Plenarprotokoll zu Afghanistan: „Nicht gut für Deutschland“
Ortskräfte unbürokratisch aufnehmen? Bis vor wenigen Wochen lehnte die Große Koalition das im Parlament ab. Hier das gekürzte Protokoll.
Inzwischen ist sich die Bundesregierung einig: So viele so genannte Ortskräfte wie möglich sollen von der Bundeswehr aus Afghanistan ausgeflogen werden, also Menschen, die den Deutschen vor Ort geholfen haben. Außerdem sollen etwa auch FrauenrechtlerInnen oder NGO-MitarbeiterInnen gerettet werden. Aber bis vor Kurzem sah die die Große Koalition das noch ganz anders.
Die Aufnahme von Ortskräften lief jahrelang schleppend, kritisieren die Grünen. Von Januar 2017 bis Ende September 2018 seien etwa nur drei Aufnahmezusagen erteilt worden. Deshalb machten die Grünen, aber auch FDP und Linke Druck. Am 23. Juni diskutierte der Bundestag abends einen Antrag. Ortskräfte, so die Stoßrichtung der Grünen, müssten unbürokratisch und schnell aufgenommen werden.
Die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD lehnten den Oppositionsantrag ab. Grüne und Linke stimmten dafür, die FDP enthielt sich. Welche Argumente damals die deutsche Debatte beherrschten, zeigt das Plenarprotokoll.
Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Ich eröffne die Aussprache. Das Wort geht an Thorsten Frei von der CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Thorsten Frei (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland steht zu seinen Verpflichtungen, und Deutschland steht zu der Verpflichtung, die afghanischen Ortskräfte, die in den vergangenen Jahren für unser Land gearbeitet haben – für die Bundeswehr, für die Bundespolizei, für die Durchführungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit –, die Menschen, die am Wiederaufbau, an der Stabilisierung ihres Landes mitgearbeitet haben und aus deren Arbeit sich eine Gefährdung ergibt, zu schützen. Das haben wir im Übrigen in der Vergangenheit auch immer bewiesen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(…) Ich will aber eines an dieser Stelle sagen, auch im Hinblick auf den Antrag, den die Grünen hier eingebracht haben: Es ist eben nicht so, dass man allein aufgrund der Tätigkeit für die Bundesrepublik Deutschland, in welcher Form auch immer, automatisch Rückschlüsse auf eine lebensgefährdende Situation ziehen kann, weil die Sicherheitslage in Afghanistan höchst unterschiedlich ist. Wenn man beispielsweise auf das Vordringen der Taliban schaut, erkennt man: Das betrifft vielleicht 10 Distrikte von 400 Distrikten in Afghanistan.
Deswegen muss man das letztlich im Blick behalten und muss das auch tatsächlich sehen. Das wird dadurch bestätigt, dass es von den vielen Tausend Ortskräften, die beispielsweise für das BMZ und seine Durchführungsorganisationen arbeiten, gerade mal 37 Gefährdungsanzeigen gegeben hat. Insofern brauchen wir ein differenziertes Vorgehen. Das bietet die Bundesregierung an. Das unterstützen wir. Deswegen sind anderweitige Anträge abzulehnen. Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Rüdiger Lucassen (AfD): (…) Für die Versorgung der afghanischen Ortskräfte hat die Bundesregierung bereits eine Regelung getroffen. Sie ist angemessen und reicht aus. Wer für Deutschland gearbeitet hat und an Leib und Leben bedroht ist, kann mit seiner Familie nach Deutschland kommen.
Im Antrag der Grünen, der dieser Debatte zugrunde liegt, geht es freilich nicht um die Ortskräfte, die an deutscher Seite standen. Den Grünen geht es wie immer um eine unterschiedslose Verbringung von möglichst vielen Menschen nach Deutschland. Das lehnen wir ab.
(Beifall bei der AfD)
Helge Lindh (SPD): (…) Wenn wir uns das alles angucken, dann merken wir: Wir reden hier heute überhaupt nicht über Flucht und auch überhaupt nicht über Migration, sondern wir reden von Pflicht, Verantwortung und auch Schuld. Wir reden davon, dass es auch so was wie einen Kreis und eine Kaskade der Verantwortung gibt.
