Parlamentswahl in Polen: Jubel bei der Dreier-Koalition

Oppositionsführer Tusk könnte die künftige Regierung stellen. Die PiS wurde zum dritten Mal in Folge Wahlsieger, verfehlt aber die absolute Mehrheit.

Donald Tusk

Donald Tusk, ehemaliger polnischer Ministerpräsident, spricht zu Anhängern in der Parteizentrale seiner Partei am Sonntagabend Foto: Petr David Josek/AP/dpa

WARSCHAU taz | Jubelnd reißt Donald Tusk, Polens Oppositionsführer, Ex-Premier und ehemaliger EU-Ratspräsident, die Arme hoch, als die Ergebnisse der Nachwahlbefragungen über die Bildschirme flimmern: „Ich bin der glücklichste Mensch auf Erden“, ruft er seinen Anhängern zu. „Noch nie habe ich mich so über einen zweiten Platz gefreut!“, strahlt er und schüttelt die Hände so vieler Menschen, wie er zu fassen bekommt. Auf der Wahlparty der liberal-konservativen Bürgerkoalition (KO) in Polens Hauptstadt Warschau lachen am Sonntagabend alle wie befreit von einer schweren Last, fallen sich um den Hals und wiederholen die Worte von Tusk: „Die Demokratie hat gewonnen. Polen hat gewonnen.“

In der Parteizentrale der nationalpopulistischen Recht und Gerechtigkeit (PiS), die acht Jahre lang die Regierung Polens stellte, herrscht dagegen eine niedergedrückte Stimmung. Jarosław Kaczyński muss sich am Rednerpult festhalten. Er kann seine Enttäuschung nur schwer verbergen. Denn die PiS hat zwar zum dritten Mal in Folge die Parlamentswahlen gewonnen, doch laut den Nachwahlbefragungen des Umfrageinstituts Ipsos nur mit 36,8 Prozent.

Das reicht nicht für eine Mehrheit im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus. Zudem büßte der einzig mögliche Koalitionspartner der PiS, die antisemitische, antiukrainische und rechtsextreme Konfederacja gut die Hälfte ihrer potenziellen Wählerstimmen ein und kam gerade mal auf 6,2 Prozent der Wählerstimmen.

„Das ist ein großer Erfolg“, versucht Kaczyński die Stimmung zu heben. Doch in die versteinerten Mienen seiner Mitstreiter schleicht sich nur ein verkrampftes Lächeln. Allen ist klar, dass viele von ihnen vor dem Kadi landen werden, sollte Tusk als künftiger Premier sein Wahlversprechen der „Abrechnung mit den Gesetzesbrechern der PiS“ wahrmachen. Statt also der siegreichen Koalition zu gratulieren, wie dies in Demokratien üblich wäre, droht Kaczyński den Wahlsiegern: „Unabhängig davon, ob wir an der Macht sind oder in der Opposition, wir werden dieses Projekt umsetzen und nicht zulassen, dass Polen verraten wird.“

Die Regierungsbildung könnte sich hinauszuzögern

Angeblich drohe schon in den nächsten Tagen dieser „Verrat an Polen“, wie ein PiS-Politiker in einer Nachwahldiskussion warnte. Das Einstimmigkeitsprinzip im Europäischen Rat solle aufgehoben werden, um die EU fitter für die nächste Erweiterungsrunde zu machen. Doch laut PiS bedeute dies den Verlust der Unabhängigkeit Polens. Und die polnischen EU-Abgeordneten der siegreichen Oppositionsparteien wollten für diesen „Verrat“ stimmen.

Zwar wird das endgültige Wahlergebnis erst am Dienstag feststehen, doch es ist unwahrscheinlich, dass die Zahlen sich noch grundsätzlich drehen

Welche Knüppel die PiS der künftigen polnischen Regierung zwischen die Beine werfen wird, ist noch nicht klar. Aber bis zu den Präsidentschaftswahlen, spätestens im Jahr 2025, wird es sehr schwer. Andrzej Duda, der aus der PiS stammt, wird alles tun, um die Regierungsbildung hinauszuzögern, und wohl als Erstes Jarosław Kaczyński oder aber Mateusz Morawiecki, dem bisherigen Premier, den Regierungsauftrag erteilen, da die PiS rein formal Wahlsiegerin geworden ist.

Zwar wird das endgültige Wahlergebnis erst am Dienstag feststehen, doch es ist unwahrscheinlich, dass die Zahlen sich noch grundsätzlich drehen. Vorläufig sehen die Wahlergebnisse so aus: Mit 31,6 Prozent der Wahlstimmen gewinnt Tusks KO 163 Abgeordnetenmandate. Dazu kommen 55 Mandate des christlich-konservativen Dritten Wegs (13 Prozent) und 30 Mandate der sozialdemokratischen Linken (8,6 Prozent). Mit diesen Juniorpartnern will die KO eine Dreier-Koalition bilden. Zusammen wären dies 248 von insgesamt 460 Sitzen im Sejm, also eine komfortable Mehrheit für die künftige Regierung.

Die PiS hingegen kommt mit ihren 36,8 Prozent auf 200 Mandate im Sejm, zu denen eventuell noch 12 Mandate der Konföderation hinzukämen. Um regieren zu können, bräuchte die PiS aber über die Hälfte (231) der 460 Mandate im Sejm.

Dass die PiS die Wahl verloren hat, obwohl sie Wahlsieger ist, hat mit der Wahlbeteiligung zu tun. Rund 73 Prozent der Wahlberechtigten haben am Sonntag ihre Stimme abgegeben. So viel wie noch nie zuvor. Der stark polarisierende Wahlkampf aller Parteien hat viele Polen davon überzeugt, dass es diese Mal um mehr geht als bloß eine weitere Wahl. Auf dem Spiel stand die Zukunft Polens in der Europäischen Union. Elf Millionen Wähler stimmten für ein proeuropäisches Polen, acht Millionen dagegen. Die einen wie die anderen waren überzeugt: „Es ist eine Schicksalswahl.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.