Pleite für Regierung bei Impfpflicht: Corona immun gegen Bundestag

Fünf Stunden lang diskutierten die Abgeordneten im Bundestag über die Einführung einer Corona-Impfpflicht. Doch kein Antrag erhielt eine Mehrheit.

Karl Lauterbach sitzt mit weiteren Abgeordneten im Bundestag und applaudiert

Klatschen ohne Erfolg: Der Kompromissvorschlag von Karl Lauterbach (SPD) blieb ohne Mehrheit Foto:

BERLIN taz | Es wird in Deutschland weder eine Impfpflicht ab 60 Jahren geben noch eine Vorsorge für den Herbst, etwa durch den Aufbau eines Impfregisters. Beide Anträge bekamen am Donnerstag im Bundestag keine Mehrheit der Stimmen.

Damit ist die Impfpflicht zunächst einmal vom Tisch – nach monatelanger Debatte und anders, als es die Bundesregierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) versprochen hatte. Dabei hatten die meisten Abgeordneten vorab angegeben, grundsätzlich eine Impfpflicht nicht auszuschließen. Über die genaue Ausformulierung wurden sie sich aber nicht einig. In der Diskussion vor der Abstimmung warfen sich die Gruppen gegenseitig vor, sie seien nicht zu Gesprächen bereit gewesen oder sie verfolgten nur parteipolitische Interessen.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann unterstellte der Union, sie lehne die Impfpflicht ab 60 nur ab, „damit Herr Merz vielleicht am Ende die Krone aufhat, als Kompromissmacher“. Von Nina Warken, der Parlamentarischen Geschäftsführerin der Unions-Fraktion, hieß es hingegen: „Wir lassen uns nicht vorwerfen, dass wir nicht kompromissbereit waren oder dass wir allein aus parteitaktischen Gründen nicht mit Ihrem Vorschlag mitgehen.“ Im Gegenzug kritisierte sie die Regierung: „Das Wirrwarr hat begonnen, als sich die Regierungskoalition in Gruppenanträge geflüchtet hat.“

Die verschiedenen Positionen in der über vier Monate anhaltenden Diskussion zur Impfpflicht verliefen nicht entlang der üblichen Parteilinien. Zunächst hatte die Bundesregierung entschieden, keinen eigenen Gesetzentwurf einzubringen. Aus der Regierungskoalition kamen dann mehrere fraktionsübergreifende Gruppenanträge. Union und AfD brachten eigene Vorschläge ein.

Taktische Ansage: Dem Impuls widerstehen

Nach mehreren Kompromissvorschlägen standen vier Anträge zur Abstimmung: ein fraktionsübergreifender von Mitgliedern der Ampelkoalition und der Linke-Fraktion für eine Impfpflicht ab 60 Jahren; die Union beantragte, eine Impfpflicht vorzubereiten, die aktiviert werden soll, wenn sich die Pandemie wieder zuspitzt; ein weiterer interfraktioneller Antrag lehnte die Impfpflicht ab; die AfD-Fraktion hatte zudem einen Antrag eingebracht, in dem sie nicht nur eine allgemeine Impfpflicht ablehnte, sondern auch die einrichtungsbezogene Impfpflicht wieder abschaffen wollte.

Die meisten Fraktionen überließen es den Abgeordneten, nach dem eigenen Gewissen zu entscheiden, nur Union und AfD stimmten geschlossen ab. Das Ergebnis: Für die Impfpflicht ab 60 stimmten 296 Abgeordnete, 378 votierten dagegen. Der Unions-Vorschlag erhielt 172 Ja- und 497 Neinstimmen. Die AfD jubelte – auch wenn die Anträge gegen die Impfpflicht ebenfalls eindeutig abgelehnt wurden.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte noch in den vergangen Tagen gehofft, Abgeordnete der Union würden die Impfpflicht ab 60 unterstützen. Immerhin befürworteten auch mehrere CDU-Ministerpräsidenten in den Bundesländern eine Impfpflicht, darunter die Wahlkämpfer Hendrik Wüst in Nordrhein-Westfalen und Daniel Günther in Schleswig-Holstein.

Doch die Unions-Abgeordneten bekamen am Mittwoch eine taktische Anweisung von ihrem Parlamentarischen Geschäftsführer Thorsten Frei (CDU): Falls der Unions-Antrag keine Mehrheit finde, „sollte dem Impuls widerstanden werden, anderen Vorlagen zuzustimmen, nur damit es irgendein Ergebnis gibt“. Daran haben sie sich offenbar gehalten.

Union für weitere Gespräche offen

CDU-Chef Friedrich Merz erklärte am Ende der Debatte: „Es handelt sich nach der Meinung unserer Fraktion um keine ­Gewissensentscheidung.“ Die Union sei sich weitestgehend einig, und ihr Antrag sei bereits ein Kompromiss gewesen. Aber der sei von den anderen Fraktionen belächelt worden, sagte Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Es sei nicht seine Fraktion gewesen, die sich Gesprächen verweigert habe, sondern die anderen Gruppen hätten sie nicht ernsthaft einbezogen.

Dieser Streit zog sich in einem stetigen Schlagabtausch durch die Redebeiträge: Als etwa der Unions-Abgeordnete Sepp Müller der Ampel vorwarf, sie habe sich „Gesprächen verwehrt, auf die Tube gedrückt und eine Abstimmung erzwungen“, meldete sich SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zu Wort und widersprach: „Wir haben auch das Gespräch mit der Union gesucht.“

Tino Sorge erklärte, seine Fraktion sei auch nach der Abstimmung gesprächsbereit. Dem entgegnete Dirk Wiese (SPD): „Man kann nicht sagen: Heute verweigere ich mich der Verantwortung, aber morgen stehe ich für Gespräche bereit.“

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