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Plädoyer für Gedenktag für Covid-19-ToteDen Verstorbenen ein Gesicht geben

Abseits von Wirtschaft und Schulen sprechen wir wenig über die bald 20.000 Menschen, die an oder mit Covid-19 verstorben sind. Das muss sich ändern.

Eine Schweigeminute am 4. April in Wuhan Foto: Aly Song/reuters

Jeden Tag ein Flugzeugabsturz. Dieser Vergleich hilft, eine Vorstellungen davon zu bekommen, wie viele Menschen in Deutschland täglich im Zusammenhang mit dem Coronavirus sterben. Und es muss ein größeres Flugzeugmodell sein, denn der 7-Tage-Mittelwert liegt laut RKI mittlerweile bei 382 Toten pro Tag. Die Zahlen werden zwar regelmäßig bekanntgegeben, doch wir sprechen wenig darüber, was hinter ihnen steckt.

In der aktuellen Berichterstattung dominieren die Proteste der selbst ernannten „Querdenker“, Diskussionen darüber, wie wir Weihnachten feiern können und ob Böllern an Silvester nun Freiheit bedeutet oder einfach unsolidarisch ist. Keine Frage, wenn Woche für Woche Rechtsextreme und andere Demokratiefeinde auf die Straße gehen, müssen wir darüber sprechen. Auch dass Weihnachten und Silvester für viele Relevanz haben, ist in Ordnung. Doch das Verhältnis, worüber wir in dieser Pandemie sprechen, ist aus dem Gleichgewicht geraten.

Für viele ist 2020 ein verlorenes Jahr, doch wir können uns glücklich schätzen, wenn es nur ein Jahr und nicht ein ganzes Leben ist, das wir verlieren. Die Verstorbenen sind Großeltern, Eltern und Kinder, es sind Freund:innen, Geliebte, Bekannte oder Arbeitskolleg:innen. Den Angehörigen sind wir es schuldig, mit ihnen zu trauern. Vielleicht während Sie diesen Text lesen, spätestens aber in den kommenden Tagen, wird Deutschland 20.000 Covid-19-Tote verzeichnen. Doch in der jetzigen Debatte bleibt es eine Statistik, eine gesichtlose Masse. Als Gesellschaft sollten wir Empathie zeigen und den Verstorbenen ein Gesicht geben. Ein Weg dafür wäre ein offizieller nationaler Gedenktag.

Schon Anfang April, am traditionellen Qingming-Fest, dem nationalen Totengedenktag, wurden über eine Milliarde Chines:innen zu einer dreiminütigen Schweigeminute angehalten. In der italienischen Stadt Bergamo fand Ende Juni eine offizielle Gedenkzeremonie statt. Und in den USA hat beispielsweise NBC News die Seite „The Loss“ ins Leben gerufen. Darauf zu sehen sind Gesichter von Verstorbenen. Mit einem Klick auf die Fotos erscheint eine Geschichte oder eine Anekdote über die Person, lose Erinnerungen von Angehörigen.

Auch in Deutschland wurde in Gottesdiensten am Totensonntag an Coronatote gedacht, und eine Initiative der Künstlerin Veronika Radulovic und des Autors Christian Y. Schmidt hat deutschlandweit dazu aufgerufen, Grablichter aufzustellen. Doch es bleiben vereinzelte Aktionen. Wieso wir es, im Gegensatz zu anderen Ländern, bisher nicht geschafft haben, der Toten gemeinsam zu gedenken, ist die eine Frage. Ist es die deutsche Arroganz, aufgrund derer wir noch immer denken, wir seien nicht so schlimm betroffen wie andere und hätten die Pandemie besser im Griff? Ist es der Appell, in einer ohnehin schon angstvollen Zeit nicht noch mehr Panik schüren zu wollen?

Ein Großteil der Deutschen hat das Glück, bisher noch keine Verstorbenen persönlich zu kennen. Doch sind wir wirklich so unsolidarisch, dass wir nicht nach links und rechts gucken können und sehen, dass in diesem Land schon knapp 20.000 Menschen der Pandemie zum Opfer gefallen sind? Vermutlich ist es eine Mischung aus alldem. Doch wichtiger als Gesellschaftsanalysen ist jetzt die Frage, wie ein Gedenken in unserem Land aussehen könnte.

Eine Schweigeminute, eine Trauerrede von Bundeskanzlerin Angela Merkel, aufgestellte Kerzen und Blumen an Tausenden Orten in Deutschland lösen die Trauer der Angehörigen nicht in Luft auf. Doch sie sind ein wichtiges Zeichen des Respekts und des Mitgefühls. Und gleichzeitig ein Gebot, sich weiter an die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus zu halten, um weitere Tote zu vermeiden.

