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Pandemie-Management im VergleichWir Gesättigten

Felix Lee
Kommentar von Felix Lee

Viele hierzulande sind zu verwöhnt. Deshalb akzeptieren sie nötige Maßnahmen gegen die Pandemie nicht. Das verheißt nichts Gutes für künftige Krisen.

Demonstration gegen die Coronamassnahmen im Mai 2020 in Berlin Foto: Stefan Boness/Ipon

N och im Sommer waren viele Bür­ge­r*in­nen fast ein bisschen stolz auf ihr Land. Deutschland schien die erste Welle der Coronapandemie verhältnismäßig glimpflich überstanden zu haben. Tatsächlich war die Zahl der Toten im Vergleich etwa zu Frankreich, Spanien und Großbritannien sehr viel niedriger. Es gab ausreichend Beatmungsgeräte, die Intensivstationen waren nicht überlastet. Bilder von Lastern mit Leichen, wie sie aus Wuhan, Bergamo und New York zu sehen waren, gab es nicht.

Dann kam der Herbst. Und die Vorteile, die sich Deutschland mit viel Glück und einem rechtzeitig angeordneten Lockdown im Frühjahr verschafft hatte, waren durch eine zu rasche Lockerung verspielt. Die Bür­ge­r*in­nen waren zu leichtsinnig geworden. Urlaubsreisen ins Ausland und kleine Freiheiten hatten dann doch Priorität.

Wie nun aus einer Studie des Lowy Institute im australischen Sydney hervorgeht, hat Deutschland im Coronamanagement rückblickend denn auch nur mittelmäßig abgeschnitten. Die Studie sieht die Bundesrepublik gerade mal auf Platz 55 von insgesamt 98 bewerteten Ländern. Am besten schnitt Neuseeland ab, auf dem letzten Platz landete Brasilien. Was auffällt: Obwohl der Ausbruch in Fernost seinen Anfang nahm, erwiesen sich insbesondere Länder im asiatisch-pazifischen Raum als sehr viel erfolgreicher bei der Eindämmung der Pandemie. Länder wie Taiwan, Vietnam, Südkorea und Australien schafften es durch konsequente Lockdowns sowie umfassende Coronatests, die Ausbreitung des Virus weitgehend in Schach zu halten. Abgesehen von weiterbestehenden strengen Einreisebestimmungen verläuft das Leben in den meisten Ländern dieser Region wieder so wie vor der Pandemie.

China, wo das Coronavirus erstmals auftrat und die Regierung besonders rigoros vorging, taucht im Ländervergleich des Lowy Institute nicht auf. Den Forschern zufolge waren nicht genug Daten verfügbar. Auch wenn Chinas Daten nicht verlässlich sind, ist doch bemerkenswert: Während die meisten Länder Europas und die USA nun in den Wintermonaten von einem Lockdown in den nächsten schlittern, hat die Volksrepublik nach zwei Monaten harter Maßnahmen das Virus zumindest so weit unter Kontrolle gebracht, dass die Wirtschaft wieder auf vollen Touren läuft, Schulen und Unis offen sind und die Menschen kaum noch Einschränkungen erfahren. Chinas Wirtschaftskraft wird Ende 2021 um 10 Prozent größer sein als vor der Krise. Europas Wirtschaft hingegen wird schrumpfen – und wahrscheinlich auch die der USA. Chinas Aufholjagd hat sich damit noch einmal drastisch beschleunigt.

Wie Lobbyisten schachern alle gesellschaftlichen Gruppen um die eigenen Vorteile

Stellt sich die Frage: Was ist schiefgelaufen? Warum scheint es vielen hierzulande so viel schwerer zu fallen als Asiat*innen, simple Verhaltens­regeln zu befolgen, wie Menschenansammlungen zu meiden oder Masken zu tragen? Ist es die oft behauptete Autoritätsgläubigkeit in Fernost? Oder mangelt es vielleicht hierzulande einfach an Vernunft?

