Polit-Aktivismus auf App Tiktok: Lieblingsziel Trump
Hunderte Millionen Menschen nutzen die App Tiktok. Einige tragen mit ihren Videos zur politischen Bildung der Fans bei – zugespitzt und humorvoll.
Dieser Tage macht die Video- und Social App Tiktok Schlagzeilen, weil US-Präsident Trump ihr den Marktzugang in seinem Einflussbereich sperren will. Bis zum 15. September hat der Microsoft-Konzern Zeit, dem chinesischen Entwickler ByteDance das US-Geschäft abzukaufen. Gelingt das nicht, dürfte ein Verbot der App auch außerhalb Chinas zu heftigen Verwerfungen führen. Denn weltweit hat Tiktok über 800 Millionen monatlich aktive Nutzer*innen, zwei Drittel davon zwischen 16 und 24 Jahren. Deren Videos werden auch bei Facebook, Twitter und Youtube weit geteilt.
Eine der erfolgreichsten plattformübergreifenden Tiktok-Stars ist Sarah Cooper, die mit Parodien auf Trump bekannt geworden ist. Mit ihren lippensynchronen Darstellungen des Präsidenten bringt sie ein Millionenpublikum zum Lachen. Überhaupt ist Trump ein beliebtes Ziel eines Teils der Community. So wurden auf der Plattform massenhafte Vorbestellungen für seine dann eher leeren Kundgebungen organisiert.
Für politisch-satirische Streiche wie diese war die App dabei gar nicht gedacht. Tiktok hat seine Ursprünge in der Musikindustrie. Tänze, Musik, neue Trends bestimmen die Inhalte. Zuletzt etwa die Kulikitaka Challenge, bei der Kühe erschreckt und gefilmt werden. Wohl auch deswegen wirkt Tiktok für viele über 30 wie ein App gewordener Pausenhof. Dabei hat sich das Angebot auf der App längst ausdifferenziert.
Es gibt millionenfach geklickte Bildungsangebote wie die von der Deutschlehrerin Maria, des Arztes Felix oder des Anwalts @herranwalt, der Fragen beantwortet wie: Dürfen mich meine Eltern zum Sport zwingen? Es gibt neben Straight Tiktok, dem Mainstream, auch Alt Tiktok für queere Themen. Es gibt indigene Tiktoker wie James Jones, Museen wie die berühmten Uffizien aus Florenz, selbst Jodie Dench nutzt Tiktok (über den Account ihres Enkels). Und zuletzt hat auch Black Lives Matter die Plattform verstärkt zur Vernetzung genutzt, hat Tipps zum sicheren Demonstrieren geteilt und politische Forderungen formuliert. So stellt sich die Frage: Wie politisch ist Tiktok?
Von Comedy zu Aktivismus
Kerstin Jost weiß nicht, ob sie bei dieser Frage überhaupt die richtige Ansprechpartnerin ist. Auf dem Profil der 28-jährigen Studentin finden sich neben lustigen Videos auch solche von Black-Lives-Matter-Demonstrationen, ihr meistgeklickter Beitrag ist mit dem Hashtag #afrodeutsch versehen, als Profilbild nutzt sie das Symbol der Bewegung: die schwarze protestierende, in die Höhe ragende Faust. Ihren Account würde sie dennoch nicht als politisch bezeichnen. „Eher Comedy“, sagt sie. „Und ein bisschen gesellschaftskritisch vielleicht?“ Womöglich ist das schon die erste Vorstellung, mit der Tiktok bei der Frage nach politischen Inhalten bricht: dass Aktivismus oder politische Bildung trocken sein müssen, getrennt von Humor, Spaß und Unterhaltung.
Auch auf Sina Reischs Profil verschwimmen die Grenzen zwischen Comedy und Aktivismus. Auf ihrem Profil finden sich Videos über radikalen antikapitalistischen Umweltaktivismus, Tanzchallenges und solche über Smoothies. Manchmal fällt auch mehreres davon zusammen, wie in dem lustigen Beitrag, in dem Reisch tanzend Stufen ihres sich radikalisierenden Umweltaktivismus inszeniert. Reisch, 25 Jahre alt, Klimagerechtigkeitsaktivistin, glaubt gar nicht, dass es bei Tiktok so sehr um Politik geht. Stattdessen, sagt sie, gehe es um Politisierung: „Ein Ziel ist, dass sich Leute mit bestimmten Positionen auseinandersetzen, dass es Leute bewegt, aufrüttelt, dass Fragen aufkommen.“
Sie sieht in Tiktok eine kreative Möglichkeit, politische Ideen niedrigschwellig und verständlich zu vermitteln, zu begeistern und anzuregen. Die eigenen Videos beschreibt Reisch als Politainment: eine Mischung aus Politik und Entertainment. „Ich versuche, meine Inhalte, Meinungen und Positionen als Gag zu vermitteln.“
Mit Tiktok ist es wie mit Memes: Man muss lernen, sie zu lesen. Wer die Codes kennt, erkennt in wenigen Sekunden, was ein Clip sagen möchte. Ein kluges fünfzehnsekündiges Tiktok kann Gesellschaftskritik schlau zuspitzen und Wissen einprägsam vermitteln, es kann anecken oder manchmal auch schlicht ein Rückzugsort sein.
