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Pflegepersonal aus BrasilienWerbereise mit Geschmäckle

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Es spricht nichts dagegen, Pflegekräfte aus Drittstaaten anzuwerben. Doch ohne deutlich verbesserte Arbeitsbedingungen hier vor Ort wird das wenig helfen.

Sao Paulo am 6. Juni: Hubertus Heil beim Besuch des Deutschen Krankenhauses Oswaldo Cruz Foto: Annette Riedl/dpa

E s hat Symbolkraft, wenn deutsche Bun­des­mi­nis­te­r:in­nen durch die Welt jetten, um Pfle­ge­r:in­nen zu gewinnen für die hochgebrechlichen Menschen in Deutschland. Der damalige CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn flog auf der Suche nach Pflegekräften nach Mexiko. Der heutige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) tourt mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) durch Brasilien und wirbt um qualifizierte Pflegekräfte, die aus der Heimat einen Bachelor-Abschluss mit nach Deutschland bringen.

Gemessen am Aufwand sind die Zahlen bisher bescheiden. 2022 kamen über das staatliche Programm Triple Win nur 656 Pflegekräfte aus Nicht-EU-Ländern hierher, auch wenn dort mit dem Lohn und dem Sozialsystem in Deutschland geworben wird. Obwohl es also aussieht wie eine gigantische Aufwertung des Pflegeberufs, wenn ­Mi­nis­te­r:in­nen dafür durch die Welt reisen, ergibt sich ein anderes Bild, wenn man die Struktur hinter diesem An­werbevorgang genauer anschaut.

Denn es geht nicht nur um die Demografie und die Tatsache, dass etwa in Brasilien der Anteil der jungen Leute höher ist. Im Grunde hofft man, dass qualifizierte Pflegekräfte aus Drittstaaten mühsam einen Sprachkurs absolvieren, nach Deutschland kommen, Heimweh aushalten und hier dann Arbeitsbedingungen vor allem in der Altenpflege akzeptieren, die von hiesigen Kol­le­g:in­nen als unzumutbar empfunden werden, weswegen diese scharenweise den Bereich verlassen. Das hat ein Geschmäckle.

Gegen die Anwerbung von Pflegekräften in Drittstaaten ist zwar grundsätzlich nichts zu sagen, aber ohne Verbesserungen der hiesigen Arbeitsbedingungen auch für Mitarbeiter:innen, die bereits im Land sind, wird es nicht gehen. Verlässliche Arbeits- und Freizeiten, bessere Personalschlüssel, mehr Geld wird man definitiv brauchen, um den Beruf attraktiver zu machen und damit die Personalnot vor allem in der Altenpflege zu mildern. Dazu bräuchte es einen politischen Willen und viel Geduld. Das ist aufwendiger und politisch riskanter als symbolische Reisen.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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10 Kommentare

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  • "Es spricht nichts dagegen, Pflegekräfte aus Drittstaaten anzuwerben". Also unter bestimmten Voraussetzungen mag das wohl stimmen, nur sind wir gegenwärtig meilenweit von diesen Voraussetzungen entfernt. Anders als häufig von den hiesigen Arbeitgebern behauptet, macht es in den Herkunftsländern sehr wohl große Probleme. Die anwerbenden Agenturen scheren sich nämlich nicht darum, ob sie die Belegschaften ganzer Krankenhäuser abwerben, so geschehen in der größten Klinik Deutschlands in Berlin, das eine Kampagne für albanische Pflegefachkräfte gefahren hatte, die dann auf der Arbeit hier berichteten, daß durch die Abwerbung in Albanien der Betrieb ihres alten Krankenhauses quasi zusammengebrochen ist. Aber auch in Deutschland ist der Einsatz von Pflegekräften mit begrenzten deutschen Sprachkenntnissen sehr problematisch. In der Ausbildung von Pflegefachkräften, in der ich tätig bin, wundere ich mich immer wieder, wie die angehenden KollegInnen die B2-Prüfung bestanden haben; auch im zweiten Lehrjahr war eine Kommunikation nur mit Händen und Füßen und viel Mißverständnssen und Aneinandervorbeireden möglich. In den Arbeitsbereichen können sie nur mit viel Kontrolle tätig werden, weil durch die Sprachbarriere viele Fehler passieren und gerade von den asiatischen Pflegenden aus Höflichkeit häufig nicht nachgefragt wird. Nach der Ausbildung gerade in den Altenheimen findet dann ein "Gespräch" mit den zu Pflegenden häufig nur mit Phrasen statt, "Wie geht es Ihnen?" - und schon die Antwort darauf wird nicht mehr verstanden, es kommt keine Kommunikation mit den alten Menschen, die doch so darauf angewiesen sind, zustande. Von den Ausbildungskursen in Berlin, die ohnehin zur Zeit nur zu etwa 80% besetzt werden können -trotz deutlich gesenkter Einstellungsvoraussetzungen- kommt oft nur die Hälfte an: ich sitze vor Kursen mit 12 Leuten, die anfangs aus 25 Auszubildenden bestanden. Es gilt die Attraktivität zu erhöhen, neben Dienstplangestaltung auch Bereitstellung von Wohnraum!