Der Ökonom Clemens Fuest vom Ifo-Institut ­lieferte im Gespräch mit dieser Zeitung folgende Erklärung: Deutschland und die westlichen Industrieländer seien „satte Wohlstandsgesellschaften“. Den Menschen gehe es gut, sie seien daher nicht so leicht bereit, ihre Gewohnheiten zu ändern. In weniger saturierten Ländern, die zudem in jüngerer Zeit noch viel Wandel durchgemacht haben, sei das anders. Dort seien die Menschen Veränderungen gewohnt. In anderen Worten: Wir im Westen sind zu verwöhnt.

Was sich daraus ableiten lässt: Nach drei Generationen des stetigen Wohlstandsgewinns in den westlichen Industrieländern können sich viele gar nicht mehr vorstellen, dass ein System auch kollabieren kann. An einem solchen Punkt waren wir im Pandemiejahr zwar an keiner Stelle. Dass das deutsche Gesundheitswesen nicht zuletzt nach Jahrzehnten des Sparens und der Unterbezahlung seines Personals nun am Rande seiner Kapazitäten steht und Pa­ti­en­t*in­nen nicht mehr aufgenommen werden können – das war zuletzt schon real. Wahrnehmen wollten viele das offenbar aber nicht.

Widerspenstigkeit als Selbstzweck

Im Gegenteil: Wissenschaftlich begründete Warnungen vor genau einem solchen Zustand wurden selbst im Herbst, als die Infektionszahlen wieder steil anstiegen, als Alarmismus abgetan. Und auch jetzt erwecken die Stimmen einiger noch immer den Anschein, Abstandsregeln und die Lockdownmaßnahmen dienten der Schikane und nicht der Rettung von Leben. Wie Lobbyisten schachern alle gesellschaftlichen Gruppen um die eigenen Vorteile, die Umgehung von Maßnahmen wird zur Tugend erklärt. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden hingegen als staatsgläubig abgetan, dem Staat und seinen Maßnahmen wird grundsätzlich misstraut. Widerspenstigkeit als Selbstzweck.

Auch in asiatischen Ländern hat es im Verlauf der Pandemie viele Aufmüpfige gegeben, die sich nicht an die Vorschriften gehalten haben. Trotzdem gibt es dort in der öffentlichen Meinung einen viel breiteren Konsens darüber, dass Abstandhalten, das Reduzieren von Zusammenkünften und Quarantäne zur Eindämmung der Pandemie wichtig sind. Das Maskentragen wurde nicht gleich ideologisiert wie etwa in den USA oder zerredet, wie es zu Beginn der Pandemie auch hierzulande der Fall war.

Sind also nur autoritär geführte Gesellschaften zu so einem Verhalten in der Lage? Abgesehen davon, dass man es sich mit so einer Frage sehr einfach macht und nicht die Chance wahrnimmt, von Erfahrungen in Ostasien auch zu lernen, steckt dahinter auch Überheblichkeit.

Diese Pandemie wird nicht die letzte Krise sein. Die Klimakrise hat gerade erst begonnen, große Umwälzungen stehen im Zuge der Digitalisierung und Globalisierung an, verbunden mit weiteren Verwerfungen. Sind gesättigte Gesellschaften für diese Umwälzungen gewappnet? Der Umgang mit dieser Pandemie lässt daran zweifeln.

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Felix Lee
Wirtschaft & Umwelt
war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.
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21 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Mit einem "wir" können Journalist*innen viele Menschen direkt ansprechen. Wer das jedoch konkret ist und wer durch dieses "wir" ausgeschlossen wird, wird dabei unterschlagen. Es wäre wünschenswert, wenn nicht nur von "vielen" die Rede wäre. Welche sozioökonomischen und kulturellen Gruppen hier gemeint sind, darüber sollten sich sowohl Verfasser als auch Leser*innenschaft klarwerden.



