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Opposition in RusslandHilflose Floskeln

Kommentar von Barbara Oertel

Vor den Dumawahlen im September hält Putin neue Maßnahmen gegen die russische Opposition parat. Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, hat Europa nicht.

Nichts als hilflose Floskeln in Richtung Moskau: EU-Außenbeauftragter Josep Borrell Foto: Ajeng Dinar Ulfiana/reuters

W ladimir Putin und seine Getreuen können zufrieden sein: Die Flurbereinigung vor den für September angesetzten Dumawahlen schreitet zügig voran. Dabei ist dem Kreml das Verhalten von Leuten wie Dmitri Gudkow höchst willkommen.

Der Oppositionspolitiker hat jetzt in der Ukraine Zuflucht gesucht – wohl wissend, dass es nur eine Frage der Zeit gewesen wäre, bis er sich unter fadenscheinigen Beschuldigungen hinter Gittern wiedergefunden hätte.

Auch für diejenigen, die nicht freiwillig das Feld räumen, hat die Staatsmacht die passenden Pfeile im Köcher. Extremismus heißt das Zauberwort, das es möglich macht, grundsätzlich alle missliebigen Kan­di­da­t*in­nen von Wahlen auszuschließen. Ein entsprechendes Gesetz hat Putin erst in der vergangenen Woche unterzeichnet.

Dazu passt, dass ebenfalls in der vergangenen Woche zwei weitere unabhängige Medien ihre Arbeit eingestellt beziehungsweise dies angekündigt haben. Wo käme man auch hin, wenn diese aus dem Ausland alimentierten „Verräter“ weiter ihr Unwesen trieben? Kurzum: Der absoluten Mehrheit der Kremlpartei Einiges Russland bei der Abstimmungsfarce im bevorstehenden Herbst dürfte nichts mehr entgegenstehen.

Europa schon längst nicht mehr ernstzunehmen

Der Westen, zum Beispiel in Person des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, reagiert wie immer: Mit Besorgnis und der Aufforderung an Moskau, doch bitte die Menschenrechtskonvention des Europarats zu beachten. Doch dies sind nichts als hilflose Floskeln. Nicht nur Borrell weiß ganz genau, dass Europa derzeit keine Möglichkeit hat, auf Russland Einfluss zu nehmen.

Putin nimmt Eu­ro­pa schon längst nicht mehr ernst. Vielmehr richtet sich sein Blick jetzt gen Washington. Dort sitzt der Gesprächspartner, mit dem es auf Augenhöhe zu verhandeln gilt. Allein aus diesem Grund ist das bevorstehende Treffen mit US-Präsident Joe Biden Mitte Juni in Genf bereits ein Erfolg. Und der könnte für den Kremlchef, je nach Ergebnis, auch noch zu einem Heimspiel werden.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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2 Kommentare

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  • "Der absoluten Mehrheit der Kremlpartei Einiges Russland … dürfte nichts mehr entgegenstehen."

    Putin reicht aber eine absolute Mehrheit nicht aus. Für den geplanten weiteren Umbau des Staates zu einer personalisierten Diktatur und für seine ungefährdete Wiederwahl 2023 hat er eine (verfassungsändernde) Zwei-Drittel-Mehrheit „bestellt“:

    meduza.io/feature/...st-v-novoy-gosdume

    Da Einiges Russlands nach aktuellen Umfragen eine 25%-Partei ist (Tendenz: sinkend) ist das selbst mit massiven Wahlfälschungen nicht zu schaffen.

    Ein Verbot von Kandidaten reicht nicht aus, deren Wähler sind ja auch noch da. Wenn sich von denen genug an die taktischen Wahlempfehlungen des Navalny-Teams halten, wird die Zwei-Drittel-Mehrheit utopisch, und mit der absoluten Mehrheit wird es knapp.

    Außerdem müssen wirklich alle eigenständigen Kandidaten verhindert werden, das geht nicht mit einem Federstreich. Als Vorgeschmack mal ein Rückblick auf den Moskauer Kommunalwahlkampf 2019. Da hat die sukzessive Streichung der unabhängigen Kandidaten große Straßenproteste ausgelöst.

    www.dw.com/de/vor-...politik/a-50330998

    www.youtube.com/watch?v=Zx5JvKN89pk

    Und: Was wird die Mehrheit tun, wenn nach der Wahl im September die 25%-Partei ihren „Wahlsieg“ verkündet? (Siehe: Belarus).

    Wenn die Wahl so verläuft. wie zu befürchten ist, darf die EU das Wahlergebnis und damit die Beschlussfähigkeit der Duma nicht anerkennen.

    Das ist nicht nur symbolisch, denn die Duma muss z.B. den Ministerpräsidenten bestätigen und internationale Verträge ratifizieren, sie verabschiedet den Staatshaushalt und legt damit die Neuverschuldung fest. Es wird z.B. nicht einfacher werden, Staatsanleihen zu begeben, wenn die Aussicht besteht, dass ein demokratisches Russland der Zukunft diese nicht bedienen wird, weil die Ausgabe rechtswidrig war.

  • Nordstream 2?