Parteitag am Wochenende: Grüne diskutieren wieder
Alle nur pragmatisch? Nicht ganz: Auf dem Parteitag werden die Delegierten auch über Prinzipien reden, unter anderem bei der Atomkraft.
Man darf davon ausgehen, dass sie dies zähneknirschend tun. Aber sie wollen den Spielraum für ihren Wirtschaftsminister Robert Habeck, der FDP noch weiteren Zugeständnisse zu machen, maximal verkleinern.
Die Einsatzreserve ist eines der Themen, die auf dem dreitägigen Parteitag in Bonn kontrovers debattiert werden dürften. Auf der vollgepackten Tagesordnung mit über 300 Anträgen stehen aber auch andere Themen, die es in sich haben: Es geht etwa um Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien und die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine, auch um eine Bewertung des Sondervermögens Bundeswehr und den Kohlekompromiss, den Habeck mit RWE ausgehandelt hat und der das Abbaggern des Dorfes Lützerath vorsieht.
Zum ersten Mal seit dem Regierungsantritt kommen die Grünen zu einem solchen inhaltlichen Parteitag zusammen. In Bonn wird sich zeigen, wie weit der vielbeschworene Pragmatismus der Partei wirklich reicht und wo ihre inhaltliche Flexibilität doch noch Grenzen hat. Für die Grünen ist das eine Gratwanderung. „Die Partei braucht Debatten“, sagt etwa Emily Büning, die Bundesgeschäftsführerin der Partei. Sie betont aber auch das große Verantwortungsgefühl angesichts der aktuellen Krisen. Und natürlich soll der Parteitag die eigenen Minister*innen nicht demontieren.
Die FDP im Nacken
Bei der Einsatzreserve ist die Lage kompliziert. Nach ihrer Niederlage bei der Landtagswahl in Niedersachsen will die FDP einem bereits gefundenen Kompromiss nicht mehr zustimmen, sondern Laufzeitverlängerungen aller drei verbleibenden AKWs durchsetzen, samt des Kaufs neuer Brennstäbe, was für die Grünen ein No Go ist. Sollte es bis Freitagabend, wenn das Thema in Bonn auf der Tagesordnung steht, noch keine Übereinkunft geben, stimmen die Grünen also nicht über einen geeinten Vorschlag der Ampel ab, sondern legen ihre eigene Kriterien fest.
Die Regierung habe vor der Niedersachsen-Wahl mehr aus politisch-symbolischen als aus sachlichen Gründen eine Verabredung getroffen, sagt dazu Trittin der taz. Er hält die Notwendigkeit des Streckbetriebs nicht für erwiesen. „Wir wollen sicherstellen, dass die Bedingungen dafür eingehalten werden: dass in dem Gesetz klare, überprüfbare Kriterien für den Weiterbetrieb festgesetzt werden, dass dieser am 15.4. endgültig endet und die beiden AKWs dann rückgebaut werden – genauso wie sich die Betreiber gegenüber der Bundesregierung verpflichtet haben.“
Im Antrag des Bundesvorstands ist dies allgemeiner formuliert, andere Anträge lehnen die Einsatzreserve ab und fordern – wie ursprünglich vorgesehen – das Aus für alle AKWs zum Ende des Jahres. Sein Antrag, sagt Trittin, sei der Versuch, „diejenigen von uns, die den Reservebetrieb ablehnen wollen und die, die zustimmen wollen, weil sie unseren Ministerien nicht in den Rücken fallen wollen, zusammenzuführen.“
In den Anträgen heißt es auch, dass die Einsatznotwendigkeit von Neckarwestheim im Januar 2023 noch einmal im Bundestag überprüft werden muss.
Kriegt der Bundestag mehr als ein Vetorecht?
„Der Einsatz der Reserve ist nicht voraussetzungslos“, heißt es zudem. „Sie kann im Winter 2022/23 und nur dann eingesetzt werden, wenn die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundestages feststellt, dass die Voraussetzungen eines Krisenszenarios wie in den Bedingungen des Stresstests beschrieben vorliegen und auch unter Ausnutzung anderer Maßnahmen eine kritische Situation weiterhin droht.“
Das legt die Deutung nahe, dass der Bundestag nicht nur dem Gesetz, sondern auch abschließend dem Einsatz der Kraftwerke aktiv zustimmen soll. Habeck dagegen will sie per Verordnung zurück ans Netz bringen. Der Bundestag hätte dann nur ein Veto-Recht, müsste also aktiv widersprechen.
„Dass der Bundestag abschließend über den Einsatz der Reserve für die zwei AKW aktiv zustimmen muss, sollte eine demokratische Selbstverständlichkeit sein“, sagt dazu der Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler, der Trittins Anträge unterstützt. Ohnehin sei Bedeutung der beiden Atomkraftwerke für die Netzstabilität gering. „Wenn die FDP die Einsatzreserve für die zwei AKW im Süden nicht will, gilt die Rechtslage mit der Abschaltung zum 31. Dezember diesen Jahres.“
Grüne Jugend will Lützerath retten
Während in der AKW-Frage mit Jürgen Trittin ein Grünen-Veteran in die Debatte gehen wird, rebelliert in einer anderen Energiefrage vornehmlich die junge Generation: Mehrere Anträge wenden sich gegen die Einigung, die Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur in der vergangenen Woche mit RWE getroffen haben. Das Energieunternehmen darf demnach die Braunkohle unter dem Dorf Lützerath im Rheinischen Revier abbaggern.