    Dass ein autoritär geführtes Wirtschaftssystem, die kapitalistischen Produktionsweise, auch autoritäre Charaktere hervorbringt, hat die Kritische Theorie schon vor einem halben Jahrhundert gezeigt. Dass Solidarität, je mehr sie gefordert wird, für diejenigen immer mehr zum Problem wird, die bei der strukturellen Produktion von Ungleichheit auf der Seite der Gewinner stehen, ist da nur folgerichtig, sind sie es doch gewöhnt, dass ihre Privilegien mit Autorität durchgesetzt werden.



    Die "Arbeiteraristokratie", aus der die deutsche Mittelschicht größtenteils besteht, bezieht ihren Zusammenhalt aus den geteilten Priviligien, die sie bereit ist, mit einem brutalen Grenzregime zu schützen, das mehr Todesopfer kostet als das der DDR.



    Wenn diese Privilegien angesichts der Pandemie nun vielfach suspendiert werden, ist die Folge, dass, nach anfänglichem "Zusammenrücken" (mit Abstand), dieser Zusammenhalt verlorengeht und zunehmend um den eigenen Vorteil gekämpft wird, wie es autoritäre Charaktäre in einem autoritären Wirtschaftssystem eben gelernt haben.



    Sie verhalten dabei lediglich sich auf eine Weise, die ihnen als "gut" beigebracht wurde.

  • "Wir Gesättigten".

    Ist was dran. So wichtig, dass es m.E. auch in den Untertitel gehört, ist

    "Wie Lobbyisten schachern alle gesellschaftlichen Gruppen um die eigenen Vorteile, die Umgehung von Maßnahmen wird zur Tugend erklärt"

    Irgendwo im 8. Absatz. Solidarität. Nicht, dass sie "bei uns" fehlen würde: sie erfährt aber m.E. zu wenig Anerkennung. Unser hypertrophierter Individualismus wird uns noch zum Verhängnis werden.

  • Hier, weil es so schön ist (aber auch sehr traurig), noch mal ein Video, das die Unterschiede zwischen der "europäischen" und der "asiatisch-pazisfischen" Strategie eindrucksvoll nebeneinander stellt:

    mobile.twitter.com...260568774329225217

    _So_ sieht das aus, wenn man eine Regierungschefin hat, der das Wohlergehen der Bevölkerung am Hetzen liegt, die klar kommuniziert, und auf ihre wissenschaftlichen Berater hört.

    Und ich erlaube mir hier mal, das was die Johnson Regierung in UK, was Trump, und was die meisten europäischen Regierungen geleistet haben, in einen Topf zu werfen, denn die Resultate sind höchstens graduell unterschiedlich.

    Damit meine ich nicht, dass es in Deutschland eigentlich ganz einfach sei - ist es nicht, Deutschland hat seine eigenen Herausforderungen. da müssen wir auch nicht auf uns selber herum hacken. Aber. wir können, wenn wir wollen, viel viel mehr.

  • Schliesslich haben sich auch die Politik, Behörden und Institutionen abgesehen von einigen wirklichen Persönlichkeiten wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert:

    - mangelnde Fachkompetenzen und Standing, das Geschehen in Wuhan unabhängig von den USA und China zu beurteilen.

    - keine effektive institutionelle Vorbereitungen auf eine SARS artige Epidemie. Nicht einmal eine für Massenandrang funktionierende Webseite hatte das RKI im März 2020! (Aua).

    - krasse Defizite beim Monitoring

    - chronisch und strukturell unterbesetzte Gesundheitsämter

    - chronischer krasser Personalmangel in Krankenhäusern und in der Pflege

    - zögerliche Reaktionen im Mikado-Stil - "wer sich zuerst bewegt, verliert"

    - kein definierter institutioneller Rahmen für Experten und Notfallmanager, statt dessen müssen sich Politiker wie Laschet und Söder überall persönlich einmischen. Wo bleibt das Subsidiaritẗsprinzip? Hat das irgendeinen Sinn als dass ein paar angebliche Macher einen auf dicke Hose machen können?