Das chinesische Außenministerium warf den USA am Dienstag vor, gegen Grundsätze der Marktwirtschaft und die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) zu verstoßen. Es handele sich um „pures Mobbing“, sagte Ministeriumssprecher Wang Wenbin in Peking. Kritik kam auch von Chinas Staatsmedien. China werde den „Diebstahl“ eines Technologieunternehmens durch die USA nicht akzeptieren, kommentierte die Tageszeitung „China Daily“ in einem Leitartikel. Man habe „viele Möglichkeiten“, sich zu rächen.
Über das politische Engagement auf Tiktok gibt es kaum repräsentative Studien. Bei einer der wenigen Untersuchungen haben zwei Wissenschaftlerinnen beobachtet, wie junge Generationen sich dort politisch äußern. „Alles wird durch die persönlichen Identitäten und Erfahrungen junger Menschen gefiltert. Der politische Dialog auf der Plattform ist sehr persönlich, Jugendliche sprechen von ihren unterschiedlichen sozialen Identitäten in direktem Zusammenhang mit ihren politischen Ansichten“, erklärte eine der Wissenschaftlerinnen kürzlich der New York Times. Auch für Kerstin Jost sind Fragen der Identität zentral: „In meinen Videos geht es in vielen verschiedenen Formen um mich.“ Es geht um Unterhaltung, afrodeutsches Leben, oder wie sie selbst sagt: „Ich versuche immer mal wieder, Alltagsrassismus einzubauen, weil das viel mit mir zu tun hat.“
Tiktok kann damit als Gegenentwurf zu dem verstanden werden, was traditionell als Objektivität bezeichnet wurde – bei Tiktok steht die Person im Mittelpunkt. Wer verstehen möchte, wie das funktioniert, muss sich das Herz der App ansehen, die Frontpage „Für dich“. Beim Öffnen der App landet man automatisch dort. Anders als bei Feeds anderer Plattformen werden hier zwar zufällig individualisierte Beiträge unbekannter Profile angezeigt. Umgekehrt heißt das: Es geht weniger darum, eine Fanbase zu haben, und mehr darum, viral zu gehen. Tiktok löst ein Versprechen sozialer Netzwerke mehr als andere ein: Alle können hier groß werden.
Kerstin Jost ist dafür ein Beispiel. Angefangen hat sie im April während der Quarantäne, die meisten ihrer Videos haben um die 1.000 Aufrufe. Dann geht ein Video viral, in dem sie Lehrerinnen karikiert, die versuchen, ihren deutschen Namen – Kerstin – undeutsch auszusprechen. Es hat 400.000 Views. Markiert ist es unter den Hashtags #afrodeutsche und #comedy. Unter den über 1.000 Kommentaren finden sich solche wie: „Ich heiße Merve, aber alle Lehrer nennen mich Merfe.“ Oder: „Mein Name ist Ayumi, und weil ich Asiatin bin, meinte mein Musiklehrer, ich heiße Atschumi.“
Skurrilen Mist wegdrücken
Am Anfang war Tiktok für Jost mehr Unterhaltungsmedium, mit der Zeit wurden die Inhalte politischer. Mittlerweile bezeichnet sie Tiktok als eine Bildung-App, mit der sie sich auf dem aktuellen Stand hält. „Vor George Floyds Ermordung war meine Timeline mit lustigen Videos gefüllt“, erklärt sie. „Nach der Ermordung ist sie voll mit afroamerikanischer Geschichte und Videos zur politischen Situation in den USA. Es gibt einige Creators, die sich in Sachen afroamerikanischer Geschichte oder Innenpolitik auskennen und ihr Wissen weiterleiten. Das ist superinteressant und dauert auch nicht lang, für mich ist das Gold wert.“
Und sie sagt: „Das Gute an Tiktok ist für mich der Algorithmus. Ich sehe auf meiner For-You-Page nur Dinge, die mich wirklich interessieren, den ganzen skurrilen Mist kriege ich superselten mit. Und wenn, dann kann ich ja einfach immer noch anklicken, dass mir weniger Beiträge dieser Art angezeigt werden sollen.“
Damit streift sie Fragen, die in Gesprächen über die App immer wiederkehren: Wie ist mit problematischen Inhalten auf der App umzugehen, wie mit Tiktok selbst? Da gibt es neben chinesischer Zensur eine Menge problematischer Posts voller Verschwörungstheorien, Sexismus und Rassismus, „rape jokes“, oder Räume wie TrumpTok – das Tiktok-Universum der Trump-Fans.
Sina Reisch antwortet so: „Es gibt die Kritik, dass Tiktok ein kapitalistisches Unternehmen aus China ist, das viel Zensur betreibt. Das stimmt, davon sind ja auch politische Accounts betroffen. Als Linke müssen wir die Frage stellen: Wem gehört die Plattform und wer entscheidet, welche Inhalte stattfinden können? Das ist natürlich ein Problem bei allen kapitalistischen Social-Media-Unternehmen, auch Instagram und Facebook, die sollten vergesellschaftet werden wie alle anderen Unternehmen.“ Klar, man könnte Tiktok boykottieren, findet Reisch. „Aber ich will dort sein, wo Diskurs stattfindet.“
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