  • Man müsste nicht so weit reisen, um zu werben. Man muss nur in unserem eigenen Lande den Beruf und die Bedingungen und natürlich die Bezahlung aufwerten, dann findet man vielleicht mehr Menschen, die sich das "antun". Außerdem ist es schäbig, mit einem guten Suzialsystem und guter Bezahlung Menschen anzulocken, die hier dann zu den Ärmsten der Armen gehören und sich weder in unsere Kultur noch Sprache einfinden. Darunter leiden bei uns dann besonders die Pflegebedürftigen.

  • "Es spricht nichts dagegen, Pflegekräfte aus Drittstaaten anzuwerben"? Doch! Wenn ein stinkreiches Land wie Deutschland seine Probleme dadurch löst, dass es andere Länder um ihre Ausbildungskosten prellt und wichtige Arbeitskräfte abwirbt, dann ist das ein Armutszeugnis.

  • Das "S" in der SPD



    Was ist daran "sozial". wenn man ärmeren Ländern die Pflegefachkräfte abwirbt, und somit dort die Pflege zum Problem wird, nur um Löcher bei uns zu stopfen.



    Dieser kommende Fachkräfte-Import geht immer auch zu Lasten des Herkunftslandes.

  • Hallo, natürlich ist grundsätzlich was dagegen zu sagen, wenn Pflegekräfte aus Drittländern angeworben werden. Da fehlen sie nämlich hinterher. Und es ist nicht nachvollziehbar, wieso die Kosten einr Ausbildung von diesen Ländern getragen werden, von der wir hinterher profitieren.

    • @Punita Iser:

      Interessante Argumentation hier in den Kommentaren:

      - Gegen internationale Mobilität von Arbeitskräften.



      - Für eine Nationalisierung von Problemen.



      - Für die Berücksichtigung von Ausbildungskosten der Staaten -> das hieße folgerichtig Studiengebühren für ausl. Studierende in Deutschland, (eventuell Schulgeld für Flüchtlingskinder in Deutschland?)

      Das hatte ich beim taz-Publikum ganz anders erwartet.

      Interessant auch, dass man Deutschland in einer überlegenen Situation gegenüber Brasilien wähnt. Klar haben die dort massive Armut. Aber geopolitisch ist Deutschland ein kleines Licht gegen Brasilien. Hubertus Heil tritt dort als Bettler auf.

  • „Gegen die Anwerbung von Pflegekräften in Drittstaaten ist zwar grundsätzlich nichts zu sagen“ Diese Plünderung von Fachkräften aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich kann man getrost als neokoloniale Politik bezeichnen.

  • "Es spricht nichts dagegen, Pflegekräfte aus Drittstaaten anzuwerben.", Entschuldigung, aber da bin ich ganz anderer Meinung. Ist das "abwerben" nicht eine neue Form von Kolonialismus? Wir nehmen den Menschen dort ihre Fachkräfte weg, welche diese auch noch ausgebildet haben. Egoismus auf dem Rücken der Schwachen. Europa/ Deutschland 2023!

  • Es fehlen noch die privaten Klinikkonzerne, die ebenfalls von Chancen reden, die die Pflegekräfte hier in Deutschland erhalten. Die Realität ist dann häufig ernüchternd, zumal man auch hier versucht Löhne zu drücken weil die Kräfte erstmal als Pflegehelfer eingruppiert werden bis sie die deutsche Sprache beherrschen und eine Schicht alleine bewältigen. Unterschlagen sollte man auch nicht den deutlich besseren Tarifvertrag für die Ärzte ( Marburger Bund), der deutlich über dem Abschluss von Verdi liegt und geräuschlos gneehmigt wurde. Ein Unding. Es ist absehbar, daß dieser Abschluss von den Pflegekräften bezahlt werden muß, nämlich durch weitere Einsparungen bzw. Optimierungen mithilfe der Digitalisierung. Pflegekräfte sind Kostenfaktor, Ärzte Erlösrelevant. Dieser entscheidende Widerspruch, der als Kostentreiber im Gesundheitssystem wirkt verhindert jede vernünftige Reform. Die Reise nach Brasilien ist ein Hohn.

  • 6G
    663803 (Profil gelöscht)

    Das haben sie mit Bosnien und Serbien gemacht, mit China und nu ist Brasilien dran