Auch über 2020 hinaus könnte ein Gedenktag helfen. Denn selbst wenn die Pandemie irgendwann nicht mehr unseren Alltag beherrscht, werden wir weiter über Covid-19 sprechen. Dass wir nicht nur über wirtschaftliche Folgen diskutieren, sondern auch dafür sorgen, dass die Covid-19-Toten nicht in einer Statistik verschwinden, ist eine gesellschaftliche Aufgabe, derer wir uns jetzt annehmen sollten.

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21 Kommentare

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  • Passend zu dem Bild aus Wuhan hier noch ein arte Film über die dortige Situation heute. Klar, es ist ein autoritäres System und es wurde auch über die verschwundenen blogger berichtet... Aber am 11min 10 sec. wird ein Arzt interviewt, der einen bemerkenswerten Satz über den dortigen Erfolg von sich gibt:



    www.arte.tv/de/vid...-A/arte-reportage/

    Leider ist es wahrscheinlich kulturell nicht möglich diese Einstellung zu übernehmen. Vielleicht ist es aber doch ein Schlüssel um jetzt und in Zukunft ähnliche Situationen zu meistern.



    Womit ich die anderen "Rahmenbedingungen" nicht gutheisse....

  • Ich halte Frau Schwarz' Vorschlag für eine sehr gute Idee.

  • Ich habe vor einiger Zeit in einer Fernsehdiskussion eine Frau asiatischer Abstammung gesehen (leider weiß ich nicht mehr, wer das war), die ziemlich erschrocken darüber war, wie leichtfertig wir Coronatote in Kauf nehmen und nur als statistische Zahl wahrnehmen. Mir ist erst da klar geworden, dass Lebenretten in anderen Kulturen doch einen höheren Stellenwert hat als in unserer tollen Wertegemeinschaft, die bei knapp mehreren hundert Coronatoten darüber diskutiert, ob das Leben im Sinne des GG überhaupt einen übergeowrdneten Wert hat.

  • Kommentar entfernt. Bitte beachten Sie die Netiquette.

    • @PS007:

      Und ansonsten posten Sie Horrorbilder von schrecklichen Nebenwirkungen einer Pocken- oder Masernimpfung?



      Hauptsache, die große Keule gegen jeglicges Interesse an der Sachlage auspacken . .

    • @PS007:

      Jeder Tod außerhalb des „natürlichen Todes“ ist schrecklich. Aber die durch Corona (oder die Gegenmaßnahmen) verschuldeten Tode kommen noch additiv dazu. Hilft man den besonders Benachteiligten der Welt, indem man die Corona-Toten zur Nummer macht? Hilft man, indem man alle Todesereignisse zur Nummer macht? Oder hilft man, indem man an Schieflagen der Welt weiter arbeitet?

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @PS007:

      Diese Toten sind eine Folge der wirtschaftlichen Verwerfungen die hätte man aber auch wenn man das Virus machen lässt. Bedenkt man wieviel Geld an Enwticklungshilfe geflossen ist, ist Geld auch keine Lösung die Ursachen des Problems zu lösen.



      Die Menschen vor Ort müssen die korrupten Strulturen überwinden, dann werden solche Sachen nicht mehr auftreten.

    • @PS007:

      Beides sind Tragödien



      aber das bedeutet nicht dass man der Toten hier nicht gedenken darf und sollte.



      Warum gibt es nur entweder oder ??



      Jeder Tote hätte gernen noch gelebt hier wie in Afrika.



      Und nebenbei was würden Sie gegen die Pandemie unternehmen ??

    • @PS007:

      Und richtig pervers wird es, wenn man sich vor Augen hält, dass ein nicht unerheblicher Teil der "Vorerkrankungen" bei Risikopatienten durch falsche Ernährung verursacht wurde.

      • @PS007:

        Ihr Zynismus ist ja kaum zu überbieten.

        Meinen Sie wirklich, Ihr Whataboutismus hilft irgendjemandem weiter?

        • @rero:

          Nein, das ist leider kein Whataboutismus. Laut FAO steigt die Zahl der Unterernährten um 80 bis 130 Millionen aufgrund des ökonomischen Einbruchs durch Covid-19:

          taz.de/Unterernaeh...h-Corona/!5694812/

          Wenn man dagegen hält, dass „ohne jegliche Intervention“ nach „pessimistischsten Modellschätzungen“ (Thomas Piketty) weltweit 40 Millionen an der Krankheit sterben könnten:

          www.freitag.de/aut...rende-ungleichheit

          dann kann man schon zum Schluss kommen, dass die reichen Staaten den Schutz der eigenen Bevölkerung um den Preis eines vielfachen Sterbens in den armen Ländern vornehmen.

