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Palästina-Solidarität in BerlinGängeln, verbieten – scheitern

Politik und Polizei gehen mit aller Härte gegen die Palästina-Bewegung – und schießen damit regelmäßig weit übers Ziel hinaus.

Kufiya und Polizei: not a match Foto: dpa

Berlin taz | Am Samstag war es mal wieder so weit: In Kreuzberg löste die Polizei eine palästinasolidarische Demo auf. Das Vorgehen: brutal – wie eigentlich immer bei Protesten gegen den Krieg in Gaza. Die Be­am­t*in­nen gingen prügelnd und schubsend in die Menge, unter Anwendung von Schmerzgriffen nahmen sie Dutzende fest.

Medial war im Nachgang viel von Attacken auf Po­li­zis­t*in­nen und vermeintlich antisemitischen Parolen die Rede. Die anhaltenden Repressionen gegen die Palästina-Bewegung erregen dagegen kaum Aufsehen.

Dabei fahren Senat, Polizei und Staatsanwaltschaft mit ihrem harten Kurs regelmäßig gegen die Wand. Die Liste der Beispiele, in denen der Staat übers Ziel hinausgeschossen sind, ist lang: Gerichte kassieren Auflagen, sprechen Ak­ti­vis­t*in­nen frei, kippen Verbote. Und Recherchen decken auf, dass die Polizei es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Ein Überblick.

Eine umstrittene Parole

Bei der Auslegung des Spruchs „From the river to the sea, Palestine will be free“ herrscht weiterhin Willkür. Auch die Demo am Samstag wurde unter anderem wegen der Verwendung des Slogans beendet – dabei ist sogar in der Polizei umstritten, ob es dafür eine Rechtsgrundlage gibt.

Denn so einfach ist die Sache nicht. Zwar hatte das Bundesinnenministerium 2023 verfügt, dass bereits der erste Halbsatz des Spruchs als Hamas-Kennzeichen gilt. Vor Gericht hat dieser Vorwurf jedoch nicht immer Bestand. Das liegt auch an einem wissenschaftlichen Gutachten des Berliner Landeskriminalamts – also von der Polizei selbst. Darin argumentiert die Sachverständige, dass es sich, anders als vom Innenministerium behauptet, bei dem Spruch nicht um ein eindeutiges Hamas-Symbol handele. Vielmehr müsse berücksichtigt werden, dass die Parole zu Anfang für die Errichtung eines „multiethnischen, säkularen Staates auf dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet Palästina“ gestanden habe.

Auf dieser Grundlage sprach das Amtsgericht Tiergarten im Juni einen Studenten frei, der den Spruch verwendet hatte. Diesen Mittwoch steht bereits der nächste Prozess wegen der Parole an. Womöglich bildet sich nun zumindest in Berlin eine neue Linie bei der Rechtsprechung heraus. Rechtliche Klarheit dürfte es aber erst geben, wenn Gerichte in höchster Instanz über den Spruch entschieden haben.

Erst zuschlagen, dann ­rechtfertigen

Ein Paradebeispiel dafür, wie die Polizei nicht nur brutal vorgeht, sondern sich im Anschluss auch die eigene Rechtfertigung zurechtbiegt, lieferte die sogenannte Nakba-Demo im Mai. Po­li­zis­t*in­nen prügelten sich durch den vorab bereits auf eine Kundgebung beschränkten Protest. Hinterher beklagten Polizei sowie ihr in Nibelungentreue verbundene Po­li­ti­ke­r*in­nen und Medien einen schwer verletzten Beamten, der, so der Vorwurf, gezielt angegriffen wurde, womöglich gar mit Tötungsvorsatz.

Dumm nur, dass Videos der Szenerie diese Version widerlegten, wie zunächst die taz, später auch die Recherchegruppe Forensic Architecture zeigten. Viel spricht dafür, dass sich der Polizist bei unkontrollierten Faustschlägen in Gesichter der Protestierenden selbst die Hand gebrochen hat. Doch es folgte nicht etwa ein Zurückrudern, gar eine Entschuldigung. Im Gegenteil: Zwei Monate später durchsuchte die Polizei Wohnungen zweier Beschuldigter und dreier Zeug:innen. Nur im Nebensatz wurde erwähnt, dass diese nichts mit dem angeblichen Angriff zu tun hatten.

