweis auf Empathie dazu gebraucht um den Opponenten zu diskreditieren und die eigene Position gegen jegliche Kritik zu immunisieren. Der Gegner hat ein Defekt und ist schon allein deswegen widerlegt. Man selbst dagegen muss seinen Standpunkt nicht untermauern sobald Empathie ins Spiel gebracht wird. Wer zuerst mit dem Weinen anfängt ist im Recht.
Bestes Beispiel ist die "Flüchtlingsdebatte". Es ist ja nicht so als würde sehr viel mehr angebracht ausser dem Leid um faktitsch offene Grenzen zu fordern. Ich schreibe hier von faktisch, weil sämtliche Massnahmen zur Abwehr verurteilt werden, die eine Einwanderung verhindern oder zur Abschiebung führen könnten. Wobei hier nicht Leid gegen Leid abgewogen wird, sondern jeder Einzelfall zum Absolut erhoben wird. Wenn man beispielsweise das Mittelmeer dicht machen würde, inklusive des Aufbringens und anschliessenden Versenkens der Schmugglerboote (bei Abschiebung der Einwanderer natürlich). Es würde trotzdem einen Aufschrei verursachen, da es zu einem bestimmten Prozentsatz weiterhin Tote geben würde. Der Verweis auf selbstgewählte Risiken, das Eigeninteresse der EU und negativere Folgen als Alternative nützt da wenig. Die andere Position ist "empathisch", obwohl der "Empathische" an der Stelle null Verantwortung für die Folgen seiner Forderungen übernehmen möchte. Er wird sie höchstens mit der weiteren nebulösen Forderung garnieren, die "Verhältnisse" vor Ort zu ändern. Für die Änderungen ist auch hier natürlich ein gewisser Herr "man" verantwortlich.
Cristi
Können wir uns Emotionen überhaupt noch leisten? Oder bremsen sie zu oft die Vernunft?
Rainer B.
All diese boulevardjournalistische Beschäftigung mit Trump lenkt letztlich nur davon ab, dass eines der größten und mächtigsten Länder der Erde derzeit praktisch kopf- und führungslos und für den Rest der Welt völlig unberechenbar dahintreibt.
Der Europäischen Union steht womöglich absehbar ein sehr ähnliches Schicksal bevor - auch ganz ohne einen vergleichbaren Vollhulk wie Trump an der Spitze. Sich diesen Szenarien mit Begriffen wie Empathie nähern zu wollen, heißt aus meiner Sicht direkt am Thema vorbei zu schreiben.
by the way:
"Sigmund Freud verwendete den Begriff Einfühlung, der dann im Rückgriff auf die griechische Sprachwurzel im Englischen mit empathy übersetzt wurde und aus der angloamerikanischen Literatur auch im Deutschen als Empathie zurückkam. Auch im romanischen Sprachraum steht der Begriff empatia gleichbedeutend für das deutsche Wort Einfühlung." (Quelle: Wikipedia)
lions
Oha, die Empathie als Pferdefuß des zur Moral strebenden Menschheit. Das Wissen über die Empathie zu stellen, ist der Knochen ohne Fleisch. Allein aus dem Wissen heraus, dass es Menschen schlecht ergeht, werde ich wohl nichts dagegen unternehmen. Die Spiegelneuronen führen mir die Notlage vor Augen. Erst das Einfühlvermögen mit dem Wissen zusammen macht das moralische Handeln erst möglich, ermöglicht die Liaison von Ethos und Logos. Empathie mit unzureichendem Wissen verpaart, dass oft auf egozentrischer Ignoranz basierend zu selektierender Anteilnahme führt, bringt alles in eine unmoralische Schieflage.
Wenn der Psychoanalytiker erklärt, er handle weitgehend Empathie-frei, so soll einer behaupten, er täte es nicht auch von da heraus, dass er den Klienten leiden sieht. Nein, eine Maschine ist er nicht und wird er auch nicht sein wollen.
"Es gibt in einem anderen Menschen nichts, was es nicht auch in mir gibt. Dies ist die einzige Grundlage für das Verstehen der Menschen untereinander." (Erich Fromm)
Ich habe selten so einen...(na ich sag´s lieber nicht) gelesen, denn hier wird etwas auseinander dividiert, was unteilbar miteinander verbunden ist, wenn es der Moral unterworfen werden soll.