Wir haben politische Entscheidungen getroffen. Die Folge der politischen Entscheidungen war der Dienst von Soldatinnen und Soldaten, die zum Teil ihr Leben geopfert haben. Diesen Soldatinnen und Soldaten und auch den zivilen Kräften standen Ortskräfte zur Seite. Sie haben zum Teil ihr Leben gerettet, und sie haben für sie gedient.
Jetzt wiederum, in einer neuen Sicherheitslage, sind sie besonders gefährdet. Nun haben wiederum zum Beispiel auch Soldatinnen und Soldaten für sie Verantwortung übernommen und haben in Deutschland das Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte mit dem Vorsitzenden Marcus Grotian gegründet. Sie leben uns vor, wie wir politisch zu handeln haben. Wir müssen diesem Zirkel, dieser Kaskade der Verantwortung gerecht werden. Genau deshalb machen wir das. (…)
Darum geht es hier in dieser Stunde und in dieser Diskussion und im verantwortungsbewussten Handeln: dass diejenigen, die Verantwortung getragen haben, die sich für die Sicherheit von Soldatinnen und Soldaten und von uns allen eingesetzt haben, von uns nicht im Stich gelassen werden. Denn das wäre unanständig. So haben wir zu handeln, und so tun wir es gerade. Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Peter Heidt (FDP): Wir Freie Demokraten stehen auch zu Humanismus. Wir stehen auch zu christlichen Werten. Liebe CDU, es ist jetzt an der Zeit, keine Sonntagsreden mehr zu halten; es ist jetzt die Zeit von tatkräftigem Handeln.
(Zurufe von der CDU/CSU)
Und die bürokratischen Hürden – Kollege Lindh hat es angesprochen – sind nach wie vor immens. Ich frage mich wirklich manchmal, was die Bundesregierung mit diesen extrem umständlichen Verfahren eigentlich erreichen will. Die notwendige Sicherheit kann man einfacher, effizienter erreichen als so, wie es jetzt hier geplant ist.
Frau Kramp-Karrenbauer sagte in ihrer Rede heute, man arbeite an einer Lösung, um die Aufgabe, diese Menschen hierherzubringen, logistisch bewerkstelligen zu können. – Ihre Worte höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Frau Kramp-Karrenbauer, ich nehme Sie beim Wort. Wir können die Ortskräfte jetzt nicht einfach zurücklassen. Lassen Sie uns einfach diese Menschen mit Bundeswehrmaschinen ausfliegen. Wir fliegen so viele Sachen aus, und das wäre der einfachste Weg.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie der Abgeordneten Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ein Satz zu den Grünen noch am Schluss: Die Intention Ihres Antrages unterstützen wir Freie Demokraten ausdrücklich. Ein Gruppenaufnahmeverfahren halten wir aber nicht für den richtigen Weg.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das macht auch kein Land der Erde!)
Damit würde der Gefahr des Missbrauchs Tür und Tor geöffnet. Deshalb werden wir uns enthalten. Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Afghanische Ortskräfte, die aufgrund ihrer Tätigkeit für deutsche Institutionen gefährdet sind, müssen schnell und unbürokratisch in Deutschland aufgenommen werden. Dafür braucht es jetzt dringend ein einfaches Verfahren, weshalb wir dem Antrag der Grünen zustimmen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das sollte übrigens auch für jene gelten, die nicht direkt bei deutschen Ministerien, sondern bei Subunternehmen beschäftigt waren. Bekanntlich hat die Linke den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan von Anbeginn abgelehnt. Doch ganz unabhängig davon ist es völlig klar: Wenn das Leben von Menschen in Gefahr ist, brauchen sie Schutz. (…)
Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit vielen Jahren kämpft meine Fraktion, kämpfen wir hier im Bundestag für ein wohlmeinendes Ortskräfteverfahren. Wir sind damit auch nicht alleine. Und weil er heute dieser Debatte beiwohnt, möchte ich gerne meinen ehemaligen Kollegen Winfried Nachtwei begrüßen, der genau an dieser Stelle immer wieder den Finger in die Wunde gelegt und auch dafür gesorgt hat, dass die Situation dieser Menschen nicht vergessen wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abgeordneten Thorsten Frei [CDU/CSU])
Denn immer wieder wandten sich Menschen unter Lebensangst an uns, an die Stellen vor Ort, an die Ministerien. Und viel zu häufig wurde ihre Angst nicht ernst genommen, wurden ihre Gefährdungsanzeigen abgelehnt; denn das Verfahren zur Aufnahme von Ortskräften verlangt von den Betroffenen, ihre Gefährdung zu beweisen. – Ja, Herr Frei, wie soll das gehen?