    - Mangelnde Klarheit in der Kommunikation seitens der Politik.

    - keine Vorsorge / sinnvolle Konzepte in ÖPNV und Bahn

    - fehlende europäische Notfallkoordination. Hätten wir Anfang März einen europäischen Notfallfonds gehabt und in Norditalien einsetzen können, das hätte uns vieles erspart.

    - Ferntourismus, Flugindustrie, offene Grenzen als heilige Kühe statt als Mittel zum Zweck

    - eine komplett verpasste Digitalisierung an Schulen als Resultat einer komplett verschnarchten, ideologisierten, soziale Kasten reproduzierenden Bildungspolitik in den letzen 30 jahren,

    - keine angemessene Strategie gegenüber der Desinformation zB aus der Bannon-Ecke in Sozialen Medien

    - Lobbistentum und exzessives Eingehen auf Partikularinteressen, anstatt allgemeinen Interessen den Vorrang zu geben.

    - eine fehlende sachkomptetente Opposition in diesen Fragen, UND DAMIT MEINE ICH AUCH UND VOR ALLEM DIE GRÜNEN

    - es gäbe sicher noch vieles mehr aufzuführen, aber mensch muss ja auch mal arbeiten.

  • PS "Satte Wohlstandsgestellschaft":



    Das Gegenteil haben wir auch bei den ärmsten Arbeitnehmern und den Langzeitarbeitslosen und Kindern armer Deutscher: Hungrige Mangelgesellschaft. Soll das ein Ziel für die Zukunft sein, eine Perspektive?



    Wer satt ist, ist nur kurz träge, danach hat er Kapazität, kreativ zu werden oder sich zu bilden.



    Wer hungrig ist, hat wenig Kapazität für anderes als der Suche nach Essen oder Trägheit und Passivität, wenn es kein Essen gibt.



    ja, das ist nur eine Metapher, aber "satte Wohlstandsgesellschaft" sollte nicht als etwas Negatives dargestellt werden, sonst kommen die falschen Menschen, die in Machtpositionen sind, auf die Idee, etwas mehr Mangel zu schaffen wäre gut fürs Volk...

    • @BlauerMond:

      1/2

      Nur Metaphern... Aber es ist eine Realität, dass in unserer Gesellschaft bis zu vielleicht zwanzig Prozent der Bevölkerung ökonomisch und sozial abgehängt ist. Alte Binsen-„weisheiten“ wie „Ein voller Bauch“ studierte nicht gern“ oder „Not macht erfinderisch“ können sich genau wie sie es ansprechen, als verführerisch falsch herausstellen.



      Ich unterstelle Felix Lee nicht, dass er sich da etwa „verführen“ lässt. Klipp und klar sagt er auch, dass es zu einfach wäre, soziales Verhalten, zumal kulturell geprägtes, könne nicht (vorschnell) aus einer autoritären Staatsform abgeleitet werden, wenn es ihm um das Lernen von anderen Ländern in der Pandemie geht. Ich werfe folgendes ausdrücklich nur als Frage auch. Wen z. B. meint der zitierte Ökonom Clemens Fuest mit „weniger saturierten Ländern“? Sagt er nicht. Ich schaue als Wessie (habe nichts gegen die Benennung und muss mich hüten Besser-Wessi zu sein) auf die neuen Bundesländer. Wenn welche in den letzten dreißig Jahren brachiale, wenn gleich letztlich herbeigewünschte, Veränderungen ihrer Existenzgrundlagen erfahren haben, dann die Leute dort. Wie ist es „dort“ mit der Lernfähigkeit bestellt?



