Opposition in Russland: Politisch kaltgestellt

Der Linke Nikolai Platoschkin wird wegen Aufrufs zu Massenunruhen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Politisch bedeutet das das Aus.

Nikolai Platoschkin steht winkend zwischen Polizisten.

Nikolai Platoschkin am 19. Mai nach dem Urteil in Moskau Foto: Anton Novoderezhkin/Itar-Tass/imago

KIEW taz | Ein Moskauer Gericht hat den sozialistischen Oppositionspolitiker Nikolai Platoschkin am Mittwoch zu fünf Jahren Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von umgerechnet 7.800 Euro verurteilt. Der Vorwurf lautet auf Aufruf zu Massenunruhen und Verbreitung von Fake-Nachrichten. Die Staatsanwaltschaft hatte sechs Jahre ohne Bewährung gefordert.

Laut Urteil, berichtet die russische Nachrichtenagentur Ria, habe Platoschkin falsche Angaben über die Schuld der staatlichen Organe bei der Ausbreitung des Coronavirus gemacht. Zudem soll der Chef der „Bewegung für einen neuen Sozialismus“, der Ende 2020 selbst an Corona erkrankt war, die staatlichen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung als ineffektiv bezeichnet haben. Damit habe er Proteststimmungen angeheizt und Menschen zu Massenunruhen angestachelt.

Mit dem Urteil enden auch der 349-tägige Hausarrest und das Kontaktverbot für den Politiker. So konnte er am Donnerstag wieder Interviews geben. Gegenüber der taz erklärte Platoschkin per Telefon, dass er in Berufung gehen werde. Er selbst habe mit dem schlimmsten gerechnet, ein Koffer für die Untersuchungshaft habe stets gepackt vor der Haustür gestanden.

Das Urteil sei in Windeseile durchgepeitscht worden, so Platoschkin am Telefon. „Gerade einmal 15 Minuten Mittagspause hatte man uns am Prozesstag gegönnt.“ so der frühere Diplomat. „Kein Wunder, dass einer meiner Anwälte, ein Diabetiker, am vorletzten Sitzungstag zusammengebrochen ist.“ Ein Bekannter habe einen guten Draht zum Kreml. „Daher weiß ich, dass man dort an meiner Verurteilung interessiert war.“

Angst vor der Kandidatur

Platoschkin, dem auf Youtube fast 600 Tausend Abon­nen­t*in­nen folgen, hatte bei den Nachwahlen im fernöstlichen Chabarowsk zur Staatsduma im September 2019 mit knapp 25 Prozent die Kandidatin der Putin-Partei „Einiges Russland“ auf Platz drei verwiesen. Er ist, nach Alexei Nawalny, einer der bekanntesten Oppositionspolitiker Russlands. „Die Machthaber haben Angst vor meiner Kandidatur. Deswegen haben sie diesen Prozess gegen mich inszeniert“ sagte Platoschkin.

15 Jahre dürfe er nicht für ein Amt kandidieren. Auch beruflich stehe er vor dem Aus, so Platoschkin, derzeit Leiter der Fakultät für Internationale Beziehungen an der Moskauer Humanistischen Universität. Da ihm bei den nächsten Wahlen eine Kandidatur untersagt sei, werde er „ehrliche Oppositionspolitiker“ unterstützen, „unabhängig davon, ob es Liberale oder Linke sind“.

Für Amnesty International sind die Vorwürfe gegen Platoschkin „haltlos und politisch motiviert“. Auf dem Portal der Organisation erklärt Natalia Zviagina, Chefin des Moskauer Amnesty-Büros: „Das Urteil gegen Platoschkin ist ein weiterer Nagel im Sarg der Rede- und Versammlungsfreiheit in Russland.“

Staatsanwaltschaft und Gericht hätten Kritik an der Regierungspolitik mit Anstachelung zu Aufruhr und Verbrechen gleichgesetzt. Vor der Parlamentswahl im September gebe es immer härtere Repressalien gegen Andersdenkende. Das Regime sperre Kri­ti­ke­r*in­nen aus dem ganzen politischen Spektrum ein und mache sie mundtot. Das beträfe Liberale wie Alexej Nawalny genauso wie Sozialisten.

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