Gewissheit, dass jemand seines Lebens bedroht wird, hat man tragischerweise erst, wenn der betroffenen Person etwas zugestoßen ist. Und unser Antrag möchte das ändern, schafft dem Abhilfe, indem er ein Gruppenverfahren fordert, indem er die Beweislast umkehrt. Das Verfahren muss auf der grundsätzlichen Annahme basieren, dass die Ortskraft durch ihre Arbeit für deutsche Behörden und Organisationen gefährdet ist, wenn man Schaden von den Betroffenen abwenden will. Und hier haben wir offensichtlich einen ganz klaren Dissens.
Ich glaube, dass es diese Beweislastumkehr braucht, damit es eben nicht zu falschen Entscheidungen kommt; und genau das fordert unser hier vorliegender Antrag. (…)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Josef Oster (CDU/CSU): (…) Wir sollten immer auch die gesellschaftliche Akzeptanz unserer Entscheidungen im Blick haben. Deshalb ist es so bedeutend, dass das jetzt vereinbarte Verfahren nach klaren und eben auch nachvollziehbaren Regeln abläuft.Die Grünen gehen in ihrem Antrag allerdings sehr viel weiter.
Das Gruppenverfahren, das Sie hier noch mal geschildert haben, würde ja, wenn ich es mal zugespitzt formuliere, bedeuten, dass quasi jeder, der mal einem deutschen Soldaten begegnet ist, Anspruch auf Aufnahme in Deutschland hätte. Ein derartiges Verfahren – auch das muss man hier deutlich sagen – wendet keine andere Nation in Afghanistan an.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Genau!)
Das entspricht eben offenbar ganz der grünen Linie, jedes internationale Problem dadurch lösen zu wollen, dass man möglichst viele Menschen hier bei uns in Deutschland aufnimmt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich sehe die Gefahr, dass darunter die aktuell gute Akzeptanz unserer migrationspolitischen Maßnahmen leiden würde. Ein pauschales Aufnahmeverfahren wäre daher nicht gut für Deutschland und im Übrigen nach meiner Überzeugung auch nicht gut für Afghanistan; denn das würde eben bedeuten, dass in großem Stil gut ausgebildete Kräfte das Land verlassen würden. Den Antrag der Grünen kann man daher nur ablehnen. Wir als Unionsfraktion werden das auch tun. Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Susanne Mittag (SPD): (…) Trotzdem werden wir in den kommenden Wochen die Situation rund um die Ortskräfte – egal ob von der Bundeswehr, von den Polizeien oder von anderen deutschen Behörden – genau beobachten und darauf achten, dass die jetzt getroffenen Vereinbarungen eingehalten und auch unverzüglich umgesetzt werden.
Eckhard Gnodtke (CDU/CSU): (…) Fazit: Es besteht kein Grund, ein Gruppenverfahren durchzuführen. Auch eine Beweislastumkehr ist nicht nötig. Ich bitte um Ablehnung des Antrags bzw. um Annahme der Beschlussempfehlung des Ausschusses.
Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Ich beende die Aussprache. (…) Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung. Wir wünschen der deutschen Nationalmannschaft, dass sie das Spiel noch dreht.
Eine vollständige Fassung des Plenarprotokolls können Sie hier nachlesen: https://dserver.bundestag.de/btp/19/19235.pdf#P.30501
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