Joachim Petrick
Was für ein Jahrhundertsatz! Danke!: "Biologisches interessanter zu finden als soziale Prozesse, was ungefähr so ist, wie wenn ein Chirurg die Farbenlehre für seine Arbeit plötzlich interessanter fände als die Anatomie."
Against Empathy of the Devil?, oder wenn Teufel zu Engeln flotierender Gefühle werden?, ist wohl Vorsicht angesagt?
Empathie ist für zielgerichtetes Fühlen das, was die Farbenlehre für das Malen, wenn Psychologen ihren Diagnose Pinsel in die Hand nehmen. Mit dem Einfühlungsvermögen ist es wie mit den Stammzellen, bevor sie sich spezialisieren. Sie sind allerorten anzutreffen, wie das Wilde im Glauben. bis as vom Priester, Imam, Rabbi monotheistisch abrahamistischen Welt- Kirchen ausgetrieben ward.
Weil das seit Jahrtausenden in Stammesgesellschaften durch Überlieferung, auch ohne Kenntnis der Stammzelenwissenschaften, der Heisenberg`schen Unschärferelation, noch des Internets der Dinge und Gefühle, geläufig ist, wird Einfühlungsvermögen Neugeborener, Heranwachsender, Kaspar Hausers von Echokammern stammesgeschichtlicher Prägung umstellt, in denen sie widerhallen, die Schlaf- Lieder, Kampfesgesänge von Feindbildern nah und fern, allseits lauernden Gefahren, Gefährdern, Monstren in Menschengestalt, sich kreuz und quer im Schall zum lebenslangen Knalltrauma verstärkend,
MonsieurHenry
Hier mal jemand vom Fach. Die Autorin unterscheidet hier nicht zwischen kognitiver Empathie und emotionaler Empathie. Kognitive Empathie bedeutet, dass man Menschen lesen kann, das ist für Manipulationen natürlich unabdingbar. Diese kognitive Empathie fehlt z.B. oft Autisten. Emotionale Empathie bedeutet, mit jemandem mitzufühlen, das fehlt z.B. Psychopathen. Falls Trump ein Narzisst ist, was sich oft mit Psychopathie überschneidet, wird ihm die emotionale Empathie sinngemäß fehlen und die kognitive stark ausgeprägt sein, denn ein Narzisst lebt davon, sich über andere zu stellen, das geht nicht ohne soziale Auseinandersetzung.
Pfanni
„…ist es ratsam, sich in der Politik auf Gefühle zu beziehen?“
Gegenfrage: Geht es im gegenwärtigen, postfaktischen Zeitalter überhaupt anders?
Genau genommen tun Populisten aller Richtungen seit jeher nichts anderes: Sie versuchen, das Publikum „gefühlsmäßig“ auf ihre Seite zu ziehen und würzen ihre Rede nur mit den „richtigen“ oder „alternativen“ Fakten, die dazu passen.
Früher wurden solche Leute schräg angesehen und nicht ernst genommen, aber inzwischen können auch gestandene Politiker nicht mehr widerstehen. Nehmen wir nur den Streit zwischen SPD und CDU, ob M. Schulz Bundeskanzler „kann“ oder nicht. Es gibt nur positive oder negative Vorschusslorbeeren und Bauchgefühle, aber keine harten Fakten. Trotzdem redet jeder Anhänger und jeder Gegner so, als verbreite er die reine Wahrheit. Na schön, wir leben ja im „postfaktischen Zeitalter“ …
89598 (Profil gelöscht)
Gast
Ja, das ist alles interessant. Wer würde bestreiten, dass Empathie auch Einfühlung in die Affekte von Wutbürgern bedeuten kann etc.? Es kommt also u.a. drauf an, wer mit wem und warum empathisch ist. Aber eine menschliche Fähigkeit - eine der besten, humansten - sollte nicht denunziert werden, nur weil sie neben anderen Anwendungen (angeblich) auch Teil der Politik und des Kommerzes geworden ist oder werden kann.
Erkenntnis statt Empathie? Hm, die Psychoanalyse möchte ich sehen, in der Erkenntnis ohne Empathie zu haben ist. Schon klar, dass in der PA intellektuell viel passiert, ging mir genau so, aber das erscheint schon gewagt, diese beiden Begriffe von einander loszulösen oder gar gegeneinander in Stellung zu bringen.