      So sehr ich es begrüße, dass Felix Lee die Frage nach der Lernfähigkeit der demokratischen Gesellschaft mit Blick auf die Pandemie und darüber hinaus stellt. Die Antwort muss über die „Wohlstandsverwöhnung“ hinaus gehen. Man müsste es vielleicht ähnlich betrachten wie Michael Plauen im Titel seines Buches „Macht und soziale Intelligenz – Warum moderne Gesellschaften zu scheitern drohen“. Machtstrukturen (so sollte/könnte es in Demokratien idealer Weise sein) dienen so Plauen der Koordination und Konfliktvermeidung. Erforderlich sei „soziale Intelligenz“. Ansonsten drohe es der Demokratie, durch die Mehrheit ihrer eigenen Bevölkerung in Frage gestellt zu werden. Insofern stellt Felix Lee seine Fragen ganz zu Recht. Wo ist die Wachsamkeit und wo sind der Wille und auch das Verständnis von Gemeinwohl? Haben wir da was verlernt?

      • @Moon:

        2/2



        Macht in der Demokratie ist längst nicht immer Gemeinwohl orientiert sondern Interessen geleitet. Der Ökonom Fuest spricht erst mal zu dem was sein Job ist. Er sieht die EU in Konkurrenz zu China und den USA wirtschaftlich zurückfallen und verweist auf ein Konzept wirtschaftlicher Überlegungen zur Pandemie, um das abzumildern. Aber er spricht eben vor dem Hintergrund der Logik des Teilsystems Wirtschaft. Und da wird er schon ein wenig „übergriffig“, wenn er plötzlich „anthropologisch“ wird, wenn es gilt, für seine Sache/Interessen einzunehmen.



        Vorsicht. Der „Ökonom“ und „Anthropologe“ Friedrich Merz, mit dem ich Fuest nicht gleich setze, tadelt ungeniert die Bevölkerung, nun werdet bloß nicht faul in der Kurzarbeit während der Pandemie. Und stellt sich die Krisenbewältigung dann so vor, dass die Leute besser gleich entlassen werden, um sich sofort in anderen Bereichen einstellen zu lassen. „Wo wir sie dringend brauchen“. Sagt er. Wer ist da „wir“? Da verkleidet sich ein „Wolfstyp“ und dient sich uns – hoffentlich dann sturen „Schafen und Böcken“ als treuer Schäferhund an der uns leitet. So geht Konsens nicht. So geht Lobbyismus.

    • @BlauerMond:

      Genau darum geht es doch.



      Uns geht es ja allen einfach zu gut, deswegen die Unzufriedenheit 😂

  • Es wäre ja auch ein Wunder gewesen, wenn Fuest einmal recht hätte. Seine Diagnose und seine Schlussfolgerungen sind aber grundfalsch. Er lenkt absichtlich vom eigentlichen Problem ab, einer Gier und Lebensgier, die nur über Konsum und immer mehr Konsum funktioniert.



    Natürlich neigen wir dazu uns wie verwöhnte und quengelige Kinder zu benehmen, in Wirklichkeit ist aber der allergrößte Teil der Bevölkerung in der Pandemie ganz offensichtlich sehr ruhig, diszipliniert und rücksichtsvoll. Gerade die Alten und die Jungen und das obwohl sie am meisten leiden. Am lautesten empören sich hingegen gerade gut verdienende, mobilitäts- und kontaktgewöhnte Gruppen, wie zum Beispiel Journalisten. Wer was ist, der braucht Publikum, wer hat, der will ausgeben, reisen und sich vergnügen, gerade weil er hat, weil sich arbeiten gelohnt haben muss. Wenn man das eigene gesundheitliche Risiko dann noch gering einschätzt, Männer dürften dabei ganz vorne mit dabei sein, dann hindern einen eigentlich nur noch die übertriebenen Ängstlichkeiten der Anderen.



    Das Problem ist also nicht was wir schon haben, sondern was wir immer noch haben wollen. Vor allem Erlebnisse, Selbstwahrnehmung, Prestige! Ein Fuest tut so, als würde mehr materieller Nachholbedarf die Disziplin fördern und damit ein Teil der Lösung sein, das Gegenteil ist der Fall, jedenfalls dann, wenn auch wirklich verdient wird. Dann will man konsumieren und seinen Erfolg zeigen. Nicht die Gier ist die Lösung, in der Pandemie nicht und in der Umweltfrage schon gar nicht. Disziplin, im Sinne von Gehorchen, kann nicht mehr als ein zwar notwendiges, aber begrenztes Hilfsmittel sein, mehr Verantwortung, auch im Sinne von Selbstbeschränkung, wäre geboten.