Dass das Vorgehen gegen Palästina-Proteste kein normales Polizeihandeln ist, untermauerte auch ein Brief des Menschenrechtskommissars des Europarats Michael O’Flaherty im Juni an Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU). Darin zeigte sich O’Flaherty „besorgt über Berichte über übermäßige Gewaltanwendung durch die Polizei gegen Demonstranten“. Er äußerte zudem seine Besorgnis, dass die verwendete IHRA-Antisemitismusdefinition „von einigen deutschen Behörden so ausgelegt wurde, dass Kritik an Israel pauschal als antisemitisch eingestuft wird“.

Zwar kommt es unzweifelhaft zu Antisemitismus auf Demos, gleichzeitig aber sind Statistiken über antisemitische Vorfälle wenig aussagekräftig. Im vergangenen November sprach Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel von über 6.000 Ermittlungsverfahren seit dem 7. Oktober 2023 aufgrund antisemitisch motivierter Straftaten, darunter 1.300 wegen Gewaltdelikten. Eine Anfrage der taz zeigte jedoch: Bei fast 800 der scheinbar antisemitischen Gewalttaten handelt es sich um Widerstandsdelikte gegen Polizeibeamte auf Palästina-Demos, bei weiteren 300 um Landfriedensbruchdelikte.

Vorsorgliches Redeverbot

Nicht nur bei grundgesetzlich geschützten Demonstrationen, auch bei anderen Veranstaltungen haben sich Polizei und Staatsanwaltschaft immer wieder mit vorschnellem Handeln hervorgetan. Als größtes Fiasko für die Staatsmacht dürfte sich dabei der Umgang mit dem Palästina-Kongress im Frühling 2024 herausstellen. Bereits im Vorfeld verunglimpft, verhängten Bundespolizei und Ausländerbehörde zum Teil Einreise- und Auftrittsverbote gegen angekündigte Redner.

Als dann einer von ihnen live zugeschaltet werden sollte, stürmte die Polizei den Saal, stellte den Strom ab und beendete die Veranstaltung – bevor überhaupt jemand eine Straftat begangen hatte. Später kippten Gerichte mehrere Einreise- und Auftrittsverbote, vor Kurzem etwa das Betätigungsverbot gegen den britisch-palästinensischen Arzt Ghassan Abu Sittah.

Auch Francesca Albanese, UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete Palästina, hatte bei ihrem Berlin-Besuch im Februar Probleme, überhaupt aufzutreten. Ein Vortrag an der Freien Universität wurde nach politischem Druck abgesagt, ebenso eine weitere Veranstaltung. Am Ende sprach sie in den Räumen der Zeitung Junge Welt und im Umspannwerk – begleitet von einem massiven Polizeiaufgebot.

Wissenschaft unter Druck

Auch Berlins Universitäten kommen seit dem 7. Oktober nicht zur Ruhe. Die Polizei ging teils gegen den Willen der Uni-Leitungen hart gegen Studierendenproteste vor. Zudem übten der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und auch Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) mehrmals massiven Druck aus, Besetzungen gleich räumen zu lassen.

An der Alice-Salomon-Hochschule etwa stand Präsidentin Bettina Völter Anfang des Jahres wochenlang in der Kritik, weil sie eine Besetzung geduldet hatte. An der Humboldt-Universität war im Jahr zuvor eine Besetzung rabiat geräumt worden. Dabei schlug ein Polizist einen Journalisten; der Beamte musste später eine Geldstrafe zahlen.

Das Ausländerrecht als Repressionsinstrument

Gescheitert ist Berlins Innenbehörde mit dem Versuch, vier nichtdeutsche Palästina-Aktivist*innen abzuschieben. Ihnen wurde aufgrund ihrer Teilnahme an einer Uni-Besetzung vorgeworfen, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu sein. Doch mehrere Urteile des Verwaltungsgerichts im Mai stoppten das Ansinnen, zumindest bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren.

Inzwischen versucht sich die Politik an der nächsten umstrittenen Maßnahme. Demnach sollen sich Personen, die in Berlin eingebürgert werden, zum Existenzrecht Israels bekennen. Wegner hatte sich dafür ausgesprochen, die für Einbürgerungen zuständige Innenverwaltung äußerte Bedenken.

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