Anträge gegen den Deal kommen unter anderem von der Grünen Jugend sowie der Bundestagsabgeordneten und Klimaaktivistin Kathrin Henneberger. Einen Antrag, der den Plan rechtfertigt, haben dagegen NRW-Grüne um Landesumweltminister Oliver Krischer eingereicht.
Während in vielen anderen Themenfeldern noch Verhandlungen zwischen Antragsteller*innen und Bundesvorstand laufen und Kompromisse formuliert werden, um offen ausgetragene Konflikte in Bonn zu verhindern, läuft es hier ziemlich sicher auf eine Abstimmung zwischen beiden Positionen hinaus.
„Vom Parteitag erwarten wir ein deutliches Zeichen, dass wir unseren Einsatz für Lützerath nicht aufgeben und genau das haben wir beantragt“, sagt Timon Dzienus, Bundessprecher der Grünen Jugend. Einerseits dürften durch „die Zerstörerung rund um Lützerath“ keine Fakten geschaffen werden. Andererseits müsse bei Stromeinsparungen und dem Ausbau der Erneuerbaren mehr passieren.
Ob die Position mehrheitsfähig ist? Dagegen spricht, dass es jenseits junger Grüner in der Partei keinen riesigen Aufschrei über den RWE-Deal gab. Manchmal sind Parteitagsentscheidungen aber selbst bei den Grünen noch unberechenbar. Dazu kommt, dass vor der Abstimmung am Sonntag voraussichtlich Luisa Neubauer, Grünen-Mitglied und Organisatorin bei Fridays for Future, als Gastsprecherin aus der Klimabewegung auftreten wird. Zumindest die Aufmerksamkeit der Delegierten wird ihr sicher sein.
Kompromiss zu Rüstungsexporten?
Möglich schien eine Einigung am Donnerstag dagegen in der Diskussion über Rüstungsexporte an Beteiligte des Jemenkriegs. In der vergangenen Woche war bekanntgeworden, dass der Bundessicherheitsrat Lieferungen an Saudi-Arabien und dessen Alliierte genehmigt hat. Unter anderem geht es um Ausrüstung für Kampfjets.
Im Koalitionsvertrag waren solche Genehmigungen eigentlich ausgeschlossen; gegenüber der grünen Bundestagsfraktion rechtfertigten Kabinettsmitglieder die Entscheidungen mit realpolitischen Zwängen: An den Rüstungsprojekten sind Unternehmen aus mehreren europäischen Ländern beteiligt. Die Partnerstaaten seien für die Lieferungen gewesen und man habe sie nicht vor den Kopf stoßen wollen.
Überzeugt hat das viele Grüne nicht, auch weil die konkrete Einzelfallentscheidung wegweisend sein könnte für die Diskussion um ein neues Rüstungsexportgesetz. Darin will die Ampel neue generelle Regeln erlassen. Unter anderem aus der SPD gibt es Forderungen, sie für gemeinsame europäische Projekte nicht zu streng formulieren.
Die eigentliche Positionen der Grünen noch mal klar zu formulieren, ist das Ziel eines Antrags des Bundestagsabgeordneten Max Lucks, der flügelübergreifend breit unterstützt wird. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, „zu einer vollständigen Umsetzung des Waffenembargos für Saudi-Arabien zurückzukehren“.
Der Bundesvorstand würde den Antrag dem Vernehmen nach gerne entschärfen und Passagen herausnehmen, die zu sehr als Kritik an den eigenen Regierungsmitgliedern gelesen werden könnten. Denkbar ist ein Kompromiss, der nach vorne gerichtet dennoch klare Erwartungen an die Bundesregierung im Allgemeinen formuliert.
Verhandlungen übers Geld
Gespräche liefen am Donnerstag ebenfalls noch zu Anträgen im Bereich Sozialpolitik und Umverteilung. Im Leitantrag des Bundesvorstands werden in erster Linie die Maßnahmen aus den bisherigen Entlastungspaketen der Ampel sowie die geplante Gaspreisbremse gelobt. Mehrere Antragsteller*innen wollen, dass die Partei darüberhinaus für konkrete weitere Maßnahmen eintritt.
Eine flügelübergreifende Gruppe um Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt fordert beispielsweise eine einmalige Vermögensabgabe. Andere Anträge fordern, bei der Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze über die bisher beschlossenen 50 Euro hinauszugehen. 100 Euro mehr will etwa die Europa-Abgeordnete Katrin Langensiepen.
Der Bundesvorstand würde solche konkreten Formulierungen gerne vermeiden und setzt sich in Verhandlungen mit Antragssteller*innen für weniger verbindliche Forderungen ein. An manchen Stellen könnte er damit Erfolg haben, an anderen sieht es nicht nach einer Einigung aus. Gut möglich also, dass es wie bei der Kohle auch in sozialpolitischen Fragen zu offenen Abstimmungen kommen wird.
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