  • Die Lowy-Studie bezieht sich auf die Zeit, in der es in Deutschland nach landläufiger und medialer mEiNUnG noch top oder zumindest ganz gut lief.

    Von der Eskalation November/Dezember wurde nur der Anfang berücksichtigt. Die Krise Ende Dezember/Anfang Januar floss in die Bewertung nicht ein.

    (Analog Portugal, das auch viel besser dasteht, als es mittlerweile dastünde)

  • Ja da stimme ich in vielem überein. Außer dass es wohl nicht zwingend am westlichen Way of Life mit in neoliberalen Exzessen antrainierten Einzelkämpfer Verhaltens liegt. Denn da gehören Neuseeland und Australien definitiv auch dazu. Und doch gelang es politisch Verantwortlichen, Gesellschaft und Wirtschaft aus ihren Bevölkerungen von Einzelkämpfern und gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Partikularlobbys eine Pandemiegemeinschaft zu bilden. Sie machten mit ohne "asiatische" Verhaltensweisen oder plötzliche Liebe zum autoritären Regierungsstil. Nein sie waren überzeugt dass der asiatische Erfolg eben nicht durch kultureller Tradition oder autoritäre Regierungsform erreicht wurden sondern durch Erfahrung mit Epidemien und da erwiesen sich a) schnelle Reaktion, b) Lockdown komplett auch im Arbeitsleben also für ALLE gleich und dafür nur kürzere und regionale Unterbrechungen dort wo es Fälle gibt. Ergebnis: keine landesweite Ausbreitung, keine hohen Zahlen Schwererkrankter und Toter, Regionen die gemeinschaftlich mitmachen sind schneller wieder im Normalmodus das motiviert auch zum Mitmachen. Was die Pandemie betrifft wollten Australien und Neuseeland keine "europäischen" Verhältnisse sondern asiatische und hatten keine Scheu das in asiatischen Staaten zuerst erprobte Erfolgsmodell zu übernehmen.

  • Der Autor machte sich denkbar einfach

  • Guter Kommentar.



    Zur Ergänzung: Widerspenstigkeit als Ausdruck eines Distinktionsbedürfnisses.



    Wer will schon zur blöden Masse, zu den Schlafschafen gehören, gelle?

    Und wieder mal: Hauptsache ich. Hauptsache meine Selbstbild stimmt.

  • > Länder wie Taiwan, Vietnam, Südkorea und Australien schafften es durch konsequente Lockdowns sowie umfassende Coronatests,

    Das ist typisch für die Fixierung in Europa auf Lockdowns als Ersatz für andere Maßnahmen, aber speziell Taiwan hatte *keinen* Lockdown. Hier die ausführliche Beschreibung der Maßnahmen in Taiwan:

    en.wikipedia.org/w...reventive_measures

    Ein paar Punkte:

    - On 6 February, the government instituted a mask rationing system, requiring citizens to present their National Health Insurance card.

    - Taiwan announced a ban on cruise ships entering all Taiwanese ports from 6 February

    - In early February 2020, Taiwan's "Central Epidemic Command Center" requested the mobilization of the Taiwanese Armed Forces in both containing the spread of the virus and in building up defenses against it. Soldiers were dispatched to the factory floors of major mask manufacturers to help staff the 62 additional mask production lines that were being set up at the time.[156] In early March, Taiwan's average production of surgical face masks reached 9.2 million per day.[157] By the end of March, the daily production of surgical face masks reached 13 million.[152]

    - As of 14 March, persons returning to Taiwan from most of Europe, plus persons who have transferred through China, Hong Kong, Macau, and Dubai, must quarantine in-home for 14 days.

