Guerilla-Programm verwirrt Facebook: Niemand weiß, was ich mag
Sie reagieren auf Katzen mit weinenden Smileys? Auf Rote Bete mit Like-Daumen? Dann sind Sie verrückt. Oder nutzen ein neues Programm.
Berlin taz | Der Unterschied zwischen Facebook und René Descartes? Der französische Philosoph sammelte, soweit bekannt, keine Daten. Zumindest nicht in großem Stil. Abgesehen davon sind sich Philosoph und Netzwerk einig: Der Mensch ist zu sechs Emotionen fähig.
Descartes beschrieb sie als Liebe, Hass, Verlangen, Freude, Traurigkeit, Bewunderung.
Facebook nennt sie love, angry, like, haha, sad, wow.
Seit Facebook die Funktion eingeführt hat, Posts mit verschiedenen Emoticons zu kommentieren, können Nutzer*innen also theoretisch in jeder Situation ausdrücken, was sie fühlen.
Das ist ein großes Problem, meint Ben Grosser. Der Künstler aus Illinois hat Go Rando entwickelt. Die Browser-Extension setzt zufällige Emoticons ein, wenn Nutzer*innen auf einen Post reagieren möchten. Mit dieser Guerilla-Strategie können sie das System quasi von innen heraus bekämpfen. Und das, ohne ihre Gewohnheiten zu ändern.
Denn Facebook kann die ausgedrückten Emotionen auswerten. Ein Algorithmus könnte Menschen herausfiltern, die besonders traurig sind. Oder solche, die Matthias Schweighöfer hassen und Videos von Eulen lieben. Solche Informationen ermöglichen Facebook, den Newsfeed noch stärker anzupassen.
Schon jetzt zeigt der Konzern seinen Nutzer*innen individuell unterschiedliche Inhalte und Werbung. Abgesehen davon sei es wahrscheinlich, dass „deine Facebook-Aktivitäten überall als Big Data verstreut werden“, warnt Ben Grosser im Werbeclip für Go Rando.
Wer das Programm installiert hat, kann sich bei jedem Klick aussuchen, ob ein Emoticon zufällig ausgesucht wird oder ob doch eine spezifische Reaktion nötig ist.
In peinliche Situationen geraten
Go Rando macht Nutzer*innen sogar zu ausgeglicheneren Menschen – oder zumindest zu Menschen, die ausgeglichen aussehen. Über die Zeit hinweg postet das Programm jeden Emoticon gleich häufig. Wenn jemand in der Vergangenheit vor allem eine Reaktion gepostet hat, balanciert Go Rando das aus, indem es nur die fünf anderen verwendet.
Grosser benutzt Go Rando selbst und ist damit schon in peinliche Situationen geraten. So hat er etwa eine Vernissage mit dem traurigen Emoticon kommentiert. Viele Freund*innen hätten sich darüber empört, erzählt Grosser dem Magazin The Atlantic. Aber wenigstens „zwingt das Leute in diese Konversation darüber, was Reaktionen bedeuten“.
Wie viele Menschen bis jetzt Go Rando heruntergeladen haben? Ob es nicht sinnvoller wäre, den Konzern zu boykottieren statt ihn strategisch zu verwirren? Ob sich Facebook überhaupt für das Stichlein in seinen fetten Knöchel interessieren wird?
Die Antwort auf solche Fragen hat Ben Grosser nicht, dabei ist sie ganz einfach: SAD! Oder vielleicht: WOW! Wer weiß das schon.
Leser*innenkommentare
uvw
Feiner Ansatz, der auch noch Spaß macht, für ein selbstbestimmtes und rekommunalisiertes Internet. Facebook, Instagram, WhatsApp und Snapchat werden noch eine Weile bestehen, zu viele sind abhängig davon, die Vor- und Nachteile sind bekannt, an dem Ende ist nicht viel zu bewegen.
Datenhändler sind darauf angewiesen, dass sie wenig Müll einsammeln, Datenschrott bringt weniger Geld. Sie treiben großen Aufwand, um die Qualität "ihrer" Daten zu sichern, nutzen ausgefeilte Techniken, das ganze Spektrum von Data Mining, Psychologie, Verhaltensforschung und KI. User haben dagegen kaum eine Chance, mit der Zeit nicht restlos alles über sich preiszugeben.
In dieser Situation als User Automaten einzusetzen, ist richtig, und höchste Zeit. Die Kraken müssen dann auch hier erkennen, ob eine Maschine oder ein Mensch agiert. Das tun sie natürlich schon länger, dafür haben sie zahlreiche Köder ausgelegt und wir trainieren ihnen ihre KI auf jede erdenkliche Weise, Sprachassistenten, Textanalyse, biometrisch nutzbare Daten, Reaktionszeiten, Fotos, Audio, Video, usw, alles. Datenqualität ist *die* Problemzone der Datenhändler.
Bewertungsautomaten sollten sich möglichst natürlich verhalten. Es müssen Schwankungen erzeugt werden, die schlüssige Muster ergeben.
Die Idee der Datenschrottgeneratoren lässt sich ausdehnen. Browser könnten zufällig alle paar Seiten eine andere Browserkennung schicken, aber nicht beliebig, sonst ist es leicht erkennbar. Bildschirmschoner, die die Browserchronik oder irgendeine Linksammlung auswerten und zufällig ausgewählte Seiten ansteuern, eine Weile stehenlassen, runterscrollen und verlassen. Chatroboter ab und zu ins Spiel gebracht. Automaten, die bei Amazon stöbern.
Um die Schrotterzeuger einfach zu halten, wäre Halbautomatik nicht schlecht. Einzelne User können das leicht und spielerisch umsetzen, Datenhändler nur schwer, bspw. beim Faken von Trendlisten durch redaktionelle Teams.
mowgli
@uvw Oh, ein neues Wettrüsten! Das Alte hat ja auch schon super funktioniert, gel?
Cededa Trpimirović
Angry-sad? Na, ich habe kein Facebook, und es ist sicherheitshalber auch noch auf 127.0.0.1 gesetzt.