          Soviel zu der immerzu beschworenen Solidarität bei den Coronamaßnahmen.

          • @Ruhig Blut:

            Wollen Sie den an Corona Sterbenden in den Krankenhäusern jetzt etwa erzählen:"Ach, habt Euch nicht so! In Afrika verhungern viel mehr Menschen wegen Corona."?



            Menschenfreundlichkeit und Empathie ist nicht so Ihr Ding, oder?

            Ich würde übrigens persönlich keine Regierung wählen, die mich sterben lässt, damit jemand in Afrika überlebt.



            Solidarität ist für mich was anderes.

            Allerdings halte ich das Ganze nicht für ein Null-Summen-Spiel, weshalb sich für mich die Frage so gar nicht.

            • @rero:

              „Menschenfreundlichkeit und Empathie“ sowie Solidarität nur innerhalb der eigenen Nation, oder wie?



              Nochmal: Es kommen um die 100 Millionen Hungernde hinzu WEGEN des lockdowns. Würden Sie, andersherum, den Millionen, die verhungern, erklären, dass die Reichen auf anderen Kontinenten halt wichtiger sind?



              Sorry Rero, so simpel ist das nicht.

              • @Ruhig Blut:

                „Menschenfreundlichkeit und Empathie“ sowie Solidarität nur innerhalb der eigenen Nation, oder wie?



                - das "nur" in dem Satz ist das, was ich nicht sehe.

                Ich verstehe nicht, warum für Sie nicht grundsätzlich beides geht.

                Woraus entnehmen Sie, dass ein Gedenken der Corona-Toten hier den Hungernden wo auch immer irgendwie schadet?

                Ich würde den Verhungernden auch nicht erklären, dass die Reichen auf anderen Kontinenten halt wichtiger sind, weil es nicht stimmt.

                • @rero:

                  Natürlich sollte beides gehen und Gedenken schadet niemandem, wieso auch. Verstehe nicht warum Sie diese Fragen überhaupt aufwerfen. Anscheinend haben Sie mich ganz und gar missverstanden.

    • @PS007:

      Wie kommen Sie denn auf 135 Mio. zusätzliche Hungertote.

      Jeder Hungertote ist einer zu viel, aber ihre Horrorzahlen sind völlig unsachlich.

      • @unbedeutend:

        Nun, es sind zusätzlich 135 Mio. vom Hungertod bedrohte Menschen.



        Dazu kommt noch eine Zunahme der Kindersterblichkeit in der gesamten 3. Welt, was ebenfalls ein paar hundert Millionen Menschen entsprechen wird. Und das jahrelang.



        Wir bewegen uns mit angenommenen 135 Mio. Opfern im untersten Bereich der möglichen Schätzungen und somit auf der sicheren Seite.

  • Mich ärgert das "an oder mit" im Untertitel. Ich verstehe schon, dass das in Einzelfällen nicht unterscheidbar ist. Aber hier im Artikel geht es um Coronatote, also "an".

    Ich halte das "an oder mit" ohnehin für einen unnötigen Kompromiss, mit dem vielleicht versucht werden soll, irgendwelche Corona-Leugner ins Boot zu holen, das kann man aber vergessen, die leben in ihrer eigenen Welt. Schaut man sich die Übersterblichkeitskurven an, dann gibt es wahrscheinlich noch mehr "an Corona gestorben", als die Todeszahlen es nahelegen. Es werden ja nicht alle obduziert.

    • @derzwerg:

      Es geht bei "an" oder "mit" nicht um Kompromisse, sondern um Fakten. Das RKI zählt als Todesopfer im Zusammenhang mit dem Coronavirus alle, die zum Zeitpunkt ihres Todes Covud-19 hatten, unabhängig davon, ob Covid-19 die Todesursache war oder nicht. Hier der Faktencheck von Correctiv.org, die beim RKI nachgefragt und eine klare Antwort erhalten haben:



      correctiv.org/fakt...istik-aufgenommen/

      • 8G
        83379 (Profil gelöscht)
        @Budzylein:

        Nun es stirbt genau genommen nie jemand an einem Virus, Todesursache ist immer etwas anderes.

        • @83379 (Profil gelöscht):

          Ist das so? Wie kommen Sie darauf?