    Also, kurz gesagt: Taiwan hat schnell Hygiene- und Quarantänemaßnahmen ergriffen, die, wie sich zeigt, geeignet waren, die Ausbreitung des Virus im Keim zu ersticken.

    • 0G
      01022 (Profil gelöscht)
      @jox:

      Ist mir beim Lesen auch aufgefallen. Taiwan hat nach SARS 2003 entsprechende Vorkehrungen für künftige Epidemien getroffen:



      "Im Jahr 2004 beauftragte das Verfassungsgericht die Legislative mit einer umfassenden Untersuchung aller Fehler und der Einrichtung einer neuen Institution, dem Zentralen Kommandozentrum für Epidemien (CECC), um sicherzustellen, dass die Kommunikation möglichst schnell funktioniert und das Wissen der Schwarmintelligenz, das Input der Bürger, ohne Verzögerung ans CECC gelangt."www.augsburger-all...ie-id58833006.html

      Und ich kann mich daran erinnern, wie vor exakt einem Jahr, der chinesische Botschafter, Grenzschließungen gegen die Volksrepublik mit dem Holocaust verglichen hat.

      Und genau das ist das Geheimnis des Erfolgs der genannten Staaten "Taiwan, Vietnam, Südkorea und Australien". Sie haben den offiziellen Verlautbarungen 2020 nicht getraut, weil sie das eigene SARS-Chaos 2003 noch sehr gut in Erinnerung hatten. Wir in Europa hatten damals das Glück, dass der Irak-Krieg ausbrach und die Fluglinien nach&von Fernost unterbrochen wurden.

      • @01022 (Profil gelöscht):

        > Und ich kann mich daran erinnern, wie vor exakt einem Jahr, der chinesische Botschafter, Grenzschließungen gegen die Volksrepublik mit dem Holocaust verglichen hat.

        Manchmal wäre es halt gut, wenn in den Regierungen Leute sitzen würden, die ein Gehirn haben, das zum eigenständigen Denken taugt.

        Übrigens war auch das einer der strategischen Vorteile der Taiwaner: Die haben eine stark demokratische Kultur *und* ein sehr ausgeprägtes Misstrauen gegenüber China, und deswegen in diesem Fall implizit auch gegenüber der WHO. Die haben sich einfach nicht darauf verlassen, was da gesagt wurde.

  • Die allermeisten Menschen in Deutschland halten sich an sie Verhaltensregeln. Und diese mögen zwar simpel sein, aber es sind trotzdem massive Einschränkungen, Menschen haben Angst um ihre wirtschaftliche Existenz und vereinsamen. In dieser Situation einem ganzen Volk, dass sich größtenteils an die Regeln hält, ein solches Zeugbis auszustellen, finde ich mindestens unangemessen, eigentlich schon unverschämt.

    • @Ruediger:

      Es ist der billige Versuch, einen Schuldigen auszumachen. „Er war es, der böse Bürger, der sich nicht an die Regeln hält“ ist natürlich eine einfache und schnelle Läsung des inneren Konflikts, der entsteht, wenn man manchmal einer Situation ausgeliefert ist.

    • @Ruediger:

      das problem sind ja auch die, die sich nicht dran halten. die gehoeren auch dazu.



      kette/schwaechstes glied

      • @the real günni:

        > kette/schwaechstes glied

        Im Prinzip schon richtig, es ist aber von der physischen Dynamik eher noch die brennend weggeworfene Zigarette im Sägewerk.

        • @jox:

          Ist das denn wirklich so? Wieviel Prozent der Coronafälle sind denn tatsächlich auf leichtsinniges, willentliches Übertreten der Regeln zurück zu führen und wieviel Prozent darauf, dass Menschen in Umfeldern leben oder arbeiten, in denen die Einhaltung nur bedingt möglich oder erlaubt ist, zum Beispiel in Altenheimen?